Meinung: Was es bedeutet, wenn Lewis Hamilton sogar Mama & Papa mitbringt
Lewis Hamilton und Ferrari, kann das klappen? Wie waren seine ersten Tage in Rot? Das analysieren einige der renommiertesten Journalisten aus Italien ...
(Motorsport-Total.com) - Die italienischen Motorsportjournalisten, in Deutschland früher oftmals flapsig als "Spaghettipresse" diskreditiert, gehören zu denjenigen Medienmachern im Formel-1-Paddock, die den öffentlichen Diskurs am stärksten prägen. Der italienische Journalismus ist meinungsstark und oft zugespitzt, aber gleichzeitig extrem kompetent.
Vor allem, wenn es um ein Thema geht: Ferrari. Die italienische Scuderia ist zwar im Bereich der Kommunikation längst global aufgestellt, doch viele italienische Journalisten haben auch anno 2025 noch besondere Zugänge nach Maranello, die außerhalb Italiens kaum ein anderer Journalist hat.
Umso interessanter ist, einen Tag vor Beginn der Formel-1-Wintertests in Bahrain, der Blick unserer italienischen Kollegen aus dem Motorsport Network auf Ferrari und Lewis Hamilton. Also haben wir unseren Kollegen von Motorsport.com Italien drei Fragen über die Traumehe gestellt, die erst vor ein paar Tagen offiziell begonnen hat.
Wie reagierte die italienische Öffentlichkeit?
Roberto Chinchero: "Ich kann mich an nichts Vergleichbares in der Vergangenheit erinnern. Ferrari ist es gewohnt - wenn nicht gar verwöhnt -, dass große Champions zum Team stoßen. Wir haben es mit Fernando Alonso gesehen, mit Sebastian Vettel. Und davor mit Michael Schumacher, der zur Legende wurde. Der Unterschied bei Lewis ist, dass er bereits eine Legende ist - und nun eine andere Legende heiratet. Die Reaktion der Fans war außergewöhnlich. Als er in Fiorano erstmals das neue Auto fuhr, waren 7.000 Menschen vor Ort - das hat es noch nie gegeben. Fiorano hat keine Tribünen, es war ein Mittwoch, mitten in der Arbeitszeit, es war eiskalt - und doch kamen die ersten Fans bereits um fünf Uhr morgens, um sich einen guten Platz zu sichern. Das sagt alles."
Franco Nugnes: "Die Formel 1 war lange Zeit nicht mehr auf den Titelseiten der Zeitungen vertreten, doch nun erleben wir eine Rückkehr zu den Zeiten von Gilles Villeneuve in den frühen 80er-Jahren. Hamilton hat nicht nur die Fans, sondern auch das gesamte Ferrari-Team für sich gewonnen. Sie hängen an seinen Worten. Und das überrascht nicht: Als siebenmaliger Weltmeister genoss er bereits höchsten Respekt - doch viele sahen ihn bislang als potenziellen Killer von Michael Schumachers Rekorden. Nun, da er in Maranello angekommen ist, hat sich diese Perspektive vollkommen gewandelt. Jetzt wird er als der Mann gesehen, der das springende Pferd zurück zum Ruhm führen und Schumachers Vermächtnis fortsetzen soll."
Gianluca d'Alessandro: "Er hat eine neue Begeisterung entfacht - nicht nur unter den Fans, sondern auch in den großen Medien. Sein Wechsel zu Ferrari zeigt, dass ein Fahrer seines Kalibers bereit ist, sich dieser Herausforderung zu stellen, diesen Traum zu leben und mit Ferrari zu siegen - nach all den Jahren, in denen anderen Champions dieses Kunststück nicht gelungen ist. Niemand in Italien hätte erwartet, dass er vor dem Ende seiner Karriere diesen Schritt wagt. Wir dachten alle, er würde seine Formel-1-Geschichte mit Mercedes beenden - doch nun kommt er nach Maranello. Und er ist glücklich, er ist begeistert - und das überträgt sich auf die Fans. Sie fühlen, dass sie denselben Traum mit ihm teilen: ihn mit Ferrari siegen zu sehen. Sie spüren, dass er nach Maranello gekommen ist, weil er Geschichte schreiben will."
