Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Ralf Schumacher
Ralf Schumacher schläft wohl ein bisschen besser, seit er seinen Lebensgefährten nicht mehr verstecken muss - ein Thema, das eigentlich keins sein sollte ...
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
© circuitpics.de
Ralf Schumachers Instagram-Posting ist in den Medien ein großes Thema Zoom Download
Ralf Schumacher war früher mit Cora verheiratet, und jetzt liebt er Etienne. Eigentlich sollte diese Kolumne an der Stelle schon wieder beendet sein. Aber ganz so einfach ist es wohl nicht.
Am Abend vor dem EM-Finale hat Ralf auf Instagram ein Foto von sich und einem anderen Mann gepostet, und dazu den Text geschrieben: "Das Schönste im Leben ist, wenn man den richtigen Partner an seiner Seite hat, mit dem man alles teilen kann."
Danach ging innerhalb von Minuten eine Schlagzeile nach der anderen online. Nicht weiter verwunderlich angesichts der Strahlkraft des Namens Schumacher, die in Deutschland nur wenig von ihrer einstigen Wirkung verloren hat. Dass das Thema aber nicht nur vom Boulevard, sondern auch von der Motorsport-Fachpresse aufgegriffen wurde, das fand ich dann doch ein bisschen überraschend.
Klar: Die Versuchung der schnellen Klicks ist bei so einem Thema enorm. Ich bin da auch nicht heiliger als andere Chefredakteure, und auch wir streifen manchmal sehr boulevardeske Themen an und bringen Storys von spektakulären Unfällen in Rennserien, über die wir sonst nicht berichten, weil's die Menschen halt interessiert und weil die Bilder atemberaubend sind, und weil wir damit jene Pageimpressions generieren, die unsere harte Währung sind, damit wir die Gehälter unserer Mitarbeiter zahlen können.
Wie die Medien mit dem Thema umgehen
Aber die Sache mit der Sexualität, das ist dann doch etwas, was den allerpersönlichsten und -intimsten Lebensbereich betrifft. Medienrechtlich mag es okay sein, drüber zu berichten, wenn jemand selbst den Schritt setzt, das auf Instagram zu posten. Aber ob es der Sache dienlich ist, das einstige Tabuthema Homosexualität endgültig zu normalisieren, das wage ich zu bezweifeln.
Ganz wichtig ist: Mir wäre zumindest kein Medienbericht aufgefallen, der Ralf für sein Posting verurteilt oder dieses kritisiert. Das wäre ohnehin völlig indiskutabel, und es ist gut, dass es das im Jahr 2024 nicht mehr gibt. Die meisten Berichte sind positiv im Tenor und so, dass sie den Schritt, den sich Ralf sicher gut überlegt hat, unterstützen, und dass sie Ralfs Mut applaudieren. Aber selbst das macht's ja schon wieder irgendwie zu einer großen Sache.
Dass man sich outen möchte, ist komplett nachvollziehbar. Es ist, zum Beispiel, für den jeweiligen Partner sicher nicht schön, das Gefühl zu haben, sich verstecken zu müssen.
Outing vs. Coming-out: Ist das nicht völlig egal?
Ich versuche mal, mich in die Situation einer Person reinzuversetzen, die sich vielleicht gern outen würde, die aber unsicher ist, wie die Reaktionen drauf sein werden. Wenn ich in so einer Situation sehe, was für eine Riesensache draus gemacht wird, sobald jemand offen damit umgeht, lesbisch oder schwul (oder was auch immer) zu sein, dann glaube ich nicht, dass das bei unseren lesbischen und schwulen Freundinnen und Freunden dazu beiträgt, diese Unsicherheiten abzubauen.
Wie wenig "normal" das Thema behandelt wird, sieht man ja auch an den Reaktionen. Als ich in unserem YouTube-Stream am Donnerstag aufgrund vieler fragender Zuschriften unserer Leser zu erklären versucht habe, warum wir bisher nicht über Ralf Schumachers "Outing" berichtet haben, wurde ich gleich mal gemaßregelt, dass ein "Outing" eine Situation sei, in der ein homosexueller Mensch gegen seinen Willen geoutet wird, von außen.
Das sieht der Duden übrigens anders. Und das Beispiel zeigt ganz gut, wie wenig locker der Umgang unserer Gesellschaft mit dem Thema Sexualität immer noch ist. Ist es nicht völlig wurscht, ob das jetzt ein "Outing" war oder ein "Coming-out"? Und würden wir andere Themen genauso pedantisch diskutieren? Wäre es auch so ein großes Thema, wenn Alex Wurz, der Experte des ORF, eine neue Freundin hätte? Ich glaube nicht.
Nicht missverstehen: Ich finde es super, wenn sich Menschen wie der ehemalige McLaren-Kommunikationsdirektor Matt Bishop outen und sich mit voller Leidenschaft dafür einsetzen, den Umgang mit der LGBTQIA+-Community zu normalisieren.
Ist der Begriff "Community" wirklich hilfreich?
Aber allein schon die Tatsache, dass von einer "Community" die Rede ist, trägt wahrscheinlich nur bedingt zu einer Normalisierung bei. Ich liebe Frauen, und bin ich deswegen Teil der "Hetero-Community"? Nein. Ich bin einfach Christian Nimmervoll, und ich denke, Ralf Schumacher sollte einfach Ralf Schumacher sein.
Ich finde es völlig okay, wenn sich Menschen für ein Thema engagieren, wenn sie mit der Regenbogenflagge durch Städte laufen oder ihren Helm in so einem Design lackieren. Das zeigt Solidarität, und es erinnert uns dran, dass wir da als Gesellschaft noch einiges zu lernen haben.
Aber eigentlich wäre eine Welt am besten, in der es gar keine Solidarität mehr braucht. Mit mir ist auch keiner solidarisch, nur weil ich mit meiner Freundin Andrea schlafe und nicht mit meinem Freund Martin. Wozu auch?
In unserer Redaktion wurde durchaus mit unterschiedlichen Standpunkten drüber diskutiert, ob wir über Ralfs Instagram-Posting berichten sollten oder nicht. Letztendlich war unsere Position: Bevor wir nicht mit Ralf selbst gesprochen haben, machen wir gar nichts. Und so haben wir vor, es bei dieser Kolumne zu belassen.
Auch da wird uns sicher gleich wieder Scheinheiligkeit vorgeworfen: "Wenn ihr nicht drüber berichtet, warum schreibt ihr dann diese Kolumne?" Ein Vorwurf, mit dem wir leben werden müssen. Aber ich finde es wichtig, unseren Lesern einmal zu erklären, was unsere Position ist. Und das ist hiermit erledigt.
Ralf ist Experte bei Sky und auf unseren Plattformen. Er konnte früher richtig gut Autofahren und hat sechs Grands Prix gewonnen. Damit ist er der vierterfolgreichste Deutsche in der Geschichte der Formel 1. Darauf kommt es an. Und ob er jetzt mit Cora verheiratet ist oder Etienne liebt, das ist uns komplett egal.
Ich weiß, Ralf wäre es am liebsten, wenn niemand irgendwas drüber schreiben würde. Ich glaube, er ist mit dieser Kolumne trotzdem einverstanden.
Euer
Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.