Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Carlos Sainz
Warum Carlos Sainz gut beraten ist, sich über Platz 3 in Österreich zu freuen, und sein (zu?) langes Hoffen auf Red Bull zum Bumerang werden könnte
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
Carlos Sainz weiß, dass er die Podestplätze wie jenen am Sonntag in Spielberg feiern muss, wie sie fallen. Viele wird er davon nicht mehr bekommen, ehe seine Ferrari-Zeit endet, von der er eigentlich gehofft hatte, dass sie noch viel längert dauert und viel erfolgreicher wird.
Der 29-Jährige fährt 2024 in der Blüte seiner Karriere, setzt dem von vielen höher eingeschätzten Ferrari-Goldjungen Charles Leclerc zu wie nie zuvor und gilt aktuell als verbliebene Königsfigur auf dem Transfermarkt.
Aber irgendwie sind von Sainz langsam alle genervt. Fahrer wie Valtteri Bottas und Kevin Magnussen, weil sie in der Warteschleife hängen, solange sich der feine Herr aus Madrid nicht entscheiden kann, in welchen Korb er seine Eier legen will.
Und die Teams, die ihm ihre Körbe offenhalten, weil bei Andreas Seidl und James Vowles unweigerlich der Eindruck entstehen muss, in Wahrheit nur zweite Wahl zu sein, und nicht die Wunschkonstellation, zu der sich Sainz auf Jahre hinaus bekennen will.
Wer kann's ihm auch verdenken?
Wie gut stehen Briatores Chancen?
Audi galt zu Beginn des Sainz-Pokers als klarer Favorit. Manche dachten, schon in Imola könnte der Deal verkündet werden. Aber anzunehmen, dass Audi 2026 um Podestplätze in der Formel 1 mitfahren wird, wäre Träumerei. Seidl gilt als ehrlicher, transparenter Kerl. Er wird den Spanier nicht mit Ansagen locken, dass er dort 2026 schon gewinnen kann.
Ehrlich und transparent sind Attribute, die einem bei Briatore zumindest nicht sofort in den Sinn kommen. Aber der 74-Jährige, der gesundheitlich nach seiner Herzoperation aus dem Gröbsten heraußen ist und trotzdem nicht mehr so frisch und vital wirkt wie früher, steht für die Chance auf schnellen Erfolg. Und scheint das Commitment von Konzernchef Luca de Meo auf seiner Seite zu haben. Der interessiert sich für die Formel 1 so intensiv wie lange nicht mehr.
Im Paddock sagt der eine oder andere: Flavio holt entweder einen Fahrer, mit dem er partnerschaftlich verbunden ist. Das wäre dann womöglich Jack Doohan. Die liebsten Deals sind ihm immer die, an denen er selbst mitverdient. Oder er landet einen großen Coup, um allen zu zeigen, dass keiner so gut Deals machen kann wie er. Das wäre dann Sainz.
Doch während alle nur drüber spekulieren, ob Sainz jetzt bei Alpine, Audi oder Williams seine Unterschrift unter die fertig vorliegenden Verträge setzt (bei denen Geld übrigens schon lange kein Verhandlungsthema mehr ist), hofft er insgeheim immer noch, dass ganz woanders eine Tür aufgeht.
Geht bei Red Bull doch noch eine Tür auf?
Mercedes hat ihm bereits klar signalisiert, nicht zu warten, weil dort Kimi Antonelli fahren wird, wenn Max Verstappen nicht kommt. Aber Spielberg hat seine Hoffnung genährt, dass bei Red Bull doch noch was explodieren könnte, und dann braucht Christian Horner am Ende vielleicht den letzten Topfahrer, der noch zu haben ist. Nämlich ihn.
Über die Horner-Affäre wird zwar nicht mehr geredet, aber ausgestanden ist sie noch lange nicht. Erstens rein formal. Konzernintern gibt's im Berufungsverfahren, das jene Frau angestrengt hat, die Horner sexuelle Belästigung vorwirft, noch kein Ergebnis. Und in England wird es noch dauern, bis die Justiz anfängt, sich mit dem Fall auseinanderzusetzen.
Zweitens: Am Rande des Grand Prix von Österreich köchelte dann doch mal wieder was auf, als Jos Verstappen Horner nach einem Zwist über seine Teilnahme an der Legendenparade über die Medien ausrichten ließ, er halte ihn für kindisch und sei fertig mit ihm.
Tags darauf drückte sich Max zwar deutlich diplomatischer aus, ließ aber klar durchblicken, dass seine Loyalität eher beim Vater liegt als beim Chef.
Wer gesehen hat, wie unterkühlt das Team Verstappen bei Horners Red Bull Racing interagiert, und wer gesehen hat, wie Jos Verstappen abends herzlich mit Toto Wolff und dessen Kommunikationschef Bradley Lord abgeklatscht hat, der glaubt nicht, dass die Sache mit dem Verbleib bei Red Bull im nächsten Jahr so geritzt ist, wie Max das in der Donnerstags-PK suggeriert hat.
Und zwar erst unter massivem Druck der bohrenden Journalisten. "Er konnte ja gar nichts anderes sagen, oder?", scheint Toto Wolff die vermeintliche Absage von Verstappen nicht wirklich als Absage zu werten.
Auf die ganz explizite Nachfrage, ob er nach der Donnerstags-PK seine Hand dafür ins Feuer legen würde, dass Verstappen auch 2025 Red Bull fahren wird, antwortet Wolff nach kurzer Denkpause: "Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Max nächstes Jahr Formel 1 fährt."
Sainz: Keine der drei Optionen ist Plan A
Man könnte allerdings auch fragen: Sollte Verstappen bei Red Bull abhauen, nachdem Adrian Newey schon gegangen ist, sollte dann vielleicht auch Helmut Marko seine Rente vorziehen und Horner am Ende mit den Resten von dem übrigbleiben, was einmal ein Teil des großartigen Lebenswerks von Dietrich Mateschitz war - wäre das dann wirklich noch das Team, für das Sainz fahren möchte?
Sainz hat drei konkrete Optionen für 2025. Noch. Denn seine Verhandlungspartner werden langsam ungeduldig.
James Vowles hat am Sonntagmorgen die Meldung streuen lassen, dass er wieder anfängt, mit anderen Kandidaten zu verhandeln. Ein offensichtliches Manöver, um Sainz unter Druck zu setzen.
Und dass Audi plötzlich in einer eigenen Presseaussendung erklärt, wie weit man mit der Powerunit schon ist, mag auch dazu dienen, potenziellen zukünftigen Mitarbeitern die Entscheidungsfindung zu erleichtern.
Aber die, die Sainz will, die wollen ihn nicht. Keine seiner Optionen ist, zumindest kurzfristig, eine richtig gute. Und trotzdem wäre es wahrscheinlich besser, sich bald festzulegen. Sonst fangen die Audis und Williams dieser Welt wirklich bald an, lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach zu fangen ...
Euer
Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.