Roberto Chinchero: "An seinem ersten Tag in Maranello war er mit seinen Eltern dort. So etwas tut man nur, wenn es einem wirklich etwas bedeutet. Man will diese Momente mit den engsten Vertrauten teilen - und wir sahen, dass Anthony Hamilton dabei war, seine Mutter ihn mit dem Handy filmte. Sie war auch dort, als er die Fans begrüßte. Das sagt viel aus - nicht nur über Lewis, sondern auch über die italienischen Fans. Sie sehen, wie leidenschaftlich er ist - und das berührt sie. Denn er ist ein siebenmaliger Weltmeister. Er müsste all das nicht tun. Doch man spürt, dass es für ihn ein wahr gewordener Traum ist. Für mich gab es vier Fahrer beim F1-Launch in London, die vor Begeisterung strahlten: Gabriel Bortoleto, Andrea Kimi Antonelli, Isack Hadjar - und Lewis Hamilton. Es ist fast, als würde er diese Erfahrung mit der Aufregung eines Rookies erleben. Und ich glaube nicht, dass Lewis ein so guter Schauspieler ist. Es sieht ganz danach aus, als wäre es sein echtes Empfinden. Er hat in der Formel 1 schon viele Träume verwirklicht - aber jetzt lebt er einen neuen."
Franco Nugnes: "Hamiltons Kommunikationsfähigkeit ist außergewöhnlich: Innerhalb weniger Tage ist er zum Mittelpunkt der Ferrari-Welt geworden. Er besuchte selbst die entlegensten Abteilungen des Rennstalls, schüttelte Hände, gab Autogramme - und zog sogar John Elkann an Orte, an denen der Präsident zuvor noch nie gewesen war. Zudem hat er sofort den Kontakt zu den italienischen Fans gesucht und sein echtes Interesse am Dialog gezeigt. Doch eines sollte er langfristig bedenken: Maranello schätzt es nicht, wenn jemand droht, die Ferrari-Legende in den Schatten zu stellen."
Giacomo Rauli: "Ich sehe keinen besonderen Grund, von seinem Auftreten und seiner Haltung beeindruckt zu sein. Lewis ist siebenmaliger Weltmeister, seit 2007 in der Formel 1 - er weiß genau, wie wichtig es ist, das Team hinter sich zu bringen und von den Fans akzeptiert zu werden. Er ist klug - und er wird sich eine Garage mit Charles teilen, der nicht nur seit 2019 Ferrari-Pilot ist, sondern auch aus der Ferrari-Akademie stammt. Wenn Lewis die Führungsrolle übernehmen will, ist das der einzige Weg."
Wie schnell wird er sich an ein nicht britisches Team gewöhnen?
Roberto Chinchero: "Was die Teamstruktur betrifft, gibt es heutzutage kaum noch Unterschiede zwischen den Rennställen. Die Arbeitsweise ist sehr ähnlich. Auch das Personal stammt aus der ganzen Welt - Ferrari mag ein italienisches Team sein, doch es gibt dort viele Briten, Deutsche und Franzosen. Was jedoch anders ist: Bei Ferrari steht man unter noch größerer Beobachtung, der Druck ist enorm. Aber ich denke, die größere Herausforderung liegt bei Leclerc. Denn während Lewis nach Maranello gekommen ist, um seine Karriere in der Formel 1 zu vollenden, muss Charles beweisen, dass er die Zukunft des Teams ist."
