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Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Max Verstappen
Wachablösung und Anfang vom Ende für Red Bull? Max Verstappen belehrt in Imola mal wieder alle eines Besseren - über die vielen Kapazitäten eines Weltmeisters
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
© Motorsport Images
Manchmal wirkt es so, als würde Max Verstappen nur mit den Gegnern spielen Zoom Download
als "Rennmaschine" bezeichnete Red-Bull-Teamchef Christian Horner seinen Superstar Max Verstappen nach dem Doppelsieg in Imola. Okay, "seinen" trifft es vielleicht gar nicht mehr (dazu später mehr) und Doppelsieg ist streng genommen natürlich auch nicht richtig in Sachen Begrifflichkeit.
Gemeint ist damit selbstredend kein Finish vor Teamkollege Sergio Perez, der sich in Imola insgesamt nicht wirklich mit Ruhm bekleckerte, sondern die Tatsache, dass Verstappen neben dem Grand Prix in der Königsklasse auch noch ein Sim-Racing-Event auf der virtuellen Nürburgring Nordschleife bestritt - und gewann.
Rund zehn Minuten vor dem Ausgehen der Ampeln in Imola, fuhr einer von Verstappens Zocker-Kollegen den Sieg bei dem 24-Rennen ein. Der Niederländer war da freilich längst in seiner nächsten Konzentrationsphase: Als er nach der obligatorischen Nationalhymne, in Imola übrigens herrlich und mit lieblichen Stimmen von einem Kinderchor vorgetragen, direkt an mir vorbei auf die Startaufstellung zusteuert, ist der Blick starr, entschlossen und längst im Tunnel.
Voller Fokus auf den Start und das zahlt sich aus: Wieder einmal verteidigt Verstappen seine Führung in Kurve eins - und in Imola, wo man extrem schwer überholen kann, ist das schon fast die halbe Miete: Das weiß auch McLaren-Teamchef Andrea Stella, der trotz aller Konkurrenz vor allem die unglaubliche Konstanz bei Verstappens Starts über den grünen Klee lobt.
"Rennmaschine" Verstappen eben, kommen sofort wieder Horners Worte in den Sinn. Bei der Einschätzung seiner Mitarbeiter*innen (ja, an dieser Stelle wird ausnahmsweise mal bewusst gegendert) liegt der Brite ja gerne mal daneben, wie wir spätestens seit Anfang des Jahres wissen - aber in diesem Fall ist Einspruch ausnahmsweise zwecklos und seine Meinung valide.
Verstappen zeigt in Imola eindrucksvoll, warum er in jüngerer Vergangenheit den Status als Alleinherrscher in der Formel 1 genießt: Am Freitag noch lief für Red Bull überhaupt nichts zusammen auf dem Kurs in der Emilia Romagna, der Weltmeister schimpfte am Funk wie ein Rohrspatz, und die neuen Updates schienen erstmal das Gegenteil einer Formverbesserung zu bewirken: Alles schlecht also.
Auch am Samstagvormittag war zunächst nichts von einer gravierenden Trendwende zu sehen. Zumal auch Red Bulls sonst so selbstbewusster Motorsportberater Helmut Marko leise Zweifel daran anmeldete, dass sein Team auch diesmal wieder den Turnaround schaffen könnte, als er uns in seinem edlen Hotel nahe Imola zum Frühstücksinterview traf.
Dass der Grazer dabei tatsächlich nicht bloß tiefstapelte, zeigte sich wenig später auch an der Tatsache, dass er im Qualifying gegen Verstappen wettete - und verlor. Vielleicht war auch deshalb die Freude besonders groß beim Serien-Polesetter, der sich zuletzt nie auch nur annähernd so ausgelassen über ein Qualifying-Resultat gefreut hatte wie in Imola.
Ein Punkt, der als Indikator dafür zu werten ist, dass Verstappen ernsthaft davon überrascht war, mit seinen Ingenieuren durch Änderungen kurz vor dem Qualifying, und sogar noch während der Session, das Ruder doch noch rumgerissen zu haben.
Zwei knappe Ergebnisse, aber kaum Spannung
Dabei war es sowohl im Zeittraining als auch im Rennen denkbar knapp in Imola: Gerade einmal 74 Tausendstel Vorsprung hatte Verstappen schlussendlich auf McLaren-Verfolger Oscar Piastri. Weil der Australier durch eine Strafe aber noch zurückversetzt wurde, erbte Norris den Platz in Reihe eins, mit auch nur 91 Tausendsteln Rückstand.
Der McLaren-Star heizte dem Niederländer dann vor allem in der Schlussphase des Rennens ein. Gerade einmal 17 Tausendstel fehlten Norris zu Beginn der letzten Runde bei der Zeitmessung für die DRS-Aktivierung, die vielleicht doch nochmal eine finale Chance hätte bieten können.
