Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Esteban Ocon
Wer will mich? Esteban Ocon hat nach Monaco in Kanada die nächste Dummheit abgerissen und bringt sich womöglich gerade selbst um seine Karriere ...
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
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Esteban Ocon stellt sich mit seinem Verhalten gerade selbst ins Abseits Zoom Download
eigentlich müsste Esteban Ocon gerade alles daransetzen, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Die Entscheider im Paddock wissen nicht erst seit dem Sieg in Ungarn 2021, dass er ein verdammt schneller Formel-1-Fahrer ist. Selbst der große Fernando Alonso hat das schon zu spüren bekommen.
Aber was die Welt noch nicht gesehen hat, ist, dass Ocon auch ein Teamplayer sein kann.
Die Ausgangslage vor Kanada war angespannt. Nach der unnötigen Kollision mit Teamkollege Pierre Gasly in der ersten Runde in Monaco gab Alpine bekannt, den Vertrag am Saisonende nicht mehr zu verlängern. Eine Entscheidung, die man gemeinsam getroffen habe.
Ich habe am "gemeinsam" ehrlich gesagt meine Zweifel. Wüsste Ocon wirklich schon, wo er hin will (und vor allem: wo man ihn will!), hätte er doch längst unterschrieben und das gleich nach der Alpine-Trennung kommuniziert.
Welche Möglichkeiten hat Ocon für 2025?
In Imola wurde hinter vorgehaltener Hand erzählt: Andreas Seidl hält den Franzosen für einen schnellen Mann, aber auch für einen komplexen Charakter. Sollte Carlos Sainz nicht wollen, wäre Valtteri Bottas wahrscheinlich auch nicht dramatisch langsamer als Ocon, aber sehr viel pflegeleichter.
Eine andere diskutierte Variante war: Ocon könnte 2025 statt Lewis Hamilton bei Mercedes fahren und Andrea Kimi Antonelli bei Williams. Derjenige von den beiden, der den besseren Job macht, sitzt 2026 im Mercedes. Der andere im Williams.
Ein Szenario, mit dem man Williams-Teamchef James Vowles schmackhaft machen könnte, sich auf ein Ausbildungsjahr für Antonelli einzulassen. Wenn er weiß, dass er für 2026 im schlimmsten Fall einen schnellen Mann wie Ocon zum durch Mercedes rabattierten Preis bekommt, wäre das etwas, womit er sich arrangieren könnte. Zumindest rein theoretisch.
In der Praxis hat Vowles dieser Idee eine Absage erteilt, und zwar bereits vor Monaco. Er ließ durchblicken, dass er Ocon für einen schlechten Teamplayer hält, und er deswegen lieber Sainz oder Bottas an der Seite von Alexander Albon hätte.
Das, was sich in den letzten Runden in Montreal abgespielt hat, scheint Vowles' Ansicht zu bestätigen.
Was in der 68. und 69. Runde am Funk passiert ist
Am Ende der 68. von 70 Runden lag Ocon an achter Stelle im Rennen. Am Ende der Runde wurde er von Daniel Ricciardo überholt. Gasly im zweiten Alpine lag unmittelbar hinter den beiden, auf Platz 10. Und war zu dem Zeitpunkt schneller als sein Teamkollege.
Dazu muss man wissen: Alpine hatte kurz vor dem Start an Ocons Auto ein Problem mit einem Wastegate-Ventil notdürftig behoben. Gegen Rennende hatte Ocon laut Teamauskunft "Probleme mit dem Energiemanagement" und daher nicht mehr volle Performance.
Als Ricciardo an ihm vorbeiging, wäre es aus Teamsicht am klügsten gewesen, Gasly gleich mit durchrutschen zu lassen. Der kämpfte nicht mit stumpfen Waffen, und hätte er in Ricciardos DRS bleiben können, wäre vielleicht noch eine Attacke auf Platz 8 möglich gewesen.
