Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Sergio Perez
Die 100-Punkte-Klausel und welche Konsequenzen sie haben könnte: Sergio Perez ist nach dem erneuten Fiasko in Silverstone schwer angezählt
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
© Motorsport Images
Sergio Perez ist angezählt - und kann sich seiner Zukunft nicht mehr sicher sein ... Zoom Download
selten lag so auf der Hand, wer letzte Nacht am besten und am schlechtesten geschlafen hat, wie nach dem britischen Grand Prix 2024. Der märchenhafte Sieg von Lewis Hamilton ist heute Morgen Thema bei meinem Kollegen Frederik Hackbarth, in der Schwesterkolumne, während Thema meiner Kolumne nach den vergangenen Wochen natürlich nur Sergio "Checo" Perez sein kann.
Es ist erst einen Monat her, dass Red Bull bekannt gegeben hat, den Vertrag des 34-Jährigen zu verlängern. Für viele überraschend. Perez hatte gerade in Miami Riesenglück, am Start nicht Max Verstappen abzuschießen, und es gibt Stimmen im Team, die meinen, dass er sich, wäre das haarsträubende Manöver nur ein bisschen anders ausgegangen, schon damals einen neuen Job hätte suchen können.
Danach wurde er 16. im Qualifying in Montreal und crashte im Rennen. Er wurde Achter im Qualifying sowie im Rennen in Barcelona, Achter im Qualifying, Achter im Sprint und Siebter beim Heim-Grand-Prix in Spielberg, und jetzt Vorletzter im Qualifying und 17. im Rennen in Silverstone.
Zum Vergleich: Seit Perez' Vertragsverlängerung (übrigens gleich um zwei Jahre, bis Ende 2026) schrieb der Mexikaner mickrige elf WM-Punkte an. Verstappen holte im gleichen Auto 86 Punkte, und selbst Nico Hülkenberg im Haas 16.
Die 100-Punkte-Klausel und wann sie greift
Nun gehöre ich zu denen, die (immer noch) davon überzeugt sind, dass es nicht viele im aktuellen Starterfeld der Formel 1 gibt, die in einem auf Verstappens Fahrstil zugeschnittenen Red-Bull-Honda RB20 viel besser performen würden als Perez. Aber, zugegeben: Das, was er abliefert, seit ihm Red Bull die Sicherheit gegeben hat, 2025 bleiben zu dürfen, ist nur noch schwer zu verteidigen.
Und das mit der Sicherheit ist ohnehin so eine Sache. Am 4. Juni, unmittelbar nach Monaco, hatte Perez in der Fahrer-WM nämlich noch 62 Punkte Rückstand auf seinen Teamkollegen. Inzwischen sind es 137. Zu viel, um gut schlafen zu können.
Denn nach allem, was unser neunköpfiges Motorsport-Network-Journalistenteam vor Ort in Silverstone herausgefunden hat, aktivieren mehr als 100 Punkte Rückstand auf Verstappen zur Sommerpause eine Ausstiegsklausel aus dem Vertrag, die Red Bull dann theoretisch ziehen könnte.
Auch wenn das so explizit keiner bestätigt: "Es ist gut, jetzt mal ein Wochenende Pause zu haben", sagt Perez, bevor es nach Ungarn und Belgien geht, zwei für ihn "sehr wichtige Rennen". In denen er, um wieder ruhige Nächte zu haben, 37 Punkte auf seinen Teamkollegen gutmachen muss. Aber das erscheint nach den jüngsten Leistungen wie eine "Mission: Impossible".
Zwei Testtermine für Lawson sind schon geplant
Unklar bleibt, ob Red Bull aktuell nur versucht, ihm Feuer am Hintern zu machen, oder ob man ernsthaft überlegt, ihn trotz Vertrags auszutauschen. Tatsache ist: Am Donnerstag wird in Silverstone Liam Lawson einen aktuellen RB20 testen, im Zuge eines Filmtags.
Schon ein merkwürdiger Zufall, dass Red Bull ausgerechnet jetzt, im Juli, auf die Idee kommt, zusätzliches Filmmaterial für diverse Sponsoren und Partner zu benötigen, oder? Und dass dann ausgerechnet Lawson im Cockpit sitzen wird, der von vielen als potenzieller Perez-Nachfolger gehandelt wird, obwohl man "B-Roll" von den aktuellen Stammfahrern doch viel eher im hauseigenen Contentpool brauchen könnte.
Bereits zu Beginn des Silverstone-Wochenendes tauchte bei den Kollegen von auto motor und sport erstmals das Gerücht auf, Perez könne unter Umständen durch Daniel Ricciardo ersetzt werden, einen weiteren Red-Bull-Altstar, der eigentlich selbst als angezählt gilt. Eine Luftnummer, glauben manche. Vielleicht bewusst gestreut, um den Druck auf Perez zu erhöhen.