Giacomo Rauli: "Ich glaube nicht, dass es für Lewis ein Problem sein wird. Er ist zwar Brite, aber im Grunde ein Weltbürger. Er lebt in Monte Carlo, reist ständig und hat viele verschiedene Kulturen kennengelernt. Ich bin mir sogar sicher, dass er das Team und das Umfeld genießen wird."
Gianluca d'Alessandro: "Natürlich gibt es Unterschiede zwischen britischen Teams und Ferrari - aber letztlich ist die Art der Arbeit heute sehr ähnlich. Woran sich Lewis gewöhnen muss, sind die Menschen - doch das wird nicht viel anders sein als damals, als er von McLaren zu Mercedes wechselte. Er wird nicht mehr 'Bono' an seiner Seite haben, der ihn in- und auswendig kannte. Er muss eine neue Beziehung zu Riccardo Adami und dem restlichen Team aufbauen - und das braucht Zeit."
Wird die italienische Presse Druck auf ihn ausüben, das Team anzuführen?
Franco Nugnes: "Zunächst wird Hamilton viel verziehen werden, denn er wird als der Erlöser eines Teams gesehen, das seit 18 Jahren keinen Weltmeistertitel mehr gewonnen hat. Das Team und die Liebe der Fans werden es ihm leicht machen, sich als echter Ferrari-Mann zu fühlen."
Roberto Chinchero: "Im Moment ist alles fantastisch. Die italienischen Medien begegnen ihm mit großem Respekt und schätzen, wie er sich dem italienischen Publikum und den Fans vorgestellt hat. Dass er sich bemüht, Italienisch zu sprechen - auch wenn sein Wortschatz derzeit nur einige hundert Wörter umfasst - wird ebenfalls positiv aufgenommen. Letztes Jahr haben nicht alle verstanden, warum Carlos Sainz gehen musste. Doch selbst er akzeptierte letztlich, dass er nicht einfach durch irgendeinen Fahrer ersetzt wurde, sondern durch Lewis Hamilton. Ich glaube, was für Carlos schwerer zu akzeptieren war, ist nicht, dass Hamilton seinen Platz bei Ferrari übernimmt, sondern dass drei andere Topteams freie Cockpits hatten und ihn nicht kontaktierten. Doch mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, auch in den italienischen Medien, dass Hamilton und Ferrari eine besondere Kombination sind. Was als Nächstes passiert, wird dann mehr von der Stoppuhr bestimmt. Aber das erste Kapitel dieser Geschichte - das noch ohne Motorengeräusche - war perfekt."
Gianluca d'Alessandro: "Wir sind uns wohl alle einig, dass die Medien eine der größten Herausforderungen für einen Ferrari-Piloten sind. Denn in Italien gibt es Ferrari - und dann gibt es die anderen Teams. Die Menschen wachsen mit der Marke auf und finden über Ferrari ihre Leidenschaft für den Sport. Selbst wenn sie irgendwann erkennen, dass es in der Formel 1 mehr gibt als nur Ferrari, bleibt es etwas Besonderes. Die Aufmerksamkeit, die Ferrari erhält, gleicht fast der einer Nationalmannschaft im Fußball. Dadurch ist der Druck ungleich höher. Doch Hamilton weiß, wie man mit den Medien umgeht - und Ferrari wird alles tun, um ihn so gut wie möglich zu schützen. Ich stimme allerdings zu, dass es Leclerc sein könnte, der den größten äußeren Druck spürt. Ja, Lewis ist nach Maranello gekommen, um Geschichte zu schreiben - aber er ist bereits eine Legende des Sports. Charles hingegen gehört zu den besten Fahrern im Feld, er liebt Ferrari und möchte nach all den Jahren voller Hoffnungen derjenige sein, der den Titel nach Maranello zurückbringt. Doch wenn Lewis ihn schlägt, wo steht er dann, selbst mit einem langfristigen Vertrag? Und was bedeutet das für die Zukunft Ferraris? Auch er steht vor einer gewaltigen Herausforderung."