• 28. Oktober 2024 · 10:29 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Sergio Perez

Das zweite Formel-1-Leben des kleinen Jungen aus Guadalajara neigt sich dem Ende zu, aber wenn's nach Papa Perez geht, kann er dann ja Präsident werden ...

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

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Nationalheld unter Druck: 2024 könnte Checo Perez' letzter Heim-Grand-Prix gewesen sein Zoom Download

ach, Checo.

Ich erinnere mich noch gut an den Sonntagabend nach dem Kanada-Grand-Prix 2013. In Downtown-Montreal wurde irgendeine VIP-Party geschmissen, für die mein damaliger Chef Tickets aufgetrieben hatte. Als ich, nach getaner Arbeit, endlich dort ankam, kamen mir Ernst Hausleitner und Karl Wendlinger vom ORF, mit denen ich mich auf ein Glas Wein verabredet hatte, schon wieder entgegen: "Dafür sind wir zu alt." Sinngemäß.

Um reinzukommen, musste ich erstmal eine Viertelstunde Schlange stehen, weil der Andrang so groß war. Und ich ärgerte mich, dass mir immer wieder ein paar gutaussehende Mädels beim Eintritt vorgezogen wurden.

Sergio Perez war inzwischen McLaren-Fahrer (eine heute fast vergessene Kurzepisode seiner Karriere), und in den 15 Minuten in der Schlange fielen mir irgendwie ganz viele "Friends of Checo" auf, die natürlich keine Tickets hatten und trotzdem reinwollten. Also lief Checo dauernd zur Party rein, um von seinem Cocktail zu nippen, und wieder raus, um neue "Friends" reinzuholen. Und natürlich kannte er sie alle, die sie da am Zaun standen und "Checo, Checo" riefen - besonders gut die hübschen.

Vom Jungen aus Guadalajara zum Formel-1-Superstar

Perez strahlte damals eine Leichtigkeit aus, die ihm inzwischen verloren gegangen ist. Er war der kleine Junge aus Guadalajara, die Formel 1 war sein großes Abenteuer, und auch wenn's mal nicht so lief (er war im Rennen nur Elfter geworden), verging ihm deswegen das Lächeln nicht.

Elf Jahre später ist der kleine Checo 34 und in seiner Heimat Mexiko ein Superstar, der laut Christian Horner am vergangenen Wochenende von Uber Eats bis Klopapier für alles Testimonial war, womit sich als mexikanischer Nationalheld ein bisschen Geld verdienen lässt.

Perez' ist von der Persönlichkeit her ein typischer Südamerikaner (ups, Helmut Marko lässt grüßen!): begeisterungsfähig, emotional im allerbesten Sinne, aber auch zu Tode betrübt, wenn die Dinge mal aus dem Ruder laufen. Und gerade rund um den Heim-Grand-Prix - in Mexiko ein Event, dem das ganze Land seit einem Jahr entgegenfiebert - scheint in den Genen seiner Familie irgendwie ein Hang zur Realitätsverweigerung verankert zu sein.

Wie Papa Perez die Realität verweigert

Das fängt bei Papa Antonio an, ein glühender Fan seines Sohnes, der nach Checos Kollision mit Carlos Sainz in Baku so entsetzt über die verlorene Siegchance war, dass er mit Verdacht auf Herzinfarkt umkippte und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. "Muss der Schock des Unfalls gewesen sein", ließ er später ausrichten.

Der Mexiko-Grand-Prix ist für den Lokalpolitiker immer das Highlight des Jahres, wenn der Sohn im Rampenlicht steht und sich dutzendweise Kameras auch um ihn, den Papa, drängen. Perez sen. genießt die große Bühne, und er ist definitiv kein Mann der kleinen Worte.

Wenn nur das Auto einmal passt, dann werde Checo sicher noch Formel-1-Weltmeister, von einem Ende der Karriere in der Formel 1 könne gar keine Rede sein, und wenn Checo denn dann einmal aufhört, dann werde er bestimmt Präsident von Mexiko. "Make Mexico great again", grinste ein TV-Reporter live on Air.


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Bei uns in der Redaktion sorgte das nach dem völlig missglückten Heimrennen für Häme - nach dem Motto: Weltmeister, check. Präsident, check. Den richtigen Startplatz finden, naja.

Wie kann man das nicht sehen?

Perez legte nämlich einen echten Raketenstart in den Grand Prix hin, vom 18. Startplatz aus - allerdings einen, der mit einem Schönheitsfehler behaftet war. Denn nach der Aufwärmrunde rollte er gut einen halben Meter über seine Startbox hinaus, sodass eine Untersuchung durch die Rennkommissare unausweichlich war. "False Start", flackerte über die Bildschirme.

Als Renningenieur Hugh Bird durchgab, dass er "under Investigation" stehe, war Perez noch unbesorgt: "Nein. Es war ein großartiger Start!" Und als wenig später klar war, dass es dafür eine Strafe gibt, konnte Perez es nicht fassen: "Schaut euch das an. Ich glaube das nicht."

