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Kommentar: Wo ist der Mut, Red Bull?
Was ist aus dem einst so frischen Red-Bull-Team geworden, das mutige Fahrerentscheidungen trifft? Redakteur Norman Fischer wünscht sich das zurück
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser
mit großer Spannung haben wir (und ihr sicher auch) am Montag nach Milton Keynes geschaut. Dort sollte sich entscheiden, wie es fahrertechnisch bei Red Bull und den Racing Bulls weitergehen soll.
Doch was passierte? Nichts.
Na gut, im Grunde ist nicht nichts passiert, weil zwei Entscheidungen getroffen wurden. Doch die Entscheidungen hießen: Alles bleibt beim Alten. Sergio Perez bleibt bei Red Bull und Daniel Ricciardo bleibt zusammen mit Yuki Tsunoda bei den Racing Bulls.
Das passt eigentlich so gar nicht in die Firmenphilosophie - zumindest nicht, wie ich sie mir vorstelle, wenn ich an Red Bull denke. Doch von der einstigen Denkweise - frisch, munter, mutig - scheint man mittlerweile weit entfernt zu sein.
Red Bull, das war einmal ein Rennstall, der ein Cockpit vor der Saison an gleich zwei Fahrer vergibt, die sich gegenseitig abwechseln sollen. Einer, der die perfekte Marketinggelegenheit mit einem US-Amerikaner namens Speed kompromisslos absägt. Einer, der einen Jaime Alguersuari ohne Vorerfahrung ins kalte Wasser schmeißt.
Und einer, der einem 16-jährigen Max Verstappen ein Formel-1-Cockpit gibt.
Das war einmal. Die Entscheidungen 2024 wirken hingegen bieder, langweilig und altbacken.
Heutzutage scheinen andere Faktoren dem Unternehmen wichtiger zu sein, wie das hohe Marketingpotenzial eines Sergio Perez in Mexiko oder die Vormachtstellung in einem teaminternen Grabenkampf, wie das Festhalten an Daniel Ricciardo beweist, der in Christian Horner einen großen Fürsprecher hat.
Sportlich bringen beide derzeit absolut keinen Mehrwert mit - und dabei ist das doch in diesen Tagen DAS Schlagwort in der Formel 1.
Schon die Vertragsverlängerung von Perez vor einigen Wochen wirkte für viele ein wenig seltsam, doch seitdem zeigte der sympathische Mexikaner leider nicht die Leistung, die Red Bull braucht, um Konstrukteurs-Weltmeister zu werden.
Die Nachricht kam nur kurz nach dem Monaco-Grand-Prix, bei dem Perez im Qualifying in Q1 hängengeblieben war und im Rennen nach nur wenigen Metern in einen haarsträubenden Unfall mit Kevin Magnussen verwickelt war.
"Wir haben Vertrauen in Checo und freuen uns darauf, dass er zu seiner bewährten Form und Leistung zurückkehrt", wurde Horner damals in der Pressemitteilung zitiert.
Trotz neuem Vertrag: Da kam nicht viel ...
Die Realität sah anders aus: Schon beim nächsten Rennen in Kanada wenige Tage später schied er wieder in Q1 aus und leistete sich am Sonntag den nächsten Fahrfehler, als er sich in die Streckenbegrenzung drehte.
Als er in Silverstone nach einem Unfall erneut in Q1 hängenblieb und ein horrendes Rennen mit zwei Runden Rückstand auf Platz 17 beendete, wurden die Stimmen für eine vorzeitige Ablöse lauter. Red Bull wollte sich in der Sommerpause hinsetzen und die Situation evaluieren.
Perez hatte also noch zwei Rennen Bewährungschance.
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Seit Imola geht bei Sergio Perez nichts mehr vorwärts. In diesem Video analysieren wir, wie dramatisch der Abstand bei Red Bull wirklich ist. Weitere Formel-1-Videos
Bei der ersten in Ungarn setzte er das Qualifying mit dem nächsten Unfall und Q1-Aus erneut in den Sand. Platz sieben im Rennen: Schadensbegrenzung.
In Belgien am vergangenen Wochenende hatte er Glück, dass er um 0,003 Sekunden am Aus in Q2 vorbeischrammte, bevor am Ende wieder die 0,6-Sekunden-Klatsche seines Teamkollegen Max Verstappen folgte.
Das reichte durch dessen Strafversetzung aber trotzdem zu einem Start aus der ersten Reihe, doch den konnte er am Sonntag nicht ausnutzen. Perez wurde bis auf den achten Platz zurückgereicht - er war damit also effektiv Letzter der A-Liga in der Formel 1.
Die Aussagen von Helmut Marko und Christian Horner nach dem Rennen deuteten auf eine einschneidende Maßnahme in der Sommerpause hin. Doch nein, die Leistungen waren für sie anscheinend ausreichend.
