Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Nico Hülkenberg
Nico Hülkenberg und Audi, das hätte ein deutsches Formel-1-Märchen werden können - aber aktuell deutet wenig drauf hin, dass es irgendwann ein Happy End gibt
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

© Getty (Fotomontage: MSN)
Nico Hülkenbergs Sauber-Team fährt in der Formel 1 auch 2025 hinterher Zoom Download
ganz ehrlich: es gibt heute Morgen eine andere Kolumne, die ich gern geschrieben hätte, aber nicht schreiben werde. Zumindest nicht hier, auf der großen Bühne meines Arbeitgebers. Stattdessen habe ich ein paar Gedanken dazu, wie Sophia Flörsch am Wochenende auf Twitter (pardon, X) aus dem Nichts den RTL-Experten Christian Danner unter der Gürtellinie beleidigt hat, auf meiner Facebook-Seite formuliert. Und damit ist dann auch gut. Hier soll es schließlich um Themen gehen, die sportlich relevant sind.
Ich bleibe aber in Deutschland, und zwar bei Audi und Nico Hülkenberg. Der hat bei uns zuletzt im September 2024 "schlecht geschlafen". Einer der ersten Sätze meiner damaligen Kolumne lautete: "Wird Audi ganz und gar nicht so, wie sich Nico Hülkenberg das vorgestellt hat?"
Wird aus dem großen Coup ein großer Flop?
Es hätte alles so schön sein können. Hülkenberg, zweifellos einer der schnellsten Qualifyer der Formel 1 und sicher einer der etabliertesten Fahrer im Feld, landet im Spätherbst seiner Karriere, die eigentlich schon beendet schien, doch noch den großen Coup. Wechselt vom Underdog Haas zum großen Werksteam Audi. Mit der Perspektive, dort endlich das wohlverdiente erste Podium einzufahren und nebenbei nochmal ganz okay Geld zu verdienen. Mit Teams, die ihn nicht oder zumindest nicht pünktlich bezahlt haben, hat er sich schließlich in der Vergangenheit genug geärgert.
Audi kommt zwar werksseitig erst 2026, aber das Sauber-Team gehört heute schon der ikonischen Marke mit den vier Ringen. Aber ein sportlicher Fortschritt war der Wechsel zumindest bisher nicht. Nach drei Rennwochenenden der Formel-1-Saison 2025 hält Sauber in der Konstrukteurs-WM bei sechs und Haas bei 15 Punkten. Das ist am Beginn eines langfristig angelegten Projekts kein Weltuntergang. Aber auch nicht schön.
Um ein Haar hätte Nico Hülkenberg 2021 das Red-Bull-Cockpit bekommen, das letztendlich an Sergio Perez ging. Hätte Perez nicht damals, im Dezember 2020, wie aus dem Nichts in Bahrain gewonnen, wäre vermutlich er in Formel-1-Rente gegangen, und nicht Hülkenberg. Und ich frage mich heute noch manchmal, was Hülkenberg an Max Verstappens Seite gerissen hätte (der letzte Nacht übrigens sehr gut geschlafen hat). Denn ich bin der Meinung, dass sein Fahrstil nicht so schlecht zum schwänzelnden Heck gepasst hätte, mit dem seit Jahren keiner so virtuos umgehen kann wie Verstappen.
Hätte, wäre, wenn. Nico Hülkenberg ist ein straighter Typ. Er interessiert sich nicht dafür, was sein hätte können. Und das ist gut so. Aber es muss zulässig sein, dass sich wir, die wir die Formel 1 und ihre deutschen Protagonisten so hoffnungsvoll beobachten, genau diese Fragen stellen. Angetrieben vom Wunsch, den "Hülk" endlich mal vom Podium strahlen zu sehen. Denn vom fahrerischen Potenzial her ist er wahrscheinlich der Fahrer in der Formel-1-Geschichte, der sich das von denen, die es nie geschafft haben, am meisten verdient hätte.
Warum Audis Chancen nicht groß sind
Die Perspektive, dass es vielleicht doch noch klappt, erscheint mir derzeit eher düster. Sauber fährt weiterhin im Rückwärtsgang, auch seit Audi Andreas Seidl an der Spitze des Teams durch Mattia Binotto ersetzt hat. Und hinter den Kulissen kommt keine Ruhe rein. Obwohl Audi 2024 Anteile an Katar verkauft hat, um die finanzielle Last nicht allein tragen zu müssen, verstummen die Stimmen im Konzern nicht, die die Formel 1 für keine so tolle Idee halten. Und selbst Binotto habe sich seinen Job anders vorgestellt, hört man. "Audi ist nicht wie Ferrari", erzählte mir ein Kenner der Marke vor ein paar Tagen.
Die Nörgler im Konzern fragen sich, wie es sein kann, dass das Auto immer noch hoffnungslos hinterherfährt. Sie fragen sich, warum James Key, der dafür letztendlich die technische Verantwortung trägt, nicht längst gefeuert wurde, sondern Andreas Seidl gehen musste. Und sie wundern sich darüber, dass nächste Woche in Bahrain allen Ernstes über eine Rückkehr des V10-Saugmotors diskutiert wird. Schließlich war der Volkswagen-Konzern, zu dem die Marke Audi gehört, der Treiber hinter dem Powerunit-Konzept mit 50 Prozent elektrischer Systemleistung, das 2026 in der Formel 1 kommen wird.
Immer zur falschen Zeit am richtigen Ort
Nico Hülkenberg ist schon für ein paar Teams Formel 1 gefahren, die irgendwann mal sehr erfolgreich waren. Williams, Renault - beinahe für Ferrari und Red Bull. Aber er war bisher stets zur falschen Zeit am richtigen Ort. Story of his Life. Die Sache mit Audi hatte eine gute Chance, der krönende Abschluss einer ungekrönten Karriere zu werden. Redemption, quasi. Spät, aber doch.
Stand heute fehlt mir realistisch betrachtet allerdings die Fantasie dafür, wie Audi kurz- bis mittelfristig erfolgreich werden soll. Zu groß ist der Rückstand auf die Spitze der Formel 1. Ja, die Regeln werden 2026 neu gewürfelt. Aber die Würfel, die Audi in den Becher gibt, sind von der Augenzahl her niedriger als die von Mercedes, Ferrari & Co. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, mit zwei Würfeln eine Zwölf zu würfeln, während die anderen mit drei Würfeln nur auf eine Elf kommen. Aber sehr wahrscheinlich ist es nicht.
Vielleicht liege ich aber auch falsch. Vielleicht wird jetzt, wo nach Binotto auch Jonathan Wheatley bei Sauber in Hinwil angekommen ist, alles anders. Vielleicht setzen sich bei Audi nicht die Formel-1-Skeptiker durch, sondern das Team wird schneller erfolgreich als gedacht, und am Ende lachen die, die immer schon an das Projekt Königsklasse geglaubt haben.
Wobei einige von denen ja gar nicht mehr da sind. Markus Duesmann, damals CEO der Marke, ist ebenso weg wie Oliver Hoffmann, der frühere Vorstand für Forschung und Entwicklung, in dessen Ressort das Formel-1-Projekt zu Hause war. Ich frage mich: Wer kämpft am Ende für das Audi-Projekt, wenn im Konzern doch wieder die alten Fragen gestellt werden, ob das alles so, wie es gerade läuft, wirklich Sinn ergibt?
Nico Hülkenberg tut mir leid. Er hätte sich etwas Besseres verdient als eins der derzeit schlechtesten Autos der Formel 1.
Euer
Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.