Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Toto Wolff
Der Wolff bellt wieder: Mercedes befindet sich im Aufwärtstrend, und der Teamchef haut endlich wieder auf den Tisch - Findet das beim Objekt seiner Begierde Anklang?
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
© Motorsport Images
Toto Wolff holte in Spanien den rechten Haken raus - und traf ins Schwarze Zoom Download
am Sonntag, kurz nach Rennende in Barcelona, stand er da in der Boxengasse, wie Ehefrau Susie in Weiß gekleidet, posierte mit ein paar Fans freundlich für Selfies und jubelte dann den Top-3 auf dem Podium zu.
Seinem Fahrer Lewis Hamilton, der es endlich erstmals in dieser Saison aufs Podest schaffte, und sich dafür wohl keinen besseren Zeitpunkt hätte raussuchen können. Lando Norris, der im Mercedes-Kundenauto von McLaren noch für Spannung in dieser WM sorgen kann, was vor allem ihm in die Karten spielen würde. Und Sieger Max Verstappen, dem erklärten Transferziel von: Toto Wolff.
Der Mercedes-Teamchef hat in Barcelona einen Auftritt hingelegt, wie man ihn schon lange nicht mehr von ihm gesehen hat. Los ging dieser schon am Freitag, mit einem scharfen Fingerzeig, im wahrsten Sinne des Wortes, auf die Hater, die in seinem Mercedes-Rennstall bewusst Unruhe stiften wollen.
Als "Geisteskranke" bezeichnete Wolff dabei die Leute, die hinter den Verschwörungstheorien um die angebliche Sabotage von Lewis Hamilton bei den Silberpfeilen stecken. Anonym wurden E-Mails verschickt, an hochrangige Teammitglieder der Formel 1 und einen erlesenen Kreis von Journalisten, gespickt mit infamen und teilweise wirren Behauptungen, ja gar kryptisch verklausulierten Drohungen.
Wolff konnte das nicht auf sich sitzen lassen. Während Technikdirektor James Allison die nach dem Kanada-Grand-Prix lancierten Vorwürfe im Podcast Beyond The Grid zwar bestimmt, aber doch eher geräuschlos zurückwies, machte Toto Wolff etwas, das er bekanntlich besonders gut kann: auf den Tisch hauen.
"Zeig dich", forderte Wolff vom "Feigling", der sich hinter seinem Laptop versteckt, wie es der Wiener so schön formulierte - und kündigte an, dass man versuche, die IP-Adresse des anonymen Störenfrieds zu ermitteln. Die Polizei sei obendrein eingeschaltet: Anzeige ist raus, wenn man so will ...
Die Unnachgiebigkeit und Schärfe, die Wolff in der lästigen Causa beweist, hätte seinem Team in den vergangenen zweieinhalb Jahren auf der Strecke auch gut zu Gesicht gestanden - aber sei's drum.
In Zeiten, in denen der Zeitgeist dank grenzenloser Verrohung und Verblödung im Internet derartige Blüten treibt wie die, die Mercedes in die digitalen Postfächer flatterten, gebührt Toto Wolff dafür Respekt. Damit bot er nicht nur dem Irrsinn die Stirn, sondern bezog auch klar Stellung für gefährdete Werte in einer sich im Wandel befindlichen Gesellschaft.
Abteilung Attacke: Wolff ist wieder ganz der Alte
Im sportlichen Niedergang der letzten Jahre war manchmal fast in Vergessenheit geraten, welch Charisma der Mercedes-Anführer in seinen besseren Momenten besitzt. Pünktlich zur offensichtlichen Wiederauferstehung des Sterns blitzt es jetzt wieder auf.
Dabei entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, dass sich am Ende des Wochenendes in der Pressekonferenz ausgerechnet der zu Ferrari wechselnde Lewis Hamilton flach liegend auf der Couch wiederfand, die Wolff den unbelehrbaren Querköpfen mit dem Gang zum Psychiater wenige Stunden vorher noch empfohlen hatte.
Die sportliche Heilung war für Mercedes' Sorgenkind anno 2024 aber selbstredend der dritte Platz und das langersehnte erste Podium der Saison, das die kruden Verschwörungstheorien zeitlich gar nicht besser passend hätte entkräften können.
Nun könnte man mit Blick auf das laute Bellen des Wolffs andersherum natürlich auch argumentieren: Kaum läuft es für Mercedes endlich mal wieder halbwegs, kommt auch er wieder aus der Deckung und stellt sich vor sein Team.
Warum aber auch immer die "Abteilung Attacke", die man sonst vornehmlich aus dem Fußball vom FC Bayern kennt, geweckt wurde - sie steht dem Silberpfeil-Teamchef so viel besser als das Bild des verbitterten Abu-Dhabi-2021-Verlierers, das seither oft in den Medien gemalt wird.
Jetzt, so scheint es, ist der Defensivmodus bei Wolff und bei Mercedes endlich vorbei, und es wird wieder auf Offensive umgeschaltet. Dabei erinnert das weiße Hemd von Toto Wolff, in Kombination mit der schwarzen Hose, aus sicherer Entfernung betrachtet vom Farbschema her fast ein bisschen an die Outfits der deutschen Nationalmannschaft, die aktuell bei der EM angreift.
