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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Lando Norris
Ende eines WM-Kampfes, der vielleicht gar keiner war: Lando Norris geht in der Nacht von Las Vegas endgültig k. o. und muss sich jetzt unangenehme Fragen stellen
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
© Motorsport Images
Ende seiner Hoffnungen: Lando Norris' Titeltraum platzt in Las Vegas Zoom Download
nun ist er also erfolgt, der Titel-K.-o. für Lando Norris. Ausgerechnet in Las Vegas, einer Stadt, die schon viele große WM-Kämpfe gesehen hat, allerdings eher im Boxen. Ich erinnere mich nur an das lange Wachbleiben in der Kindheit für irgendwelche Klitschko-Fights - durchgemachte Nächte, das kann die Zockermetropole in Nevada bekanntlich schon immer am besten.
Für Norris kommt der vorzeitige Knock-out in Runde 22 von 24, um mal in der Boxsprache zu bleiben. Gegen einen mehrfachen Weltmeister, ein Schwergewicht der Formel 1, Max Verstappen.
Und doch stelle ich mir, da dieses Weltmeisterschaftsduell nun vorbei ist, die Frage, ob wir da zwei Athleten in ein und derselben Gewichtsklasse gesehen haben? Kurzum, ob Norris jemals so richtig drin war in diesem WM-Kampf, wie die Medien es zum Verkauf besserer Spannung natürlich hochstilisiert haben.
Verstappen vs. Norris: Kein Duell auf Augenhöhe
Denn vorne lag der Brite im Schlagabtausch nie, die Führung schnappte sich Verstappen schon zu Saisonbeginn, und er gab sie nie mehr ab: 18, 39, 24, 40, 52, 53, 60, 56, 63, 69, 81, 84, 76, 78, 70, 62, 59, 52, 57, 47, 62, 63 Punkte - so viel Betrug der Vorsprung des Red-Bull-Piloten auf seinen Herausforderer nach den jeweiligen WM-Runden, von Bahrain bis nach Las Vegas an diesem Wochenende.
Heißt übersetzt: Meist hatte Verstappen zwei Ausfälle als Polster, teilweise sogar drei, die er sich bei Rennsiegen des Gegners hätte leisten können, um dennoch die Spitze zu behaupten. Die vereinzelten Angriffe Norris' wehrte er stets ab, in Spielberg etwa, als er den McLaren-Star im direkten Duell ein erstes Mal zu Boden schickte.
Während Norris sich im übertragenen Sinne mit seiner Ecke zoffte (die teaminternen Streitereien um Stallorder und "Papaya-Regeln" in Ungarn und Monza), verwaltete der Niederländer seinen satten Vorsprung. Und als Norris endlich die Rückendeckung seines Lagers hinter sich hatte, viel zu spät wohlgemerkt, da packte der amtierende Champion in Austin den Hammer aus und demonstrierte seine Schlaghärte.
Eine Woche später in Mexiko dann auch unter der Gürtellinie. Vom Schiedsrichter kassierte Verstappen dafür eine Ermahnung. Doch als taktisches Stilmittel, um den Gegner einzuschüchtern, reichten die gezielten Attacken des erfahrenen Titelverteidigers allemal aus.
In Brasilien dann versetzte Verstappen seinem Kontrahenten den finalen schweren Schlag. Norris taumelte, sodass in Vegas schon ein kleiner Schubser genügte, um die Sache endgültig zu beenden. Nein, es war unterm Strich absolut kein Duell auf Augenhöhe ...
Norris beeindruckt: "Max hat keine Schwäche"
Das erkannte nach dem Ende all seiner Hoffnungen auch Norris selbst: "Ich bin enttäuscht, dass ich draußen bin. Aber Max hat es verdient, er ist eine bessere Saison gefahren als wir und ich es getan haben, und ja ... Er hat es mehr verdient als sonst irgendjemand, Max hat einfach keine Schwäche", sagt der Brite schulterzuckend. "Wenn er das beste Auto hat, dominiert er. Und wenn nicht, dann ist er trotzdem immer da."
Eine faire Gratulation. Die Anerkennung der übermächtigen Stärke seines Gegners ehrt Norris als Sportsmann. Zeitgleich ist sie aber auch ein Eingeständnis, dass er (noch) nicht bereit war für diesen WM-Kampf mit dem großen Max Verstappen. Denn obwohl er über den Großteil der Saison das im Durchschnitt schnellste Gesamtpaket zur Verfügung hatte, war es am Ende nicht mal knapp.
Durch den schwachen Saisonstart sei man zu spät ins WM-Rennen eingestiegen, um Verstappen noch abzufangen, argumentierte McLaren am Vegas-Wochenende gebetsmühlenartig. Doch das stimmt schlichtweg nicht, wie der Blick auf die Zahlen beweist: 53 Punkte Rückstand hatte Norris nach dem Sieg in Miami, wo McLaren sein Mega-Update einführte - 63 Punkte sind es nach Vegas. Statt aufzuholen verlor der Brite seitdem um zehn weitere Punkte an Boden.
Auch die übrigen Statistiken sprechen nicht für eine titelreife Saison. Den acht Siegen (plus drei Sprints) von Verstappen - den alten und neuen Weltmeister hat mein Kollege Christian Nimmervoll in seiner Schwesterkolumne als frischgebackenen Champion übrigens traditionell gut schlafen lassen - stehen nur drei von Norris gegenüber (plus ein Sprint, der ihm in Sao Paulo von seinem Teamkollegen geschenkt wurde).