Als erprobter Dauerführender ist Verstappen das perfekte Verwalten und Einteilen eines Vorsprungs bis ins Ziel aber mehr als gewohnt. Wie viel Berechnung und perfektes Timing angesichts der extrem engen Abstände allerdings wirklich dabei sein können, das weiß der Niederländer wahrscheinlich nur selber.
Bleibt die Frage: Wie eng ist es denn nun wirklich in der Formel 1 und der WM 2024? Und wie gut kann Max Verstappen nach dem Imola-Grand-Prix entsprechend schlafen?
Fakt ist: In der Anfangsphase war der Red-Bull-Pilot klar der schnellste Mann, enteilte auf den Medium-Reifen auch Norris binnen weniger Runden für einen komfortablen Vorsprung. Da sah alles aus wie immer, nach dem klassischen Max-Verstappen-Durchmarsch, den wir in den vergangenen Jahren zu oft gesehen haben.
Auf den harten Pneus hingegen tat sich Verstappen schwerer und Norris holte auf. Die Probleme klassifizierte der Weltmeister allerdings später als potenzielle Folge der Schwierigkeiten und damit verbundenen Versäumnisse vom schwachen Freitag.
Heißt übersetzt: Hätten Verstappen und Red Bull einen besseren Start ins Wochenende erwischt, wäre es womöglich weniger eng geworden. Und obwohl es nicht lief, hieß der Sieger am Ende wieder Max Verstappen. Zwar ist die Spannung in der WM durchaus intakt, da die Saison noch lange ist und bei einem engeren Kampf der drei Top-Teams das Pendel auch immer mal zugunsten der Gegner ausschlagen kann, siehe Miami.
Red Bull braucht Verstappen mehr als Verstappen Red Bull
Aber, und das ist die schlechte Nachricht für Lando Norris, Charles Leclerc und Co.: Nicht nur, dass die WM jetzt punktemäßig de facto wieder auf dem Stand von vor Miami ist. Verstappen hat auch bewiesen: Wenn Red Bull mal nicht voll auf der Höhe ist oder performt, dann tut er es eben und holt die Kartoffeln aus dem Feuer: Imola war in erster Linie sein Sieg, ein Fahrersieg.
Frappierend sind bei genauerer Betrachtung dann eigentlich auch die Nebenschauplätze wie der Stinkefinger an einen aufmüpfigen italienischen Fan aus dem Cockpit raus oder der Boxkampf zwischen Tyson Fury und Oleksandr Usyk, den sich Verstappen eigenen Angaben zufolge bis spät in die Nacht vor dem Rennen noch reinzog.
Von der Sim-Racing-Nummer ganz zu schweigen: Verstappen spielt nicht nur mit anderen Zockern, sondern vor allem mit der Konkurrenz. Die Kapazitäten, die der Niederländer neben seinen uhrwerksartigen Auftritten noch frei zu haben scheint, müssen demoralisierend für die Gegner sein. Der Weltmeister lässt sie vielleicht mal schnuppern, so wie Norris in der Schlussphase von Imola, aber am Ende ist er dann doch wieder da, um alles abzusahnen.
So sehr das bei Red Bull, nach dem zumindest auf nicht-sportlicher Ebene holprigen Saisonstart, für Freude sorgen dürfte, so sehr sollte hier im Umkehrschluss vor allem Teamchef Christian Horner gut zuhören, geht damit verbunden doch auch die Erkenntnis einher, dass das Team Verstappen mittlerweile mehr braucht als er das Team.
Auf Grund der sportlich befriedigenden Situation und Aussichten, stehen die Zeichen bei Red Bull und Verstappen aktuell zwar nicht auf Trennung - ganz ausgestanden ist die Causa Horner, allem Burgfrieden zum Trotz, im Hintergrund aber noch nicht.
Das Komfortable für Verstappen daran ist allerdings, er hat es, zumindest abseits der Strecke, aktuell nicht eilig, kann sich die Entwicklungen bei seinem Rennstall, explizit auch der Machtstrukturen im Hintergrund, und bei den möglichen Wechseloptionen in aller Ruhe anschauen.
Denn auch mit der Gewissheit, einerseits bei Red Bull für 2025 einen gültigen Vertrag zu haben, andererseits, dass Toto Wolff und Mercedes ihn immer noch jederzeit gerne in den Silberpfeil setzen würden, lässt es sich ganz gut schlafen.
Anders als Fernando Alonso, übrigens. Der ist diesmal Thema in der Schwesterkolumne "Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat" von Christian Nimmervoll.
Euer Frederik Hackbarth