Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Charles Leclerc
Der emotionalste aller Heimsiege beschert dem kleinen Fürstentum Monaco einen stolzen Tag: Charles Leclerc zieht gleich mit Niki Lauda und Gilles Villeneuve
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
wenn selbst der ein oder andere Streckenposten Freudentränen verdrückt, von Landesvater Fürst Albert ganz zu schweigen, dann ist es wahrlich ein Feiertag im kleinen Stadtstaat Monaco: Es ist die Krönung von Prinz Charles!
Aber nicht erschrecken: Nein, nicht schon wieder von dem Alten, mit den Segelohren, aus dem Hause Windsor ... sondern der junge, gutaussehende, und vor allem schnelle ist gemeint: Der, der das springende Pferd in den engen Gassen gezähmt und seinen Teamchef Fred Vasseur anschließend im Hafenbecken versenkt hat.
Doch weil Charles Leclerc ein Teamplayer ist, sprang er ehrenhalber gleich mit hinterher ins kalte Nass. Die wohlverdiente Abkühlung nach einer Triumphfahrt, wie sie das Fürstentum nicht stolzer machen könnte: Eine Monegasse gewinnt den Monaco-Grand-Prix, großartig!
Dabei ist Leclerc genau genommen gar nicht der Erste, dem dieses Kunststück gelingt: 1931 siegte mit Louis Chiron auf Bugatti schon einmal ein heimischer Pilot beim prestigeträchtigen Rennen, das damals, lange vor der Formel 1, natürlich noch keinen WM-Status hatte.
Chiron haben sie in Monte Carlo längst eine Statue errichtet, sie steht unten am Hafen, auf Höhe der Schwimmbadschikane. Leclerc können sie nun getrost eine daneben stellen, ließ er doch fast einhundert Jahre später endlich die monegassische Hymne in der Fürstenloge ertönen.
Zwar war die Freude beim sportbegeisterten Fürsten auch vor gut zehn Jahren schon groß, als mit Nico Rosberg zwischen 2013 und 2015 gleich dreimal hintereinander ein mehr oder weniger heimischer Pilot den Sieg holte - der Mercedes-Fahrer wuchs schließlich in Monaco auf und ging dort zur Schule - die deutsche Hymne versaute Albert am Ende des Tages aber wohl immer etwas die volle Patriotismus-Experience.
Leclerc versenkt Vasseur im Hafenbecken
Bei Leclerc kann das nicht passieren: Er wurde tatsächlich in Monte Carlo geboren. Folglich war der Applaus selten so laut wie am Sonntagabend beim Dinner für den Sieger, zu dem der Fürst traditionell im Palast lud. Leclerc und Vasseur hatten sich dafür wieder trockengelegt, nach ihren spontanen Schwimmübungen im Mittelmeer, und fein herausgeputzt.
Bella figura, das kann der Ferrari-Pilot bekanntlich nicht nur auf der Strecke: Modelfreundin Alexandra Saint Mleux - die TV-Regie der Formel 1 und sicher auch bald Netflix können gar nicht genug von der Hübschen kriegen, Charles allerdings auch nicht - durfte dabei natürlich keinesfalls fehlen. Und so ging sie ganz gediegen los, die wilde Partynacht, die sicher nicht so brav blieb.
"Ich hoffe das Jimmy'z ist bereit", hatte Leclerc schon auf der Auslaufrunde am Funk der ganzen Welt einen Hinweis darauf gegeben, wohin es ihn für seine Sause am Abend noch ziehen sollte. Später scherzte er wegen der unbezahlten Werbung: "Die werden froh sein. Dafür sollte ich eigentlich Rabatt kriegen."
Leclerc gibt Party-Befehl und packt das Tier aus
Sorgen, dass die Edel-Discothek im Stadtteil Larvotto deswegen von aufdringlichen Fans gestürmt wird, musste sich Leclerc bei rund 3000 Euro für den billigsten Tisch mit Schampusflasche aber wohl keine machen. Und selbst wenn, wäre es Leclerc sicher herzlich egal gewesen: "Ich werde heute Nacht wie ein Tier Party machen", kündigte er an.
Kein Wunder, hat sich der 26-Jährige doch gerade einen Lebenstraum erfüllt: Ein Sieg beim wichtigsten Rennen des Jahres, das ganz zufällig auch noch in seinem Wohnzimmer stattfindet, davon träumte der kleine Charles schon als Kind. Und auch einer, der heute nicht mehr da ist, um mit ihm zu feiern.
"Es ist das erste Mal, dass ich weine, weil mein Bruder gewinnt, einfach ein unglaubliches Gefühl. Ich wünschte nur, dass mein Vater auch hier wäre, um das zu sehen", verrät Charles' Bruder Arthur Leclerc, selbst Rennfahrer und Ferrari-Junior, nach dem Sieg.
