Letzte Nacht in London: Warum man sich die F1-Show hätte sparen können
Hat sich die Formel 1 mit ihrer Show "F175" in London wirklich einen Gefallen getan? Stefan Ehlen meint: Da war wenig "Königsklasse" dabei, aber viel "fake"
(Motorsport-Total.com) - War das "Königsklasse", liebe Leser?
Ich finde: Nein, das war es nicht. Und ich möchte euch gerne erklären, was mir an der Formel-1-Show "F175" in London nicht gefallen hat, und warum ich glaube, die Formel 1 hätte sich den Aufwand sparen können.
Aber vieles kann man so oder so sehen. Deshalb empfehle ich euch nach der Lektüre meines Artikels noch das Gegenstück meines Kollegen Christian Nimmervoll. Denn er hat die Formel-1-Show ganz anders wahrgenommen als ich.
"Nur" ein Millionenpublikum
Und da sind wir auch schon mittendrin im Thema: Laut Formel-1-Angaben haben insgesamt 4,6 Millionen Personen den YouTube-Livestream zur Show verfolgt.
Das klingt nach viel, ist es aber nicht - schon gar nicht bei einem englischsprachigen YouTube-Stream, der theoretisch in aller Welt verfolgt werden konnte. Zum Vergleich: Wenn ein Grand Prix bei RTL im Free-TV läuft, dann schauen im Schnitt 1,6 Millionen zu. Nur in Deutschland.
Natürlich: Der Formel-1-Stream lief am Dienstagabend auch auf anderen Plattformen, teilweise vor, teilweise hinter der Bezahlschranke (so wie bei Sky im Pay-TV). Aber das ist bei normalen Rennübertragungen genauso, und da sind die Zuschauerzahlen auch nicht mehr das, was sie noch vor Jahrzehnten waren.
So ehrlich muss man sein: Dann sind die jetzigen Stream-Zahlen eher mau. Vor allem, wenn die Formel 1 selbst gar keine Daten von anderen Streaming-Plattformen verkündet, sondern nur die YouTube-Kennzahlen nennt. Ich bin mir sicher: Da hat man deutlich mehr erwartet.
Neue Autos ja, nein, vielleicht?
Vielleicht hat das Grundkonzept der Veranstaltung nicht verfangen. Mich jedenfalls hat es nicht überzeugt: Wo ist der Mehrwert eines Livestreams, bei dem das Kernprodukt - die Autos - "fake" sind? Die Formel 1 hat tatsächlich alte Fahrzeuge mit neuer Folierung auf die Bühne gerollt, und das nur gut eine Woche vor den Wintertests in Bahrain, wo die neuen Autos ohnehin bereit sein müssen.
Geheimniskrämerei wird groß geschrieben in der Formel 1, schon klar. Man will bloß nichts vorschnell preisgeben. Aber teilweise waren sich die Teams ja nicht zu schade, im Moment der Live-Präsentation mit dem alten Fahrzeug das neue Fahrzeug digital in den sozialen Netzwerken vorzustellen. Das führt die ganze Veranstaltung ad absurdum, zumal wir ja bereits neue Autos auf der Rennstrecke gesehen hatten.
Und Haas hat das "Design-Embargo" sogar doppelt gebrochen: Am Sonntag war das US-Team bei seinem Shakedown in Silverstone bereits in den neuen Farben unterwegs, worauf McLaren und Williams wenige Tage vorher an gleicher Stelle noch verzichtet hatten. Und während der Show hat Haas schon erste Bilder vom VF-25 gepostet, da war das "Auto" auf der Bühne noch nicht mal enthüllt.
Wenn man dann noch bedenkt, dass es schon vor dem 18. Februar Autopräsentationen gab und dass es nach dem 18. Februar noch Autopräsentationen gibt, dann darf man sich schon fragen: Und wozu das Ganze?
Es ging nie um die Autos, sondern ...
Aber es ging bei der Formel-1-Veranstaltung in London auch nie um die Autos, sondern nur um eine Show für Partner und Sponsoren. Und darum, sich im Glanz vieler Promis und VIPs zu sonnen. Das hat prima funktioniert, wie bei den Rennwochenenden: Da ist die Liste der Künstler, Sportler, Schauspieler und sonstiger Influencer auch immer um Welten länger als die der Rennteilnehmer.