Norris nur der drittgrößte WM-Gegner für Verstappen
Damit hat Norris nur einen Grand Prix mehr gewonnen als Oscar Piastri, George Russell, Lewis Hamilton, Carlos Sainz und Charles Leclerc, die alle zweimal anschreiben konnten auf der Siegerliste. Letztgenannter Ferrari-Star hat mittlerweile nur noch 21 Punkte Rückstand auf Norris, und schickt sich mit der Spätform der Scuderia sogar an, ihm auch noch den Vizetitel abzujagen.
Wenn man sich all diese Fakten so anschaut, komme ich deshalb zu einem anderen Schluss: Nein, 2024 war nicht die Saison des großen WM-Fights zwischen Max Verstappen und Lando Norris. Meine steile These lautet vielmehr: Verstappens erster WM-Gegner 2024 war Teamchef Christian Horner, mit der Affäre um seine Person, und allem, was für Red Bull daran hing, vom Newey-Abgang bis hin zu Verstappens Mercedes-Flirt.
Sein zweitgrößter Gegner war er selbst, mit seinem Temperament und Aktionen wie in Mexiko, die allein, bei schlechterem Ausgang, die WM wirklich hätten nochmal öffnen können. Und dann, mit gehörigem Respektabstand, kommt auf Platz drei Lando Norris und sein starkes McLaren-Team.
Wobei man bei Letzterem auch Abstriche machen muss, die nicht allein Norris anzukreiden sind: Bis heute erscheinen einige Entscheidungen der Teamführung zu Saisonmitte sonderbar. Bis heute frage ich mich, warum hat man Piastri so lange tun und machen lassen, was er wollte?
Von Oli Kahn bis Nico Rosberg
Nicht falsch verstehen, auch ich halte viel vom Australier. Aber für eine Titelattacke war er in seiner erst zweiten Formel-1-Saison einfach noch nicht bereit, das haben die Leistungsschwanken gezeigt. Norris hingegen hätte McLaren viel früher, und auch nach außen hin, mit mehr Signalwirkung, unterstützen müssen - zumal der Brite ohnehin schon eher ein Sensibelchen ist, und nicht frei von Selbstzweifeln, wie er oftmals eingestand.
In Monza beispielsweise ließ er sich von seinem jungen Teamkollegen in der Startrunde gelinde gesagt vorführen, während die Teamverantwortlichen tatenlos zuschauten. In solchen Szenen wirkte Norris manchmal erschreckend hilflos. Als guten Rat kann man ihm deshalb eigentlich nur Oli Kahns wohl bekanntestes Zitat ans Herz legen ... Und Sie wissen, was das heißt.
Noch ein Beispiel dafür gefällig? Nicht nur zu Piastri war Norris unterm Strich zu nett, auch den teilweise eingeschlagenen Kuschelkurs zu Verstappen fand ich persönlich befremdlich. Zwar kritisierte Norris den Niederländer zurecht für seine oftmals viel zu raue Fahrweise, am Ende blieb aber trotzdem auch immer eine andere Message stehen, frei nach dem Motto: "Hauptsache, wir bleiben Freunde!"
Verstappen nahm das dankend an, wohl wissend, dass er damit praktisch schon gewonnen hatte. Man stelle sich mal vor, Nico Rosberg hätte sich vor zehn Jahren bei Mercedes auch gedacht: "Hauptsache, Lewis und ich bleiben Freunde!" Ich gehe jede Wette, dann hätte der Brite heute sicher einen Titel mehr als Michael Schumacher auf dem Konto, und Rosberg wäre als der ewige Zweite in die Geschichte eingegangen.
WM-Material? Norris muss mehr Resilienz entwickeln
Dabei sind sich Norris und Rosberg eigentlich gar nicht so unähnlich: Beide wohlerzogen, beide aus gutem und reichem Hause - Norris' Vater zählt zu den reichsten 500 Männern Großbritanniens, Rosberg wuchs mit Weltmeister-Papa Keke in Monaco und auf Ibiza auch nicht gerade in ärmlichen Verhältnissen auf. Und auch die während der Karriere immer wieder auftretenden Selbstzweifel eint das Duo.
Aber, und das ist der große Unterschied: Der Deutsche drehte das um, überlegte sich, wo auch er seinen Kontrahenten empfindlich treffen könnte, und fand bei Lewis Hamilton mehr als genug Angriffsfläche, um den Briten schließlich immer öfter aus der Fassung zu bringen.
Diese Resilienz, egal, ob gegen Verstappen, Piastri, oder sonst wen, muss Norris dringendst entwickeln, will er eines Tages wirklich "WM-Material" sein, wie man es im Fahrerlager der Formel 1 so schön nennt.
Mit Blick auf das Saisonfinale und die beiden noch anstehenden Rennen kann er sich als Blaupause deshalb gleich nochmal an Rosberg orientieren: Der sperrte sich damals nach seiner krachenden WM-Niederlage im texanischen Austin 2015 tagelang im Hotelzimmer ein - und kam anschließend mit der Wut im Bauch aus diesem wieder raus, gewann die letzten drei WM-Läufe des alten Jahres, und fuhr zu Beginn des neuen einfach alles in Grund und Boden.
Zu wünschen wäre es Lando Norris ja. Aber mir persönlich fehlt dafür, so ehrlich muss ich nach 2024 sein, der Glaube. Meine Prognose ist eher, dass der McLaren-Star in ein paar Jahren, wenn sich seine Formel-1-Karriere dem Ende zugeneigt hat, zurückdenken wird an eben jenen Herbst 2024, als er sie einmal kurz schnuppern durfte, die Luft eines WM-Kampfes. Eine Chance, die danach nie wiederkommen sollte.
Mit der großen Konkurrenz in der aktuell so ausgeglichenen Formel 1 wird es 2025 schließlich nicht einfacher. Aber schauen wir mal, vielleicht beweist er mir nächste Saison ja das Gegenteil ...
Euer Frederik Hackbarth