2017 starb Vater Hervé Leclerc im Alter von nur 54 Jahren nach langer Krankheit. Seine ehrgeizigen Söhne hielt das auf ihrem Weg in die Weltspitze des Motorsports nicht auf. Genauso wenig wie die anderen Tragödien, die der heutige Ferrari-Star in jungen Jahren miterleben musste.
Jules Bianchi, der passenderweise genau vor zehn Jahren in Monaco seine einzigen Formel-1-Punkte einfuhr, war Leclercs Patenonkel: Beim Japan-Grand-Prix in Suzuka 2014 verunglückt er schwer, stirbt im Sommer darauf an den Spätfolgen seines Horrorunfalls.
Einen solchen erlebt Leclerc dann auch 2019 live vor Ort mit, als sein Jugendfreund Anthoine Hubert bei der Formel 2 in Spa in den Tod rast: Leclerc gewinnt tags darauf seinen ersten Formel-1-Grand-Prix und widmet ihn seinem Landsmann.
Die Höhen und Tiefen eines Rennfahrerlebens
Wer Sonnyboy Leclerc dieser Tage so sieht, egal ob an den Rennstrecken dieser Welt, oder auf Instagram, wo er im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes gerade erst bei einem Empfang mit Superstar Cara Delevingne posierte oder sich für das Monaco-Wochenende einen frischen Haarschnitt verpassen ließ, der vergisst manchmal, über welche emotionale Tiefe der junge Mann ob des Erlebten zwangsläufig verfügen muss.
Ganz kurz blitzt die dann auch am Sonntag auf, für Leclerc allerdings zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: "Zwei Runden vor Schluss habe ich gemerkt, dass ich Probleme habe, auf dem Weg aus dem Tunnel etwas zu sehen, weil ich Tränen in den Augen hatte. Ich habe gedacht: 'Fuck, Charles, das kannst du jetzt nicht machen'", verrät er nach dem Rennen.
In den vielen schwierigen Stunden seiner Karriere sei es ihm sonst immer gelungen, die Emotionen zu kontrollieren und auszublenden. Ausgerechnet in seinem bis dato wohl schönsten Moment ist es diesmal jedoch anders, die emotionalen Schutzschilde versagen:
"Ich hatte Flashbacks an all die Momente, die wir zusammen verbracht haben, die Opfer, die er für mich gebracht hat", denkt Leclerc abermals an seinen Vater und freut sich umso mehr: "Ich spüre, dass ich heute nicht nur meinen Traum erfüllt habe, sondern auch einen von ihm."
Schluss mit Monaco-Fluch: Leclerc liefert eiskalt ab
Dass dieser Traum einer war, für den er so hart kämpfen musste, "das macht es jetzt noch besser", gesteht Leclerc ein: Vom Monaco-Fluch war in der Presse in Bezug auf den Heim-Helden bereits zu lesen, zwei Monaco-Poles in den Jahren 2021 und 2022 brachten schließlich null Podien.
Doch aller guten Dinge sind eben drei, und an diesem Wochenende gab es im wahrsten Sinne des Wortes kein Vorbeikommen an dem Mann, der gefühlt vom ersten Training an auf seiner Haus- und Hofstrecke eine Stufe über allen anderen stand.
Am Sonntag schien der Weg damit vorgezeichnet, er brachte den langersehnten Heimsieg ganz souverän und ohne "Inchident", um in der Leclerc-Sprache zu bleiben, über die Ziellinie - und beendete so nicht nur seine unrühmliche Monaco-Serie, sondern auch die von zwölf Poles in Folge, die der Scuderia-Star nicht in einen Sieg verwandeln konnte.
Eigentlich unglaublich, aber fast zwei Jahre war auch Leclercs letzter Grand-Prix-Erfolg in Spielberg 2022 schon her: Der Triumph in Monte Carlo ist überhaupt erst sein sechster in der Königsklasse, bei 24 Poles. In Sachen erste Startplätze ist er damit am Wochenende mit Formel-1-Legende Niki Lauda gleichgezogen, bei den Siegen steht er nun auf einer Stufe mit Ferrari-Mythos Gilles Villeneuve.
Keine schlechte Gesellschaft im Ferrari-Kosmos, um für die Zukunft noch ein bisschen größer zu träumen, quasi über die engen Landesgrenzen hinaus, vielleicht in Richtung WM-Titel. Denn viel ist für einen Monza-Sieger im Ferrari (2019) nach dem Highlight-Tag in Monaco ehrlich gesagt nicht mehr offen auf der Bucketlist der Formel 1.
Allerdings muss man dazu auch mal die Augen schließen, und das, so viel wissen wir seit seiner vollmundigen Partyanimal-Ankündigung, wird Leclerc letzte Nacht kaum getan haben ... wenn er das Bett in Monaco dann doch irgendwann finden sollte, so ist es wenigstens das eigene - und darin schläft sich ja bekanntlich am besten. Noch so ein Vorteil von Heimsiegen.
Euer Frederik Hackbarth