FIA-Gala in Ruanda: WM-Pokal aus den Händen eines Autokraten
Max Verstappen und Andrea Stella wurden in Kigali mit den WM-Pokalen 2024 ausgezeichnet, doch einmal mehr gibt es Kritik an der Inszenierung der FIA-Gala
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
© FIA (YouTube)
Formel-1-Weltmeister Max Verstappen mit Paul Kagame, dem Präsidenten von Ruanda Zoom Download
das war sie also, die FIA-Gala 2024, mit der feierlichen Krönung von Max Verstappen und McLaren als Weltmeister. Eigentlich würden wir an dieser Stelle gern eine Story drüber veröffentlichen, was für ein würdiger Abend das war, mit tollen Fotos von der Preisverleihung und den besten Aussagen aus den Weltmeister-Pressekonferenzen. Aber leider hat die FIA-Gala mal wieder einen Schönheitsfehler.
Der Event wurde von der FIA auf YouTube gestreamt, und im Peak schauten gerade mal rund 55.000 Menschen zu. Das war in dem Moment, als Zak Brown und Andrea Stella die Trophäe für den Konstrukteurs-Weltmeister entgegennahmen. Als dann ein paar Minuten später Verstappen mit dem Fahrerpokal ausgezeichnet wurden, waren immerhin noch 53.000 Zuschauer live dabei.
Das ist nicht viel für einen weltweit so populären Sport wie die Formel 1, aber auch nicht weiter verwunderlich, wenn man den Stream (das Wort "Live-" spare ich an der Stelle bewusst aus) von Anfang an mitverfolgt hat, über die komplette Dauer von drei Stunden. Schon der ziemlich lieblose Zusammenschnitt völlig inhaltsleerer Interviews am sogenannten "Blue Carpet" dürfte für hohe Absprungraten auf YouTube gesorgt haben, bevor es überhaupt losging.
Kritik an der Inszenierung im Livechat auf YouTube
Das "exciting new Format", das man im Vorfeld angekündigt hatte, wurde dann irgendwie nie so richtig "exciting", und was genau daran neu gewesen sein soll, erschließt sich mir auch nicht ganz. Im Livechat gaben die Zuschauer Kommentare ab wie "Das ist so peinlich", "Bitte schmeißt MBS [Mohammed bin Sulayem] raus" oder "Was zur Hölle ist da los?".
Als die drei Stunden zu Ende waren, schrieb ein User dann auch noch: "Das war eine große Propagandashow vom regierenden Diktator von Ruanda." Denn als Verstappen zum Schluss der Gala, als krönender Höhepunkt, als neuer Formel-1-Weltmeister ausgezeichnet wurde, erhielt der den Pokal nicht etwa aus den Händen des FIA-Präsidenten oder aus jenen von Formel-1-CEO Stefano Domenicali, sondern er wurde ihm von Paul Kagame überreicht.
Kagame ist jener Mann, der das Gastgeberland Ruanda seit 2000 mit strenger Hand regiert und durch Änderungen der Verfassung die Möglichkeit geschaffen hat, bis 2034 an der Macht zu bleiben. Er genießt in westlichen Demokratien einen zumindest zweifelhaften Ruf, weil ihm vorgeworfen wird, politische Opposition zu untergraben, notfalls auch mit Gewalt.
Die Sache mit den freien Medien findet Kagame auch nicht so toll, weshalb es irgendwie ins Bild passt, dass die Pressekonferenzen, die normalerweise immer vor der FIA-Gala stattgefunden haben, 2024 einfach gestrichen wurden. Zugegeben, deren inhaltlicher Wert war schon die letzten Jahre nur noch gering. Was aber auch daran lag, dass die FIA dem weichgespülten PR-Gelaber von Host Tom Clarkson so viel Platz einräumte, dass für Fragen der Presse ohnehin kaum noch Raum blieb.
Schwamm drüber, so ein Abend am Jahresende darf dann auch mal dazu dienen, die Champions des Motorsports eher unkritisch zu feiern. Und es ist ja auch kein Geheimnis, dass sich auch die Fahrer etwas Schöneres vorstellen können, als gerade mal fünf Tage nach dem letzten Rennen nochmal Fragen von Journalisten zu beantworten, die eigentlich genauso lieber schon in den Weihnachtsferien wären wie sie selbst.
Emotionaler Moment beim Lebenswerk-Award
Es gab auch ein paar schöne Momente am letzten großen Motorsportabend des Jahres 2024. Etwa als Michele Mouton für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Die wahrscheinlich beste Motorsportlerin aller Zeiten wusste im Vorfeld nichts davon, dass ihr dieser Preis überreicht werden würde, und so entstand für einen kurzen Moment so etwas wie Authentizität und Emotion. Auch im Publikum, das die Rallyelegende mit Standing Ovations feierte.