Als Ricciardo vor der Zielkurve an Ocon vorbeigefahren war, dauerte es genau 30 Sekunden, bis die Anweisung von Ocons Renningenieur Josh Peckett kam: "Wir müssen Pierre durchlassen." Doch Ocon zeigte dafür genau null Verständnis: "Was ist der Grund?"
Dabei lag der auf der Hand: damit Gasly Ricciardo attackieren kann. Als Peckett das erklärte, reagierte Ocon mürrisch wie ein kleines Kind: "Das kannst du vergessen!"
Jetzt begann Ocon zu verhandeln. Er würde seinen Teamkollegen durchlassen, aber nur, wenn er den Platz am Ende zurückbekommt, sollte Gasly Ricciardo nicht mehr kriegen.
Das kostete wertvolle Zeit. Erst 2:07 Minuten nach Ricciardos Überholmanöver ging Ocon endlich vom Gas, um Gasly ziehen zu lassen. Da war Ricciardo natürlich längst aus dem DRS-Fenster enteilt - und Gasly ohne realistische Chance.
Dass Alpine die Positionen dann nicht mehr zurücktauschte ... Möglicherweise eine späte Strafe für das, was sich Ocon in Monaco geleistet hatte? Ocon konnte es nicht fassen: "Unfassbar, danke, unfassbar. Dazu fällt mir nichts mehr ein. Ich bin einfach zu nett, zu nett", tobte er am Boxenfunk.
Peckett versuchte dann, hörbar peinlich berührt, die miserable Stimmung irgendwie zu retten: "Okay, Kumpel, hör zu. Wir sind immer noch Zehnter geworden und haben einen Punkt, okay? Das war heute harte Arbeit. Ich weiß, es ist frustrierend."
Aber Ocon ließ sich davon nicht besänftigen: "Ich habe getan, was ich tun musste. Aber ihr habt nicht getan, was ihr tun musstet."
Auch wenn Teamchef Bruno Famin die Aufregung nach Rennende im Gespräch mit meinem Kollegen Jonathan Noble damit wegzulächeln versuchte, dass es halt auch mal etwas ruppiger werden kann, wenn zwei junge Männer gegeneinander Autorennen fahren und es dabei auch noch um ihre Karriere geht: In Wahrheit herrscht bei Alpine ziemlich dicke Luft.
Schießt sich Ocon jetzt auch bei Haas ins Abseits?
Ist das das Verhalten eines Fahrers, den man sich ins Team holen möchte? Sowohl bei Audi als auch bei Williams ist Sainz erste Wahl. Bei Haas könnte theoretisch ein Cockpit für Ocon frei sein. Stand Monaco war der Franzose auf der Kandidatenliste von Teamchef Ayao Komatsu.
Aber selbst der geduldige Japaner könnte angesichts solcher Aktionen wie in Kanada Zweifel bekommen, ob es nicht vielleicht doch klüger wäre, Kevin Magnussen ein weiteres Jahr zu geben. Der mag kein angehender Weltmeister sein, aber das ist Ocon auch nicht. Und Magnussen hat dieses Jahr schon zweimal bewiesen, dass er sich im Interesse seines Teams zur Not die Seele aus dem Leib fährt.
Selbst bei seinen ersten Interviews vor den TV-Kameras hatte sich Ocon noch nicht beruhigt: "Ich habe meinen Teil des Jobs erledigt. Das Team nicht. Das ist nicht fair. Ich bin sehr frustriert." Und er deutete vage an: "Es gibt wahrscheinlich viele Gründe dafür. Leider wird das jetzt wahrscheinlich das ganze Jahr so weitergehen."
Ocon begibt sich also in die Opferrolle. Durchaus verständlich, dass er sauer ist. Alpine hätte ihm den Platz tatsächlich zurückgeben sollen. Doch dass Ocon nach dem, was er in Monaco abgezogen hat, nicht der "golden Boy" ist, den das Teammanagement belohnen möchte, dürfte wohl jedem klar sein.
