• 17. März 2025 · 03:20 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Lewis Hamilton

Mäuschen am Boxenfunk: Was die Kommunikation mit Riccardo Adami darüber verrät, wie viel Lewis Hamilton im und über den Ferrari noch lernen muss

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

Foto zur News: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton hatte sich seine Premiere bei Ferrari vermutlich anders vorgestellt Zoom Download

vor ziemlich genau einem Jahr, am 10. März 2024, habe ich in dieser Kolumne geschrieben, dass John Elkann, Vorsitzender von Ferrari, mit der Verpflichtung von Lewis Hamilton "endlich das bekommen hat, was er schon immer wollte. Aber womöglich zu einem überteuerten Preis und mit einem bereits überschrittenen Mindesthaltbarkeitsdatum."

Es gibt Situationen im Leben, da würde man sich gern irren. Ehrlich. Aber der Saisonauftakt der Formel 1 2025 in Australien hat wenig dazu beigetragen, meine Einschätzung von damals ernsthaft in Frage stellen zu müssen.

Lewis Hamilton ist Jahrgang 1985 und damit 40 Jahre alt. Als er seine bisher letzte WM gewonnen hat, 2020, war er 35.

Was 40+ für Leistungssportler bedeutet

Ich selbst bin heute frischgebackene 43. Mit Mitte 30 habe ich noch 30-Kilometer-Läufe aus dem Ärmel geschüttelt, als gäbe es kein Morgen. Und an Rennwochenenden notfalls mit drei bis vier Stunden Schlaf auszukommen, war auch kein Problem. Das ist heute anders. Die Zeit nagt an der Physiologie, und auch wenn Lewis Hamilton seinen Körper sicher besser behandelt hat als ich (und vor allem auch nicht unter totaler Missachtung von ausreichend Bewegung und gesunder Ernährung fett geworden ist), so kann selbst er, ein siebenmaliger Weltmeister und Könner seines Fachs, die Regeln der Biologie nicht ganz aushebeln.

Charles Leclerc war in Melbourne, daran besteht kein Zweifel, der schnellere Ferrari-Pilot. Und wusste mit dem roten Flitzer auch besser umzugehen. Was kein Wunder ist. Für Leclerc ist 2025 bereits die siebte Saison im Ferrari. Hamilton lernt das Auto hingegen gerade erst kennen. Selbst die schärfsten Kritiker können nicht erwarten, dass er den SF-25 nach nur eineinhalb Testtagen in Bahrain und drei Freien Trainings in Australien perfekt durchschaut.

Boxenfunk zeigt das Ausmaß der Unsicherheit

Es war aufschlussreich, seinen Boxenfunk durchzuhören, um das Ausmaß der Unsicherheit zu verstehen, mit dem er im ersten Rennen zu kämpfen hatte. Das begann schon vor dem ersten Start, als Hamilton wissen wollte: "Wie ist der Flügel im Vergleich zum anderen Auto eingestellt?" Worauf ihm sein Renningenieur Riccardo Adami mitteilte, dass Leclerc "vier Klicks mehr als wir" fahre. Hamilton ging trotzdem genau in die entgegengesetzte Richtung und bestellte zwei Klicks weniger.

Mehr Anpressdruck bedeutet im Regen üblicherweise mehr Pace, und so verwundert es nicht, dass Hamilton im ersten Stint auf Intermediates um durchschnittlich mehr als eine halbe Sekunde pro Runde langsamer war als sein Teamkollege.

Bitte nicht falsch verstehen: Zu erwarten, dass er Leclerc auf Anhieb schlagen würde, war vermutlich unrealistisch. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Elkann insgeheim genau darauf gehofft hat. Schließlich konnte 2007 auch niemand erwarten, dass der Formel-1-Rookie Lewis Hamilton den zweimaligen Weltmeister Fernando Alonso von Anfang an ärgern würde. Und trotzdem ist es ihm gelungen. Man kauft einen Lewis Hamilton ein, weil er Dinge möglich machen soll, die andere nicht möglich machen können. Ein Beweis, den er Ferrari bisher noch schuldig geblieben ist.

Das Rennen hatte noch gar nicht richtig begonnen, da konnte man am Boxenfunk schon hören, dass die Kommunikation zwischen Hamilton und Adami nicht so rund läuft, wie der erfolgreichste Formel-1-Fahrer aller Zeiten das von der Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Mercedes-Sparringpartner Peter Bonnington gewöhnt war.

