• 26. August 2024 · 06:45 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Oscar Piastri

Zandvoort hat eindrücklich aufgezeigt, dass es bei McLaren unter zwei sehr guten Formel-1-Fahrern einen gibt, der ein kleines bisschen besser ist

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

Foto zur News: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Oscar Piastri

Oscar Piastri: Spielt er wirklich in der gleichen Liga wie die ganz Großen der Formel 1? Zoom Download

es gibt derzeit nicht viel, was nicht rund läuft bei McLaren. Das hat auch mein Kollege Frederik Hackbarth so aufgeschrieben, in der Schwesterkolumne "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat" über Zak Brown. Aber ich, als Autor dieser Kolumne traditionell so etwas wie der Nörgler der Nation, suche das Haar in der Suppe. Und ich finde es auch.

Viele von euch würden es wahrscheinlich als viel zu hart empfinden, mit Oscar Piastri ausgerechnet eins der größten Motorsport-Talente der vergangenen Jahre schlecht schlafen zu lassen. Aber sagen wir mal so: Dem Vergleich mit den ganz, ganz, ganz Großen der Formel-1-Geschichte hält der 23-Jährige nicht stand.

Nehmen wir Zandvoort, und bleiben wir bei den harten Fakten: Piastri kam im wahrscheinlich schnellsten Auto des Rennsonntags als Vierter ins Ziel, 27,3 Sekunden hinter seinem Teamkollegen Lando Norris und 1,9 Sekunden hinter Charles Leclerc. Und das, obwohl der Ferrari zwar im Rennen viel besser lief als im Qualifying, aber sicherlich trotzdem nicht so gut war wie der McLaren.

Zandvoort: Klare Verhältnisse bei McLaren

27,3 Sekunden geteilt durch 72 Runden sind durchschnittlich 0,38 Sekunden pro Runde, die Piastri am Sonntag auf Norris verloren hat. Ganz in Linie mit dem Qualifying: Da lag sogar eine halbe Sekunde zwischen den McLaren-Piloten. Und das in Zandvoort, mit 70 Sekunden Fahrzeit keine der allerlängsten Grand-Prix-Strecken.

Klar, zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass Piastri mit Sicherheit ganz anders performt hätte, wäre er nicht die ganze Zeit hinter Leclerc festgesteckt. Was für einen Unterschied "free Air vs. dirty Air" für seine Performance machen kann, haben wir ja bei seinem Premierensieg vor ein paar Wochen in Ungarn erlebt.

Aber Norris hatte die "free Air" halt auch nur, weil er das Problem Max Verstappen nach 18 Runden selbst auf der Strecke löste. Piastri kam am Leclerc-Ferrari nicht vorbei, obwohl er die um neun Runden frischeren Reifen hatte.

Das späte Timing des Boxenstopps, das nur am Rande, kann man schlecht Piastri vorwerfen. Hier haben sich die McLaren-Strategen verschätzt. Aber die mussten andererseits nach kreativen Ansätzen suchen, um Piastri vielleicht doch irgendwie an Verstappen vorbeizumanövrieren, weil sie unterbewusst wahrscheinlich der Meinung waren, dass mit dem schnellsten Auto im Feld eigentlich ein Doppelsieg drin sein sollte.

Mir ist wichtig, dass das niemand in den falschen Hals kriegt: Oscar Piastri ist das größte Talent der vergangenen Jahre, das in die Formel 1 aufgestiegen ist. Punkt.

Er fährt erst im zweiten Jahr bei McLaren, und er hält an ganz vielen Wochenenden dem Vergleich mit Norris stand, einem der anerkannt besten Fahrer im gesamten Starterfeld. Dafür sollten eigentlich keine Kolumnen wie diese geschrieben werden, sondern wir sollten alle aufstehen und Beifall klatschen.

Ist der Hype um Piastri wirklich gerechtfertigt?

Andererseits war der Piastri-Hype in den vergangenen Monaten vielleicht nicht immer gerechtfertigt. Bei Norris ist 2024 bisher nicht alles rund gelaufen (Christian Horner meinte am Sonntag sogar zynisch, es sei "bemerkenswert", dass er mit dem McLaren erst zwei Grands Prix gewonnen habe), und trotzdem führt er im WM-Vergleich gegen Piastri ziemlich souverän mit 225:179 Punkten.