Was Ocon eigentlich tun hätte sollen
Er wäre gut beraten gewesen, Gasly gleich durchzulassen, sich danach in den Interviews als super Teamplayer zu inszenieren und sicherzustellen, dass Komatsu und Co. mitbekommen, dass er, wenn's hart auf hart kommt, dazu bereit ist, seine eigenen Interessen hinter denen des Teams anzustellen. Vielleicht hätte das seine Chancen auf ein Cockpit erhöht.
Es ist auch kein Wunder, dass Ocon nach dem Rennen im Paddock versuchte, besonders kritische Berichterstattung wieder einzufangen. Wahrscheinlich dämmerte ihm nach den ersten Emotionen, dass er sich mit seinem Verhalten womöglich die eigenen Zukunftschancen verbauen könnte. Aber da war es schon zu spät.
Er blieb uneinsichtig: "Wir waren zweieinhalb Sekunden hinter Daniel. Das kann in einer Runde nicht mal ein Red Bull aufholen. Es war nicht die richtige Entscheidung."
Tatsächlich lag Gasly 1,9 Sekunden hinter Ricciardo, als Ocon ihn endlich durchließ. Die Wahrheit ist aber: Als Ocon anfang rumzuzicken und Gasly erst nicht überholen lassen wollte, war der Abstand Ricciardo-Gasly noch kleiner. Erst durch das unnötige Diskutieren am Boxenfunk hatte Ricciardo Gelegenheit, sich abzusetzen.
Gasly nahm das ganze Theater gelassen: "Ich war direkt hinter Daniel, als Daniel Esteban überholte. Die Idee war, dass ich in den letzten vier Runden versuche, Daniel mit DRS zu überholen. Das hat ein bisschen länger gedauert als nötig. Aber ganz ehrlich: Keine große Sache. Ich möchte nicht ..."
Es ist sinnbildlich für das Maß der gegenseitigen Abneigung, dass natürlich auch Gasly übertreibt, wenn er die Situation aus seiner Sicht schildert. Tatsächlich hätte er nämlich nicht vier, sondern nur zwei Runden Zeit gehabt. Schwamm drüber.
Bekommt jetzt doch Mick Schumacher seine Chance?
Aus deutscher Sicht hat die Sache ja vielleicht auch was Gutes. Mick Schumacher und Ocon mögen zwar privat eng befreundet sein, aber das teaminterne Verhalten der beiden kann man ganz und gar nicht vergleichen. Wenn Famin einen Teamplayer sucht, hat er mit Mick einen an der Hand.
Wird Ocons Dummheit zur Chance für Mick?
Was hat Esteban Ocon da geritten, als er beim Grand Prix von Monaco ausgerechnet seinem Teamkollegen Pierre Gasly ins Auto gefahren ist? Weitere Formel-1-Videos
Der ist wahrscheinlich nicht unbedingt schneller als Ocon. Aber in seinem gesamthaften Verhalten sicherlich eine Nummer professioneller. Mindestens.
Was Ocon jetzt dringend braucht, ist ein Mentaltrainer. Denn es wäre schade, sollte so ein großes Talent seine Formel-1-Karriere so glanzlos beenden müssen. Das sieht sogar Vowles so, der Ocon nach Monaco angerufen hat.
Im Interview mit Canal+ erzählt der Williams-Teamchef: "Esteban ist sehr schnell. Alonso ist verdammt schnell, aber im Qualifying war Esteban gleich schnell. Er verdient seinen Platz in der Formel 1. Es stimmt aber, dass er zu oft Berührungen mit seinen Teamkollegen hat. Ohne Zweifel."
"Ich war in unserem Gespräch sehr ehrlich zu ihm. Ich sagte: 'Du musst deinen Teamkollegen so behandeln, dass du ihn niemals berühren kannst. Das ist, wie du arbeiten musst.' Ich habe ihm aber auch versichert, dass er verdammt schnell ist. Ich hoffe, in seinem Interesse, dass es klappt und er eine gute Zukunft hat."
Allerdings haben die subtilen Untertöne nicht den Sound, als läge diese Zukunft bei Williams.
Sorgen, die George Russell nicht hat. Er hat letzte Nacht am besten geschlafen, findet mein Kollege Frederik Hackbath.
Euer
Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.