"Jeder Fahrer ist anders", sagt Red-Bull-Teamchef Christian Horner. "Manche brauchen es, dass du sie in den Arm nimmst. Und manche brauchen einen Tritt in den Hintern. Und wieder andere brauchen es mal so, mal so."
Nach dem Silverstone-Test ist für Lawson ein weiterer Test angesetzt. In Imola soll er demnächst mit einem 2022er-AlphaTauri ausrücken. Überzeugt er bei beiden Einsätzen, könnte er im besten Fall schon am 23. August in Zandvoort im Red Bull sitzen.
Entscheidung erst in der Sommerpause
Red Bull wird frühestens in der Sommerpause, nach Budapest und Spa, entscheiden, wer 2025 in den vier Formel-1-Autos sitzen wird. Vorzeitige Änderungen noch diesen Spätsommer nicht ausgeschlossen. Verstappen sitzt fest im Sattel, solange er nicht den Rufen von Toto Wolff oder Lawrence Stroll folgt. Und Yuki Tsunoda auch.
Apropos Tsunoda: Hondas Quotenjapaner hat die RB-Führung rund um Laurent Mekies und Peter Bayer davon überzeugt, für 2025 die richtige Wahl zu sein. Doch solange Horner Teamchef von Red Bull Racing ist, wird er dort eher nicht unterkommen. Horner bewertet den kleinen Japaner zwar als gutes Talent, sieht in ihm aber nicht das "next big Thing".
Sollten Perez und Ricciardo, die in der Kritik stehenden Altstars, ihre Jobs verlieren, dann stehen andere in der Warteschleife. Lawson eben, vielleicht sogar bei Red Bull Racing. Isack Hadjar, aktuell Gesamtführender in der Formel 2, von dem Helmut Marko viel hält. Oder auch Arvid Lindblad, momentan Gesamtzweiter in der Formel 3.
Red-Bull-Kader: Wie ich es machen würde
Am plausibelsten erscheint mir, wenn ich versuche, mich ins Red-Bull-Management hineinzudenken: Sollte Perez wirklich fliegen, dann wäre es eigentlich naheliegend, bei den Racing Bulls gar nichts zu ändern und direkt Lawson ins A-Cockpit zu setzen.
Andererseits wäre es nicht schlau, Lawson direkt ins gleiche Wasser wie Verstappen zu schmeißen und dabei zuzuschauen, wie er vom Hai aufgefressen wird. Es ist das gleiche Wasser, in dem früher schon Pierre Gasly und Alexander Albon Körperteile weggebissen wurden.
Smarter wäre es vielleicht, tatsächlich Ricciardo an Verstappens Seite zu ziehen und Lawson neben Tsunoda bei den Racing Bulls zu platzieren. Denn wenn Ricciardo untergeht, ist zwar auch dessen Karriere kaputt, aber die war ohnehin schon vorher beschädigt. Er könnte nie mehr jammern, dass ihm keiner eine Chance gegeben hat. Und Netflix wäre auch happy.
Und sollte Lawson gleichzeitig einschlagen wie eine Granate, könnte man Ricciardo vor Saisonbeginn 2025 immer noch rausschmeißen, Lawson zu Red Bull Racing befördern, dann mit ein paar Grands Prix mehr Erfahrung auf dem Buckel, und Hadjar zu den Racing Bulls.
Letzte Chance noch nicht vorbei: Perez hat es in der Hand
Viele Gedankenspiele also, die derzeit heiß diskutiert werden, wegen der 100-Punkte-Klausel - die sich aber auch ganz schnell wieder in Luft auflösen können. Allen wäre es eigentlich am liebsten, mit Perez eine funktionierende Nummer 2 zu haben, mit der man die Konstrukteurs-WM gewinnen kann, und bei den Fahrern erstmal gar nichts tauschen zu müssen.
Das hat Perez jetzt selbst in der Hand. Schafft er es in Budapest und Spa, das Teammanagement davon zu überzeugen, dass die vergangenen Wochen nur ein Ausrutscher waren und nicht der Regelzustand, dann wird man ihn ziemlich sicher behalten. Notfalls auch mit mehr als 100 Punkten Rückstand auf Verstappen.
Denn die Ausstiegsklausel gibt Horner und Marko zwar die theoretische Möglichkeit, Perez vorzeitig rauszuschmeißen. Aber sie ist kein Automatismus, der zwangsläufig bei Nichterfüllung den Abschied bedeutet.
Euer
Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.