Auch dort werden durch außerordentliche Umstände aus alten und genauso leidenschaftlichen Feinden dieser Tage auf vielen unerwarteten Ebenen plötzlich handzahme Freunde ...
Und wie im Fall von Deutschlands Gruppensiegtorschütze Niclas Füllkrug "letzte Nacht" beweist auch Wolff Mut zur Lücke, zumindest wenn man auf die aktuellen Bewegungen auf dem Fahrermarkt schaut.
Einen Entschluss über die Hamilton-Nachfolge wird es von Mercedes so schnell nicht geben, unterstreicht Wolff in Barcelona einmal mehr, sagt zu Motorsport-Total.com: "Es ist keine Fahrerentscheidung getroffen worden. Ich will diese Entscheidung so lange wie möglich rauszögern, denn wer weiß schon, was passiert."
Mercedes-CEO macht Verstappen schöne Augen
Übersetzt heißt das: Für Mercedes' Objekt der Begierde kann Wolff auch warten und will nichts unversucht lassen. Wer das ist, daran lässt Mercedes-CEO Ola Källenius am Sonntag in Spanien im Interview mit Sky keine Zweifel aufkommen: "Max würde Silber auch gut stehen", wirbt der Deutsch-Schwede ganz unverhohlen um Verstappen.
Nun ist das mit Mercedes-Oberbossen in Barcelona spätestens seit Dieter Zetsches Anwesenheit beim legendären Crash der "Silberfeinde" Lewis Hamilton und Nico Rosberg 2016 so eine Sache. Ein Vorfall übrigens, der einem gewissen Max Verstappen den ersten Grand-Prix-Sieg bescherte. An den Spielregeln der Königsklasse hat sich aber auch acht Jahre später nichts geändert.
So ist Källenius bewusst: "Die besten Fahrer wollen in den besten Autos sitzen, und unsere Aufgabe ist es, das beste Paket zu schnüren." Im Fahrerlager gilt es als offenes Geheimnis, dass der Verstappen-Clan von den Silberpfeilen Performance sehen will, ehe eine Entscheidung über die Zukunft getroffen wird: Eilig hat es also auch der Weltmeister nicht.
Im Umkehrschluss hat Wolff mit Supertalent Kimi Antonelli, dessen Beförderung zum Stammfahrer zuletzt von einigen deutschen Medien fälschlicherweise schon als fix vermeldet wurde, einen perfekten Plan B in der Hinterhand - der die, durch das Warten auf Verstappen, sich notgedrungen ergebende Zeit in seinem Lernprozess in der Formel 2 ohnehin bestens gebrauchen kann.
Für Verstappen fährt Mercedes jetzt gegen Verstappen
Als Trumpf im Verstappen-Poker gilt unterdessen auch, dass Mercedes für das neue Motorenreglement ab 2026, nach den herausragenden Errungenschaften an jener Front bei der Umstellung von 2014, als heimlicher Favorit auf ein leistungsstarkes Aggregat gehandelt wird. Ein Faktor, der die Silberpfeile attraktiv macht, vor allem im Vergleich zu Red Bulls neuem Motorpartner Ford, die bei der Rückkehr erstmal wieder bei null anfangen.
Bleibt die Frage, wie Mercedes im Fall der Fälle Verstappen aus seinem laufenden Red-Bull-Vertrag rausbekommt? Und da kommt neben der eigenen Leistung, die nach dem letzten großen Upgrade gerade passenderweise stark ansteigt, auch das aufstrebende McLaren-Team um Lando Norris ins Spiel.
Fakt ist, dass Verstappens Red-Bull-Vertrag, wie üblich bei den Großen in der Formel 1, an strenge Performanceklauseln geknüpft ist. Heißt im Umkehrschluss: Wird Red Bull nicht Weltmeister, sondern beispielsweise McLaren oder Mercedes, steht dem Niederländer die Tür für einen Wechsel offen.
Je schwerer es Wolff und Co. Verstappen dieses Jahr also noch machen können, desto größer sind folglich die Chancen des Österreichers, tatsächlich Zugriff auf den Weltmeister zu bekommen.
Noch gewinnt Verstappen die Rennen mit seinem aktuellen Paket. Dass die Luft an der Spitze aber selbst für den Ausnahmefahrer dünner wird, und dieser Umstand nicht spurlos an ihm vorbeigeht, offenbarte sich in Barcelona durch seine Aussagen, er müsse zurzeit viel Kompensationsarbeit für Red Bulls Auto leisten und 110 Prozent geben, was nicht ewig gutgehen werde.
Toto Wolff dürfte diese Nachricht mit demselben zufriedenen Gesichtsausdruck vernommen haben, den er am Sonntag auch während der Podiumszeremonie inne hatte.
Euer Frederik Hackbarth
P.S.: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat, nämlich Toto Wolffs ehemaliger Kompagnon James Vowles, das hat mein Kollege Christian Nimmervoll in der Schwesterkolumne aufgeschrieben, die ihr hier lesen könnt.