Kolumne aus Imola: Senna grüßt die Formel 1 von oben
Von klatschnassen Rennhelden, magischen Momenten und der Aura eines besonderen Ortes - eine Kolumne aus Imola von Frederik Hackbarth
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
© Motorsport Images
Diesmal keine Bienen: Sebastian Vettel versammelt die Fahrer um Sennas Statue Zoom Download
stellt euch mal vor, ihr seid als Fans in Imola, das Wetter macht noch eher einen auf April statt Mai, und trotzdem streift ihr am Donnerstag vor dem Grand Prix ganz sorglos durch den malerischen Park im Autodromo Enzo e Dino Ferrari, um der Ayrton-Senna-Statue auf der Innenseite der Tamburello-Kurve den obligatorischen Besuch abzustatten.
Während ihr dort steht, kommt plötzlich ein Mann im gelb-grünen Senna-Shirt angerannt, gefolgt von einer großen Entourage an identisch gekleideten Joggern. Ihr seht den Mann an, der da vor der Statue stoppt und seine Mitläufer um sich vereint, während der Himmel immer dunkler wird ... und denkt euch: Irgendwie kommt mir der doch bekannt vor?
Richtig. Es ist Sebastian Vettel - und seine Gefolgschaft besteht aus Lewis Hamilton, Charles Leclerc ... kurzum, fast allen aktuellen Formel-1-Stars.
Tatsache: Ein paar glücklichen Fans ist genau das am Donnerstag in Imola wirklich passiert! Wenngleich das kuriose Schauspiel nur von kurzer Dauer ist, denn wenige Sekunden später grüßt von oben einer, der nochmal auf einer ganz anderen Stufe steht als die Formel-1-Idole anno 2024.
An Ayrton Senna kommt man in Imola sowieso nie vorbei, dieser Tage aber gleich noch viel weniger: Sei es das Fotos des winkenden Brasilianers auf der Haupttribüne, das gigantische Wandgemälde am Eingang zum Paddock, oder die vielen Plakate und Fahnen mit Sennas Konterfei und Farben rund um die Strecke.
Zum 30. Todestag von ihm und Roland Ratzenberger, sind sogar die Streckenmauern an manchen Stellen des Kurses mit aufgemalten Erinnerungen an die beiden Männer verziert, die vor 30 Jahren an jenem so geschichtsträchtigen Ort für den Grand-Prix-Sport ihr Leben ließen.
Vettel mit besonderen Aktionen in Imola
Formel-1-Rentner Sebastian Vettel hat das traurige Jubiläum zum Anlass genommen, am Wochenende nicht nur Demorunden in Sennas 1993er McLaren zu drehen - bereits am Donnerstag veranstaltete der deutsche Vierfach-Weltmeister auch einen Rundlauf um die Strecke, mit den Fahrern der Formel 1, 2 und 3, und allen weiteren Leuten aus dem Fahrerlager, die mitmachen wollten.
Pünktlich um 17.30 Uhr findet sich Vettel deshalb auf der Start-Ziel-Gerade von Imola ein, gibt noch paar Interviews zu dem speziellen Anlass und seiner Motivation dafür, während hinter ihm langsam immer mehr seiner ehemaligen Fahrerkollegen dazustoßen. Britta Roeske, Vettels Pressesprecherin, verteilt eifrig die Senna-Shirts, die der Deutsche extra hat drucken lassen.
Fotostrecke: 30 Jahre später: Formel-1-Piloten gedenken Senna und Ratzenberger
Beim Großen Preis von San Marino 1994 verunglückten Ayrton Senna und Roland Ratzenberger in Imola tödlich. Genau 30 Jahre später hat sich das aktuelle Formel-1-Paddock an gleicher Stelle versammelt, um den beiden zu gedenken. Fotostrecke
Dazu gibt es auch noch rot-weiß-rote Schweißbänder, im Andenken an Ratzenberger, und Vorhängeschlösser, wie man sie sonst von eher von Verliebten am Brückengeländer kennt, mit Sennas ikonischen Helmfarben drauf.
Hinter den beiden Helmen von Ratzenberger und Senna beziehen die Formel-1-Stars schließlich Aufstellung, gemeinsam mit Formel-1-Boss Stefano Domenicali und Ex-Fahrern wie Alex Wurz oder Juan-Pablo-Montoya wird für ein großes Gruppenfoto posiert. Dann macht sich der Tross um kurz nach 18 Uhr auf den Weg in Richtung Tamburello.
Nun ist Joggen wirklich nicht meins, und eigentlich wollte ich gar nicht mitlaufen - aber irgendwie sagt das erprobte Bauchgefühl in diesem Augenblick, dass ich mir diesen Moment nicht entgehen lassen sollte ... und so renne auch ich spontan mit in Richtung Senna-Statue.