Ich persönlich fand auch den Moment ehrlich rührend, als Tom Clarkson zwischendurch die afrikanische Rallyefahrerin Queen Kalimpinya interviewte, die ihr Glück kaum fassen konnte, den ein paar Meter weiter freundlich lächelnden Max Verstappen einmal "mit meinen eigenen Augen zu sehen. All die Leute, die ich sonst nur im TV sehe!"
Ein Moment, der zeigt, wie wichtig und richtig es ist, dass sich die Formel 1 und die FIA nach Afrika öffnen, und wie gut es im Grundsatz wäre, bald in Ruanda einen Grand Prix zu fahren. "Wir können es gar nicht erwarten, einen Grand Prix in Afrika zu sehen", sagte Queen Kalimpinya. Endlich war Afrika mal, zumindest für einen Abend lang, der Nabel des internationalen Motorsports.
Es ist schade, dass der Funke irgendwie nicht so richtig übergesprungen ist bei dieser Gala, deren historische Bedeutung als die erste ihrer Art auf afrikanischem Boden gar nicht hoch genug gewürdigt werden kann. Und es gehört zur Wahrheit dazu, dass der oftmals als exzentrisch beschriebene FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem daran einen großen Anteil hat.
Formel 1 und Afrika: Es ist an der Zeit!
Die Gastgeber in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda, bereiteten einen würdigen Rahmen mit einer festlichen Bühne, die denen früherer Galas in Wien oder Paris um nichts nachstand und diese wahrscheinlich sogar noch übertraf. Dass dabei auch Ruandas Kunst und Kultur abgebildet wurde, mit Auftritten von afrikanischen Acts, ist toll. Schließlich wollen wir dieses Land und diesen Kontinent besser kennenlernen.
Was man sich meiner Meinung eher sparen hätte können, waren offensichtlich geskriptete PR-Interviews, in denen Regierungsvertreter erzählen durften, warum man unbedingt nach Ruanda reisen soll. Und ob man einem Präsidenten mit so zweifelhafter Bilanz in Sachen Menschenrechten eine so große Bühne bereiten sollte, sei auch dahingestellt. Es wird jedenfalls nicht helfen, die Kritiker ruhigzustellen, die der FIA vorwerfen, Ruandas Komplize in Sachen "Sportswashing" zu sein.
Aber das soll keine Schelte sein. Ich bin mir ziemlich sicher, ich spreche mit der Stimme von Millionen von Motorsportfans auf der ganzen Welt, die den Menschen in Ruanda und in ganz Afrika die Hand ausstrecken und sich wünschen, den Motorsport in Zukunft gemeinsam feiern zu können. Ob diese Hand auch für Präsident Kagame und seine autokratische Regierung ausgestreckt ist, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Es ist die europäische und auch ein bisschen deutsche Arroganz, manchmal auf andere Teile der Welt zu blicken, zu meckern und sich insgeheim zu denken: "Wir hätten das besser hingekriegt als die armen Teufel." Aber Kigali und die Menschen, die die FIA-Gala organisiert haben, haben einen sensationellen Job gemacht und einen wunderschönen Rahmen geschaffen. Das hätten auch Wien und Paris nicht besser hinbekommen.
Dass der Abend dann ein wenig "cringe" wurde, obwohl der FIA-Präsident diesmal in keine Fettnäpfchen getreten ist, ist nicht die Schuld der Menschen in Ruanda, sondern liegt an der eher lieblosen Inszenierung seitens der FIA. So findet es zum Beispiel ein Fan "einfach nur traurig", dass viele der ausgezeichneten Champions in "Massenabfertigung mit ihren Pokalen abgespeist und schnell wieder von der Bühne gejagt" wurden.
So gab es dann auch, anders als bei den Oscars, keine tränenreichen Reden, sondern nur einen Imagefilm nach dem anderen, unterbrochen von eher hektisch anmutenden Preisverleihungen und ein paar spannenden Momenten am Rande, etwa als sich Christian Horner gemeinsam mit seiner Ehefrau Geri präsentierte oder Bernie Ecclestone vom FIA-Präsidenten dessen 2022 eingeführte Innovationsmedaille verliehen bekam, ohne dass Bernie freilich persönlich anwesend war.
Und eine gute Nachricht hatte der Tag dann ja doch noch: Die FIA beendet das Jahr 2024 mit einem operativen Gewinn von 2,2 Millionen Euro - eine, wie es in der Presseaussendung heißt, "bemerkenswerte Verbesserung" zu 2021, als Mohammed bin Sulayem den Verband mit einem Jahresminus von 24 Millionen Euro übernommen hat.
Da wissen die Formel-1-Fahrer ja wenigstens, wofür sie ihre Geldstrafen bezahlen.
Euer
Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.