Genau wie bei Daniel Ricciardo, der nur in fünf Qualifyings und Rennen in diesem Jahr vor Teamkollege Yuki Tsunoda landete.
Dabei wäre das jetzt DIE Chance gewesen, etwas Mut zu zeigen.
Das charmanteste Szenario
Ich kann durchaus verstehen, warum man nicht unbedingt einen blutjungen Fast-Rookie wie Liam Lawson - trotz vermeintlich guter Tests - in den Red Bull setzen will. Doch ein Gedankenspiel fand ich durchaus charmant.
Und das wäre gewesen, Daniel Ricciardo an die Seite von Max Verstappen zu Red Bull zu ziehen. Denn im Gegensatz zu Tsunoda oder Lawson kann man den Australier neben dem dreimaligen Weltmeister nicht mehr verbrennen. Entweder es funktioniert oder es funktioniert nicht.
Lawson hätte ich dann neben Tsunoda bei den Racing Bulls eingesetzt. Der Neuseeländer hat als Ersatz von Ricciardo im vergangenen Jahr bewiesen, dass man ihn einfach ins kalte Wasser schmeißen kann.
Und der Bessere von beiden hätte dann eine Chance gehabt, 2025 zu Red Bull aufzusteigen, wenn es mit Ricciardo nicht funktioniert - und dann hätte sich Tsunoda auch nicht beschweren können, wenn man ihm Lawson vorzieht, wenn er gegen ihn verliert.
Wohin mit Hadjar?
Dann hätte man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Man hätte Lawson untergebracht, den man 2025 verlieren würde, wenn man ihm kein Cockpit gibt, und man könnte gleichzeitig ein RB-Cockpit für Isack Hadjar zur Verfügung stellen, der sich anschickt, die Formel-2-Meisterschaft zu gewinnen.
Der Franzose hat mit vier Siegen in der Formel 2 in diesem Jahr doppelt so viele Siege geholt wie alle anderen Fahrer und hätte zum Beispiel auch das Hauptrennen in Monaco noch gewonnen, wenn nicht ein ungünstiges Safety-Car-Timing den chancenlosen Zak O'Sullivan zwei Runden vor Schluss zum Sieg gespült hätte.
Als angehender Formel-2-Meister, von dem Red Bull auch noch viel hält, muss Hadjar eigentlich ein Cockpit bekommen. Doch zwei der vier Cockpits werden von Fahrern blockiert, die man im Englischen wohl als "lame duck" bezeichnen würde.
Voraussichtlich wird damit nur einer - Lawson oder Hadjar - 2025 ein Formel-1-Cockpit bekommen, der andere schaut in die Röhre. Genau wie zahlreiche andere Red-Bull-Junioren wie etwa Ayumu Iwasa oder Arvid Lindblad, die in Zukunft ebenfalls Formel-1-Kandidaten wären.
Deren Problem ist auch, dass ein Fahrer wie Yuki Tsunoda auch im fünften Jahr noch für das B-Team fahren wird, obwohl er anscheinend als nicht gut genug für das A-Team erachtet wird. Das hätte es in früheren Jahren auch nicht gegeben.
Zu lange das immer wieder Gleiche
Doch Red Bull passt sich damit dem generellen Tenor der Formel 1 an, wo Stabilität, Kontinuität und Corporate-Denken über viele Jahre hinweg das bevorzugte Credo sind - was aber (für mich) eben auch ein bisschen Langeweile mit sich bringt.
Wir haben derzeit nicht nur die längste Formel-1-Saison aller Zeiten, sondern im Grunde eine Monstersaison aus zwei Jahren, weil alle Fahrer im Winter ihre Cockpits behalten durften. Und bei dann noch zuletzt fünf Rennen in sechs Wochen sind die Geschichten vieler Fahrer einfach mittlerweile auserzählt.
Die von Perez und Ricciardo sind es für mich mittlerweile. Und wenn ein Nyck de Vries im vergangenen Jahr nur zehn Rennen Zeit bekommt, bevor er gefeuert wird, dann kann man nur schwer verkaufen, warum Perez und Ricciardo so an ihren Cockpits kleben dürfen.
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Vielleicht ist das für Red Bull auch nur der letzte Rettungsanker, falls Max Verstappen doch in Richtung Mercedes abhauen sollte, damit man nicht mit ganz heruntergelassener Hose dasteht.
Aber ob Perez und Ricciardo dann die Rettung wären, das kann jeder für sich selbst überlegen.
Aber gerade dann wäre es Zeit für etwas mehr Mut und einen Neuanfang. Für ein frisches Image, für das Red Bull einmal stand. Aber das ist - wie gesagt - lange her. Schade.
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Euer
Norman Fischer