Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Mark Webber
Kriegt Mark Webber mit 15 Jahren Verspätung doch noch seinen WM-Titel in der Formel 1? McLarens WM-Leader Oscar Piastri macht seinem Mentor gerade alle Ehre
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

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Der Mann hinter Oscar Piastris Erfolgen ist ein alter Bekannter: Mark Webber Zoom Download
zugegeben, normalerweise sorgt der Verlust von Rekorden und Bestmarken nicht gerade für Begeisterung oder besonders guten Erholungsschlaf. In diesem speziellen Fall dürfte das jedoch anders sein: Denn mit dem Erfolg in Saudi-Arabien ist Oscar Piastri rund zwei Wochen nach seinem 24. Geburtstag der erste australische WM-Führende seit...? Genau, seit seinem Manager Mark Webber!
Dem mittlerweile 48-Jährigen war dieses Kunststück bei Red Bull einst auch gelungen, Nachfolger und Landsmann Daniel Ricciardo indes schaffte es nie - der seinerseits übrigens neun Jahre später bei McLaren wieder ausgerechnet von Webbers Schützling Piastri abgelöst wurde: Sozusagen ein australischer Kreislauf...
Allein: Blickt man auf die aktuelle Formkurve Piastris, gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich vorzustellen, dass der Shootingstar dieser Saison bald sowohl den achtfachen Grand-Prix-Sieger Ricciardo als auch den neunfachen Webber übertrumpfen wird. Für Piastri war es am Sonntag bereits der dritte Saisonsieg, der fünfte Grand-Prix-Sieg insgesamt - damit ist er mit Teamkollege Lando Norris gleichgezogen, den er in der WM-Wertung nun um zehn Punkte überflügelt.
Flügel sind dabei ein gutes Stichwort, denn die bekam Webber im Spätherbst seiner eigenen Formel-1-Karriere bekanntlich von Red Bull verliehen - gut, von Mercedes in Le Mans genau genommen auch, und von Heikki Kovalainen in Valencia 2010 sowieso, aber das ist eine andere Geschichte.
In der Karriere nach der Karriere schlägt Webber Vettel
In letztgenanntem Jahr jedenfalls fuhr Webber bis zum Saisonfinale um den Titel mit, den dann schlussendlich Stallgefährte Sebastian Vettel abstaubte - mit Hilfe von Witali Petrow, Ferraris Strategieabteilung, und natürlich von Helmut Marko, der auch damals schon die Geschicke bei Red Bulls Fahrer- und vor allem Juniorenprogramm leitete, und den Deutschen als Eigengewächs naturgemäß deutlich lieber als Weltmeister sehen wollte als den von Williams eingekauften Webber.
Nun befasst sich Marko im stolzen Alter von mittlerweile 81 Jahren, und im Angesicht der Reisestrapazen von 24 rund um den Globus verteilten Formel-1-Rennen, dieser Tage so ganz langsam mit seiner Rente - und brachte dabei am Wochenende mit Vettel den vermeintlich perfekten Namen für seine mögliche Nachfolge ins Spiel.
Doch vielleicht setzt der Österreicher damit diesmal aufs falsche Pferd, gerade bei der Wahl zwischen Vettel und Webber, denn nur einer von beiden hat sein Auge für die ganz großen Talente in jüngerer Vergangenheit schon eindrucksvoll unter Beweis gestellt: Seit 2020 ist Webber Piastris Manager, sein Schützling wurde im selben Jahr auf Anhieb Formel-3-Meister, eine Saison später wiederholte er diese Leistung auch in der Formel 2.
Man stelle sich mal vor: Piastri wäre bei Alpine gelandet ...
Die Heldentaten auf der Strecke musste der Jungspund dabei freilich selbst vollbringen, Webbers größter Verdienst für Piastris Karriere war jedoch das, was sich im Sommer 2022 abspielte: Da schlug der mit allen Wassern des Fahrerlagers gewaschene Ex-Formel-1-Pilot für seinen Fahrer einen sicheren Stammplatz bei Alpine aus - und handelte stattdessen einen McLaren-Vertrag aus.
Die Geschichte ist hinlänglich bekannt, es war Webbers und Piastris gutes Recht, sich anderweitig zu orientieren, nachdem bei Alpine die Anwälte des damaligen Sonnenkönigs Laurent Rossi kolossal gepennt und entscheidende Fristen verstreichen lassen hatten. Ein Gericht bestätigte das später.
Nicht wenige Experten unkten in weiterer Folge trotzdem, dass so ein "Einstand" kaum gut sein könne, dass Piastri schon verbrannte Erde hinterlassen und sich Feinde im Fahrerlager gemacht habe, bevor es überhaupt richtig losgehe mit seiner Grand-Prix-Karriere. Aus heutiger Sicht ist die Lesart eine andere: Vielleicht war Piastri einfach damals schon der Killer, der er anno 2025 ist?
Allerdings gehört zu so einem Werdegang auch etwas Glück dazu: McLarens steile Entwicklung nach oben war damals noch weniger abzusehen als Alpines gnadenloser Absturz in die andere Richtung. Während der Papaya-Rennstall vergangene Saison die Konstrukteurs-WM gewann und sie aktuell schon wieder überlegen anführt, als Kundenteam wohlgemerkt, ist Alpine - Stand Dschidda - als Werksteam auf dem vorletzten Platz angekommen, punktgleich mit dem Schlusslicht.