Der Himmel weint noch einmal um Ayrton Senna
Was dann passiert, ist schwer zu beschreiben: Denn just in dem Augenblick als die Gruppe Sennas Unglücksort in Tamburello erreicht, öffnet der Himmel seine Schleusen und weint bitterlich um die verstorbene Formel-1-Ikone.
Wie passend, dass es nicht nur ein paar Tränen sind, sondern ein Regenguss, wie ich ihn selten erlebt habe. Der plötzliche Platzregen versprengt auch die gelb-grüne Läufertruppe: Die ersten suchen schon Schutz unter den Bäumen rund um die Statue, da kommen die langsameren und ungeübten Läufer wie ich gerade erst an.
Ich treffe auf Daniel Ricciardo, der in all dem Chaos und Trubel nicht weiß, wo es langgeht in Richtung Memorial und mir erzählt, dass er bisher noch nie dort war. Gemeinsam suchen und finden wir den Einstieg hinter den Zaun, und dort schließlich auch den Rest der Gruppe, während die Tropfen immer dicker werden.
Bei Vettels Rede brechen alle Dämme
Umringt von einer kleinen Menschentraube, bestehend aus seinen ehemaligen Fahrerkollegen und ein paar der sportlicheren Fotografen, sowie der oben angesprochenen Handvoll ungläubiger Fans, hält Vettel eine kurze, aber energische Rede vor der Statue und wirkt dabei fast wie ein Fußballtrainer, der seine Mannschaft vor einem wichtigen Spiel mit der ganzen Palette an Emotionen einschwört.
Schnell bringen die Fahrer einige der "Liebesschlösser" am Zaun an, dort, wo schon so viele Flaggen, Blumen und Briefe hängen, dort, wo vor 30 Jahren "die Sonne vom Himmel fiel", wie es Sennas ehemaliger Teamkollege und guter Freund Gerhard Berger einst so passend ausdrückte.
Mittlerweile gießt es wie aus Kübeln und die Menge löst sich entsprechend wild auf, in alle Richtungen flüchten die klitschnassen Formel-1-Stars: Ein fluchender Lance Stroll rennt an mir vorbei, während das Wasser von seiner Kappe tropft, Lewis Hamilton irrt auf der Suche nach seinem E-Scooter umher, den er schließlich auch findet, und die Ferrari-Stars Charles Leclerc und Carlos Sainz sprinten zu ihren Fahrrädern, mit denen sie den "Lauf" in weiser Voraussicht angetreten sind.
Nachdem sowieso schon alles egal und ohnehin jeder von Kopf bis Sohle durchnässt ist, kommt dann recht schnell auch wieder das Wettkämpfer-Gen in beiden Scuderia-Piloten durch und so artet der Rückweg für Sainz und Leclerc in ein kleines Radrennen aus - vermutlich das nasseste, das sie sich je geliefert haben.
Nasser Rückweg mit Norris und Antonelli
Andere, wie Lando Norris und meine Wenigkeit, sind indes weit weniger gut ausgestattet. Wir treten den Rückweg Richtung Boxengasse wie die begossenen Pudel zu Fuß an. Vor dem Wettergott sind wir eben alle gleich, egal ob frischgebackener Miami-Sieger oder durchnässter Formel-1-Reporter.
Schon mehr mitgedacht hat da Mercedes-Junior Andrea Kimi Antonelli. Das Supertalent aus Italien, das mit seinen dunklen Locken und dem neugierigen Blick selbst ein bisschen aussieht wie der junge Senna, grinst mich unter seinem großen Regenschirm heraus frech an und kann sich ein Lachen nicht verkneifen ob des Anblicks der weit weniger gut Vorbereiteten.
Wenn er jemals mit der Formel 1 ein Regenrennen in Imola bestreiten sollte, sei er nun jedenfalls bestens eingestimmt, scherzt der 17-Jährige, den vor allem die heimischen Journalisten schon für 2025 als Hamilton-Nachfolger in den Mercedes schreiben.
Und pünktlich als wir bei Start-Ziel ankommen, hat nicht nur der Regen wieder aufgehört, es kommt sogar die Sonne raus und sorgt für einen bunten Regenbogen am Abendhimmel über Imola. Viel mehr Kitsch geht nicht, denke ich mir, und komme trotzdem nicht umhin festzustellen, dass da am Donnerstag wohl ein anderer von oben seine Grüße an die auch nach 30 Jahren immer noch trauernde Formel-1-Familie geschickt hat ...
Euer Frederik Hackbarth