Das ist kein Abstand, der Piastri schlaflose Nächte bereiten muss. Aber doch einer, der den Unterschied ausmacht zwischen WM-Kandidat und eben keiner, und einer, der in Ungarn zur Diskussion darüber geführt hat, ob McLaren nicht besser beraten wäre, Norris zur Nummer 1 zu erklären, weil Piastri eh keine realistische Chance hat, Weltmeister zu werden.

Könnt ihr euch dran erinnern, dass es so eine Diskussion jemals in den Karrieren von Ayrton Senna, Michael Schumacher, Fernando Alonso oder Lewis Hamilton gegeben hätte? Könnt ihr euch dran erinnern, dass jemals irgendeiner auf die Idee gekommen wäre, "Schumi" um eine Stallorder zu bitten, weil der Kerl im anderen Auto eher Weltmeister werden kann als er?


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Senna fuhr 1985 seine zweite Saison in der Formel 1. Sein Teamkollege bei Lotus war Elio de Angelis. Sicher keiner vom Kaliber Norris, aber auch kein Nasenbohrer. Am Ende des Jahres hatte Senna 38 und de Angelis 33 Punkte gesammelt, und Senna hatte zwei Grands Prix gewonnen, de Angelis hingegen nur einen. Es war glasklar, wer hier der Bessere war. Der Punktestand schmeichelte de Angelis eher.

Michael Schumacher hatte noch gar keine volle Saison auf dem Buckel, als er 1992 bei Benetton Teamkollege von Martin Brundle war. Brundle galt damals neben Senna als das Beste, was die Nachwuchsformeln so hervorgebracht hatten, aber gegen den jungen Deutschen machte er keinen Stich. Schumacher gewann das Duell mit 53:38 nach Punkten, mit 1:0 nach Siegen und mit 8:5 nach Podestplätzen.

Fernando Alonso musste nach seiner Premierensaison 2001 auf Minardi 2002 ein Jahr aussetzen, ehe er von Flavio Briatore 2003 in den Benetton gesetzt wurde. An der Seite von Jarno Trulli, einem der damaligen Supertalente der Formel 1. Alonso zeigte sich davon aber unbeeindruckt und entschied das Duell mit 55:33 für sich. Premierensieg in Ungarn inklusive, als damals jüngster Fahrer der Formel-1-Geschichte.

Lewis Hamilton befand sich gleich in seiner Rookiesaison 2007 in einer ganz ähnlichen Situation wie Piastri heute, nur dass sein Teamkollege im McLaren, Alonso, frischgebackener Doppelweltmeister war. Hamilton fuhr vom ersten Rennen an auf Augenhöhe, hätte beinahe auf Anhieb den Titel gewonnen und schaffte das Kunststück dann in seinem zweiten Jahr, 2008.

Die Beispiele sollen belegen: Die wirklich ganz, ganz, ganz Großen brauchen keine Zeit, um ihr Talent zu entfalten. Sie schlagen sofort ein. Und sie haben sich nie die Zähne ausgebissen, an niemandem.

Die Entwicklungskurve wird flacher

Piastri aber wird ein paar Mal zu oft von Norris geschlagen, um in einem Atemzug mit den klingenden Namen von ein paar Zeilen weiter oben genannt zu werden. Und nach fast zwei Jahren ist er zwar sicher noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung als Formel-1-Fahrer angekommen, aber seine Kurve beginnt dann wahrscheinlich doch langsam mal ein bisschen abzuflachen.

Oscar Piastri ist das beste Nachwuchstalent, das die Formel 1 in den vergangenen Jahren gesehen hat. Er gehört zu den besten Fahrern, die die Formel 1 aktuell aufzubieten hat. Er wird mit ziemlicher Sicherheit noch viele Grands Prix und womöglich sogar einen WM-Titel gewinnen.

Aber spielt er in der gleichen Liga wie Verstappen oder Norris? Für mich zumindest nicht.

Euer
Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.

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