Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Guanyu Zhou
Seine Punkte im vorletzten Rennen der Formel-1-Saison 2024 erlösen Sauber (und Audi): Guanyu Zhou rettet mit P8 in Katar ein eigentlich verkorkstes Jahr
(Motorsport-Total.com) - Formel-1-Schlusslicht Sauber hat im 23. Saisonrennen 2024 seine ersten WM-Punkte in diesem Jahr erzielt. Und Hand aufs Herz, liebe Leser: Das haben wahrscheinlich die wenigsten von uns erwartet, so schwach wie das Team bislang aufgetreten ist. Aber Guanyu Zhou hat es geschafft und mit Platz acht beim Katar-Grand-Prix nicht nur Sauber, sondern auch den künftigen Rennstall-Besitzer Audi erlöst.
Eigentlich ist es die perfekte Story: Erst am Freitag hat Audi einen Teilverkauf seines Teams an einen katarischen Staatsfond öffentlich gemacht und sein Formel-1-Budget damit um geschätzt rund 330 Millionen Euro aufgebessert. Keine zweieinhalb Tage später endet der Katar-Grand-Prix mit dem wichtigsten Sauber-Ergebnis des Jahres und den ersten Punkten. Timing ist eben alles.
Aber ganz so aus dem Nichts kam diese Leistung nicht: Schon 2023 hatte Sauber in Katar eine gute Figur abgebeben, damals noch unter dem Namen Alfa Romeo. Denn Valtteri Bottas hatte im Qualifying den neunten Platz erreicht und war im Grand Prix als Achter direkt vor Teamkollege Zhou in Ziel gefahren. Das bedeutete sechs der insgesamt 16 Punkte in der gesamten Saison 2023.
Die technische Weiterentwicklung stagniert
2024 ist es natürlich noch krasser, denn vor Katar hatte Sauber rein gar nichts vorzuweisen - außer vielen Fehlschlägen und einer technischen Weiterentwicklung am C44, die nur wenig gebracht hat.
Treffend illustriert wird das in unserer Update-Übersicht: Sauber hat am viertmeisten Upgrades eingesetzt, aber bis zum vorletzten Rennwochenende des Jahres kein Top-10-Resultat geschafft. Ein Großteil der Entwicklung ist also verpufft.
Audi in der Formel 1: turbulent bis chaotisch
Das ist eine miese Bilanz dafür, dass wir hier vom künftigen Audi-Werksteam reden. Sie passt aber irgendwo zum bisherigen Audi-Auftreten in der Formel 1.
Denn strategisch war die Saison 2024 für Sauber/Audi mindestens turbulent, wenn nicht sogar chaotisch. Man denke nur an den verpassten Sainz-Transfer, das Aus von Teamgeschäftsführer Andreas Seidl und das (zu) lange nicht besetzte zweite Cockpit.
Alles keine Ruhmesblätter für einen Hersteller, der die Formel 1 erobern will. Und es verfestigt sich dadurch der Eindruck: Es hatte wohl schon seine Gründe, dass sich Sainz gegen Audi und für Williams entschieden hat - zum Beispiel.
Sauber hat Schwächen auch im Cockpit
Dann die (noch) aktuellen Fahrer: Mit dem schlechtesten Auto im Feld tut man sich gewiss schwer, keine Frage. Aber bei Sauber hatte man 2024 mitunter den Eindruck, der Schuh drückt eben auch im Cockpit.
Was sich übrigens auch auf der Transfer-Liste bemerkbar macht, denn da fehlen die Sauber-Fahrer Bottas und Zhou. Nicht, weil sie woanders Stammplätze bekommen hätten, sondern weil sie keiner will: Sauber/Audi nicht und auch niemand sonst. Und das will schon was heißen.
Gute Rennleistung von Zhou in Katar
Das also ist die aktuelle Situation bei Sauber, und in dieser Situation wird Zhou Achter in Katar. Und wo wir gerade viel über Fehlschläge und kleine und große Pannen gesprochen haben, muss man hier sagen: Gut gemacht! Es war sicher eines der besseren Rennen des chinesischen Rennfahrers. Eines, in dem er im Gegensatz zu einigen Formel-1-Kollegen sauber durchgekommen ist.
Natürlich haben Zhou und Sauber von diversen Zwischenfällen profitiert: Mindestens Lando Norris, Lewis Hamilton und Sergio Perez hätten unter normalen Umständen besser abgeschnitten als Zhou und den Sauber-Fahrer damit aus den Top 10 verdrängt. Aber anders als Zhou haben sie es aus unterschiedlichen Gründen nicht verstanden, ein besseres Ergebnis ins Ziel zu bringen.
Er ist kein kommender Weltmeister, aber ...
Machen wir uns nichts vor: Wahrscheinlich halten die wenigsten Formel-1-Beobachter Zhou für einen kommenden Weltmeister. Ich auch nicht. Aber im Katar-Grand-Prix hat er sich ordentlich verkauft in einem Sauber, der zur Abwechslung auch mal ordentlich ging. Das passt schon.
Zhou hat damit seine persönliche Formel-1-Bestleistung aus Kanada 2024 eingestellt und erst zum siebten Mal in 67 Grand-Prix-Einsätzen für Alfa Romeo/Sauber WM-Punkte geholt. (Mehr dazu in der Formel-1-Datenbank!) Und das zu einem für ihn sehr wichtigen Zeitpunkt, schließlich kämpft er um seinen Verbleib in "Königsklasse" als Test- und Ersatzfahrer.
Wie bei Sauber/Audi klafft hier eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Nicht nur Ferrari soll "sehr interessiert" sein an Zhou, quasi das halbe Feld sei hinter ihm her, versicherte Zhou selbst unlängst. Letzteres war zumindest in Katar auf der Rennstrecke der Fall bei insgesamt 15 klassierten Fahrern.
Wenn man Zhou aber an seinen jüngsten Aussagen misst, dann hat er sich mit P8 und vier Punkten einen Bärendienst erwiesen. Denn erst vor einigen Tagen hatte er beklagt, dass er 2024 nicht sein "volles Potenzial" habe demonstrieren können.
Er wünschte sich "eine Chance", um zu zeigen, was er kann, wenn alles mal zusammenpasst. Diese Chance hat er gekriegt und er hat sie genutzt - für sich und für Sauber/Audi. Bei all dem, was 2024 schiefgelaufen ist in Hinwil, hat Zhou damit sicher gut geschlafen. Und vielleicht gilt in seinem Fall deshalb auch, was für Audi und Katar gilt: Timing ist alles. Wir werden sehen!
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Und wer nach dem Rennen in Katar gar nicht gut geschlafen hat? Das erfahrt ihr wie immer in der Schwesterkolumne von Chefredakteur Christian Nimmervoll.
Euer
Stefan Ehlen