Red Bull ließ sich Piastri durch die Finger gehen
Nun lässt sich aus Piastris und Webbers Sicht sagen, dass es für sie wohl Schicksal war, dass Flavio Briatore erst Mitte letzten Jahres als Sonderberater bei Alpine eingesetzt wurde - denn zum charismatischen Italiener pflegt auch Webber seit jeher ein exzellentes wie enges Verhältnis, was durchaus dazu hätte führen können, dass er seinen aufstrebenden Down-Under-Export unter den braungebrannten Fittichen des Förderers von "Schumi" und Fernando Alonso parkt...
Dieser Kelch aber blieb Piastri erspart, genauso wie der des unbarmherzigen Red-Bull-Juniorprogramms, das mit Liam Lawson in den vergangenen Wochen gerade mal wieder frisch einen Piloten verschlissen hat. Dabei gab es in jungen Jahren sehr wohl auch zu Piastri Kontakt, wie Red-Bull-Teamchef Christian Horner zu Beginn der Formel-1-Karriere des Australiers mal ausplauderte.
Harte Schule - und noch bessere Lektionen
2017 und 2018 hätte Red Bull durchaus die Option gehabt, Piastri ins eigene Juniorprogramm aufzunehmen, ein Deal kam jedoch nicht zustande. Laut Horner "etwas, das ich immer noch bereue", fuhr der junge Australier doch in beiden Jahren auch noch ausgerechnet für das Arden-Team, das Horner und sein Vater 1997 einst gegründet hatten - und bei dem viele Jahre später schließlich auch wer seine Finger mit im Spiel hatte...? Genau: Mark Webber.
Betrachtet man den Werdegang des Mannes aus Queanbeyan, ist es eigentlich gar keine Überraschung, dass er in der Rolle des Strippenziehers, Managers und Talenteförderers vielleicht noch viel besser aufgehoben ist, als er es hinter dem Lenkrad war: Schließlich kennt kaum einer derart gut die Gesetze, aber auch die Härte, der Branche - und ich rede dabei nicht nur von Marko...
Ist Piastri jetzt WM-Favorit, Hans-Joachim Stuck?
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In einem sehr persönlichen Interview erzählte mir Webber mal, wie ihm 1997 in der Formel 3 das Geld ausging: "Ohne finanzielle Unterstützung aus Australien wäre meine Karriere zu diesem Zeitpunkt tot gewesen", verriet er, dass er sich eigentlich schon damit abgefunden hatte, für seinen Vater Alan zu arbeiten, dem damals ein Motorradgeschäft und eine Tankstelle gehörten: "Auch nicht schlecht, aber nicht das, was ich machen wollte", so Webber, der auch als Pizzafahrer, Klempner und Holzfäller jobbte.
Schließlich bekam er doch noch die Kurve im Motorsport, aber die Erfahrungen prägten ihn seine weitere Karriere lang, bis heute - mit Blick auf die Jugend, ist er deshalb auch eher einer von der harten Schule: "Wenn die Jungen heute über zu erbringende Opfer sprechen, will ich das gar nicht hören. Wenn du davon zu viele hast, dann hast du sowieso nicht genug Leidenschaft und Willen, dann willst du es nicht genug, bist nicht hungrig genug - und andere werden dir in den Arsch treten."
Webber und Piastri: Ein Duo wie die Verstappens?
Es ist genau diese Einstellung, mit der Webber scheinbar auch Piastri erzogen hat, der das gleiche Gefühl erlebt hat wie sein Mentor, als junger Mann in den europäischen Formelserien, weit weg von der Familie und seinem Heimatkontinent: Erfahrungen, die ihn jetzt manchmal so kühl, abgebrüht und hart wirken lässt - vor allem neben Lando Norris.
Kein Wunder sind vor diesem Hintergrund jedenfalls die Worte, die am Sonntag in der Pressekonferenz nach dem Rennen in Dschidda kein Geringerer Weltmeister Max Verstappen in Bezug auf Piastri findet: "Die Leute vergessen das schnell, aber letztes Jahr war erst sein zweites Jahr, jetzt ist es sein drittes - und er ist sehr solide, sehr ruhig in seiner Herangehensweise, mir gefällt das", sagt der Niederländer.
"Es zeigt sich auch auf der Strecke: Er liefert ab, wenn er muss, macht kaum Fehler - und das brauchst du, wenn du um den Titel kämpfen willst", weiß Verstappen nur zu gut, wo all das herkommt: "Ich glaube, Mark an seiner Seite hilft ihm enorm. Das ist großartig, denn Leute lernen aus ihren eigenen Karrieren - das ist das, was ich mit meinem Vater auch hatte, und jetzt leitet Mark Oscar an."
Vielleicht ergeht es Webber am Ende also genauso wie Jos Verstappen - und auch er holt durch die Weitergabe der harten Lektionen, die er selbst einst im Schatten eines großen Champions erlernen musste, mit der nächsten Generation doch noch den Titel in der Formel 1, der ihm damals verwehrt blieb - verdient wäre es allemal.
Euer Frederik Hackbarth