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Das hat man gleich zu Beginn gesehen: Von den diversen Medienrunden am Nachmittag gab es nur eine Handvoll nichtssagender Pressefotos. Erst als es auf den roten Teppich ging, da wollte der Fotostrom gar nicht mehr versiegen. Und nicht das sehenswerte Trailer-Video mit historischen Formel-1-Szenen war der "Aufmacher" des Abends, sondern the artist formerly known as Machine Gun Kelly.
Prioritäten halt: Es hätte also jede x-beliebige Abendveranstaltung im Fernsehen sein können, wäre da nicht das übergroße Formel-1-Logo im Hintergrund gewesen.
Das illustriert ganz gut, was die Formel 1 erreichen will: ein Mainstream-Publikum. Das hat wahrscheinlich auch geklappt. Es kann sich jedenfalls niemand darüber beschweren, dass es in der Show in London "zu technisch" oder "zu trocken" zugegangen ist oder dass man vor lauter fragwürdiger Regeln nicht mitgekommen wäre. Ob man sich von dieser Oberflächlichkeit "abgeholt" gefühlt hat, muss jeder selbst entscheiden.
Wie fad kann man sich eigentlich präsentieren?
Ich frage mich da nur: Kann man dem Mainstream-Publikum denn nicht etwas mehr zumuten als sinnlose Plattitüden? Man ist von Lance Stroll ja wirklich keine rhetorischen Heldentaten gewohnt, aber selbst für seine Verhältnisse war das schwach. Und er war kein Einzelfall: So, als wüssten die Beteiligten gar nicht, was sie auf der Bühne eigentlich erzählen sollen.
Das hat sich teilweise auch in den Showbeiträgen widergespiegelt, und das halte ich für ein Armutszeugnis: Die Teams hatten wochenlang Zeit, um sich auf ihre sieben Minuten Bühnenzeit vorzubereiten. Und dann sieht man - neben einigen tollen Beiträgen - in einem epischen Clip, wie Racing Bulls einigen Passanten in der Londoner Innenstadt seinen Namen verklickern muss.
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Vielleicht liegt das daran, was sich wie ein roter Faden durch den Dienstagabend gezogen hat: Der Formel 1 ist die Authentizität abhandengekommen. Vieles wirkt nur noch aufgesetzt, ist nicht mehr "echt". Da war viel Künstlichkeit im Spiel in London.
In die erste Reihe - quasi auf die Poleposition - hat man sich trotzdem selbst gesetzt, und nicht die 15.000 Vor-Ort Fans. Bezeichnend, aber nicht anders als an der Rennstrecke: Dort verweilen die hohen Damen und Herren in den eigens angekarrten Luxusdomizilen - und den Fans verwehrt man den Zugang zum Fahrerlager. Irgendwie albern.
Albernheiten an allen Ecken und Enden
Albern und noch dazu überdreht erschien mir Moderator Jack Whitehall. Ich habe mich während der Show mehrfach gefragt: Will die Formel 1 wirklich für billige Witze und Belanglosigkeiten stehen? Das war selbst einigen Anwesenden irgendwann sichtlich "zu viel".
Womit wir wieder bei der Frage nach dem Zielpublikum angelangt wären. Und natürlich ist mir am Dienstagabend schnell klar geworden: Ich bin es nicht. Der Gedanke ist sicherlich auch der Generation rund um Flavio Briatore und Emerson Fittipaldi gekommen. Es stand ihnen zumindest ins Gesicht geschrieben.
Ich für meinen Teil hätte mir einfach etwas mehr Normalität gewünscht - und neue Autos. Weniger aufgesetztes lustig sein, mehr echte Persönlichkeiten. Das hätte der Veranstaltung einen würdigen Rahmen verliehen. Möglich wäre es gewesen. Und man müsste sich hinterher nicht fragen: Was genau wollte die Formel 1 mit ihrer Showveranstaltung eigentlich bewirken?
Aber das habt ihr vielleicht ganz anders empfunden. Und das ist auch völlig in Ordnung.
Euer
Stefan Ehlen