Nach dem ersten Start wurde er von Adami freundlich darauf hingewiesen, dass er die Kupplung länger halten müsse. Was Hamilton noch gut wegsteckte: "Ja, ich hatte einfach Wheelspin, also ..."

Und ihm dämmerte vor dem zweiten Start auch, dass er entgegen seiner ursprünglichen Ansage bei der Flügeleinstellung wahrscheinlich doch mehr in die Richtung gehen muss, die Leclerc eingeschlagen hatte: "Ich hatte kein Heck", berichtete er Adami. "Der Hinterreifen funktioniert nicht." Später wollte er wissen: "Hat das andere Auto auch Probleme mit den Temperaturen hinten?"

Zu hören, dass das nicht der Fall sei, muss für jemanden von Hamiltons Kaliber ein Stich ins Herz gewesen sein. "Er hat hin zu Kurve 5 ein bisschen mehr gepusht und hatte daher bessere Temperaturen. Und Charles hat in Kurve 5 ein Schnappen vermieden, indem er später ans Gas ging."

Das Rennen war noch keine halbe Stunde alt, da fing Hamilton an, leicht genervt zu wirken. Als er Adami etwa aufforderte, er möge bitte "nicht alles wiederholen", und auch die ständigen Hinweise auf einen Modus namens K1 kamen bei ihm nicht gut an: "Jaja, ich weiß schon. Überlasst mir das, bitte."


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Als Adami dann anfing, ihm wie ein Fahrlehrer Instruktionen zu geben ("Um zu verhindern, dass das DRS zu bleibt, schlagen wir Hochschalten und danach DRS vor"), wurde Hamilton einmal sogar kurz etwas lauter: "Überlasst mir das! Bitte, überlasst mir das. Ich lerne das Auto kennen, während wir fahren. Überlasst mir das mit dem DRS. Es ist kein Problem."

Am Ende dann, als das Wetter verrückt spielte und Hamilton seine ersten Führungskilometer in Ferrari-Rot erbte, weil alle anderen an die Box kamen und er auf Slicks draußen blieb, ärgerte sich der Neuzugang darüber, dass man ihn offenbar schlecht informiert habe: "Wir haben viele Positionen verloren. Ihr habt gesagt, es würde nicht viel regnen. Da ist uns eine große Chance durch die Lappen gegangen."

Irgendwann rutschte ihm ein "Shit" über die Lippen, das sein Renningenieur wohl eigentlich nicht hätte hören sollen: "Sorry. Ich habe nicht realisiert, dass der Funk eingeschaltet war." Und nach der Zieldurchfahrt sagte er noch: "Das war nicht so toll. Aber wir kämpfen weiter."

Was das mit Lauda und Schumacher zu tun hat

Es liegt in der Natur der Sache, dass Dinge, die einmal herausragend gut waren, altern. Michael Schumacher fuhr Mitte der 1990er-Jahre im Benetton Kreise um die Konkurrenz, fast wie ein Außerirdischer. 20 Jahre später, im Mercedes, biss er sich am aufstrebenden Nico Rosberg die Zähne aus.

Niki Lauda war Mitte der 1970er-Jahre, als er zu Ferrari kam, wahrscheinlich das Maß aller Dinge in der Formel 1. Dass er 1984 auf McLaren noch ein drittes Mal Weltmeister wurde, hatte er aber nicht seinem Speed zu verdanken, sondern seiner Cleverness - und, zugegeben, selbst aus österreichischer Sicht, auch ein bisschen dem Glück. Der junge Alain Prost war eigentlich schon der Schnellere der beiden.

Du kannst dir das beste und teuerste Wagyu-Filet kaufen, aber nach zehn Jahren im Gefrierschrank wird es nicht mehr so saftig sein wie am Anfang. Es gibt Naturgesetze, die kann man nicht aushebeln. Auch nicht, wenn man Lewis Hamilton ist.

Gleichzeitig macht jeder einen Fehler, der ihn nach nur einem Rennwochenende im Ferrari abschreibt. Ich tue das nicht. Es ist keine vier Jahre her, dass Hamilton Ende 2021 auf dem höchsten Leistungsniveau gefahren ist, das ich je von einem Formel-1-Fahrer selbst miterlebt habe. Wenn alles zusammenpasst, kann er dieses Niveau wieder erreichen. Auch mit einem roten Auto.

Nur: Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass alles so zusammenpasst, die nimmt mit jedem Jahr, das er älter wird, ein kleines bisschen ab.

Euer
Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.

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