Dabei hätte ein Blinder mit Krückstock sofort erkannt, dass Perez für seinen Start bestraft werden muss, so eindeutig war er über die Startbox hinausgeschossen. Aber unter der Last der Erwartungshaltung eines ganzen Landes und nach einem völlig verkorksten Qualifying kann einem schon mal der Blick für die belanglosen Details abhandenkommen.

Checo Perez ist eine coole Socke. Ein bisschen erinnert er mich manchmal an Gerhard Berger: sensationell an seinen Tagen, und dann selbst für die Besten der Besten nahezu unschlagbar - aber in letzter Konsequenz nicht konstant genug, um ernsthaft Weltmeister werden zu können.

Wird es jetzt eng für den Verbleib bei Red Bull?

Mexiko war für den Nationalhelden eine mittlere Katastrophe. Bereits nach Silverstone schrieb ich ihn in dieser Kolumne so halb aus dem Red Bull raus, obwohl man seinen Vertrag gerade erst verlängert hatte. Und seither sind die sportlichen Ergebnisse nicht besser geworden.

Helmut Marko erklärte am Sonntagabend vor seinem Weiterflug, dass die Zukunft von Perez "offen" sei, und auch Christian Horner, der die Dinge sonst manchmal nicht ganz so direkt anspricht wie sein Managementpartner aus Österreich, redete viel drüber, dass die Formel 1 ein Leistungssport sei, in der er als Teamchef manchmal auch schwierige Entscheidungen treffen muss.

Klingt für mich nicht so, als hätte Perez sein Red-Bull-Cockpit bis 2026 sicher, wie er selbst, Papa Perez und sein Förderer Carlos Slim am Wochenende versichert haben. Man stelle sich nur vor, Gerüchte über einen möglichen Rausschmiss hätten schon vor dem Rennen an Momentum gewonnen: Wahrscheinlich wäre die halbe Tribüne aus Trotz leer geblieben.

Das Märchen seiner zweiten Karriere geht also langsam zu Ende. Perez schien schon mit einem Bein in Formel-1-Rente zu sein, weil er kein neues Cockpit mehr fand, als Ende 2020 unverhofft die Tür dazu aufging, bei Red Bull "Wingman" von Max Verstappen zu werden. In Abu Dhabi half er tatkräftig dabei mit, die Weltmeisterschaft zu gewinnen ("Checo is a Legend!"). Ein Vermächtnis für die Ewigkeit, das ihm niemand mehr wegnehmen kann.

Wer könnte Perez' Nachfolger werden?

Von Kritikern wie Ralf Schumacher wird Perez seit gefühlt zwei Jahren aus dem Red-Bull-Cockpit geredet. Ich habe immer dagegengehalten: Und wer bitteschön würde seinen Job im Sinne eines Teams mit Verstappen als unumstrittener Nummer 1 besser machen? Da fällt mir bis heute eigentlich keiner ein.

Yuki Tsunoda hat in Mexiko mit dem Crash im Qualifying und dem viel zu ambitionierten Start, mit dem er wohl versuchen wollte, den Samstag innerhalb weniger Sekunden vergessen zu machen, bewiesen, dass er der Aufgabe, unter den "großen Jungs" kühlen Kopf zu bewahren, auch im vierten Jahr in der Formel 1 nicht gewachsen ist. Sein Speed ist herausragend, aber die psychologische Struktur nicht auf dem gleichen Niveau.

Liam Lawson hat sicher den Speed und die Unbekümmertheit, um für den Job grundsätzlich in Frage zu kommen. Aber Austin und Mexiko haben auch demonstriert, dass ihm zumindest eine volle Saison bei den Racing Bulls guttun würde, bevor man ihn zu höheren Aufgaben beruft.

Isack Hadjar und Arvid Lindblad sind grandiose Talente, aber sie direkt bei Red Bull Racing zu parken, käme wahrscheinlich viel zu früh. Und auch bei Franco Colapinto, der theoretisch ein Kandidat sein könnte, sollte ihn Williams überhaupt freigeben, machen ein paar Schwalben noch keinen Sommer.

Anders als bisher glaube ich inzwischen auch, dass es mit Perez bei Red Bull zu Ende geht. Wie die Nachfolge aussehen soll, dafür fehlt mir aber im Moment noch die Fantasie.

Im schlimmsten Fall könnte alles ganz schnell gehen. Die angebliche 100-Punkte-Klausel, über die ich schon in meiner Silverstone-Kolumne geschrieben habe, könnte die Tür dazu aufmachen, Perez nach Brasilien in Frührente zu schicken. Die Art und Weise, wie sich Christian Horner am Sonntagabend drum gedruckst hat, ihn auch darüber hinaus als Red-Bull-Rennfahrer zu bestätigen, lässt jedenfalls erahnen, dass da was im Busch ist.

Schade für einen der sympathischsten Rennfahrer im Formel-1-Feld. Aber gut für alle "Friends of Checo", für die er dann sehr viel mehr Zeit haben wird als bisher. Und für eine potenzielle Präsidentschaftskampagne. Make Mexico great again, Checo!

Euer
Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.

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