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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: John Elkann
Ferrari könnte die Jahrhundertchance haben, Verstappen und Newey mit einem einzigen Coup zu holen, ist aber durch den Vertrag mit Lewis Hamilton blockiert
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
© Motorsport Network
John Elkann und Lewis Hamilton: Hat der Deal zu spät endlich geklappt? Zoom Download
man stelle sich vor, man war seit Jahren auf der Jagd nach dem statistisch gesehen erfolgreichsten Rennfahrer aller Zeiten, hat diesen gelockt mit großen Versprechungen und noch größeren Dollars. Am Ende, nach vier Jahren Gesprächen und Verhandlungen, klappt's dann endlich mit dem Vertrag.
Und dann wacht man am nächsten Morgen auf und merkt: Habe ich vielleicht einen sündhaft teuren Fehler gemacht?
So könnte es John Elkann, dem Vorsitzenden von Ferrari, gerade gehen.
Es war im Jahr 2019, Lewis Hamilton hatte gerade erst seinen fünften Titel gewonnen, als Elkann zum ersten Mal ganz konkret an Hamilton baggerte. Elkann war sich inzwischen relativ sicher, dass das mit Sebastian Vettel nichts mehr werden würde, und war noch nicht restlos überzeugt davon, dass der blutjunge Charles Leclerc "the real Thing" ist.
Also traf er sich 2019 (mindestens) zweimal mit Hamilton, nur um am Ende dann doch zu hören: Sorry, ich bleibe lieber bei Mercedes!
Elkann hat immer davon geträumt, zwei britische Ikonen zu sich ins Team zu holen, um den ersten WM-Titel seit der Konstrukteursmeisterschaft 2008 nach Maranello zu holen: erstens Hamilton, und zweitens Adrian Newey.
Doch die Ironie an der Geschichte ist: Jetzt, wo zumindest das mit Hamilton endlich geklappt hat, könnte es Ferrari eher blockieren, Hamilton für 2025 bereits unter Vertrag zu haben, als neue Chancen aufzutun.
Horner-Affäre: Was passiert bei Red Bull?
Denn während Jos Verstappen bei Red Bull mit der Zündschnur in der einen und einem Feuerzeug in der anderen Hand vergeblich drauf wartet, dass Christian Horner ob seiner unappetitlichen Disziplinarverfehlungen endlich von Chalerm Yoovidhya rausgeschmissen wird, wäre aus Ferrari-Sicht ein Jahrhundertfenster offen, den besten Fahrer und den besten Designer der Formel 1 mit einem einzigen Coup abzuwerben.
Toto Wolff schaut sich die (vielleicht) bevorstehende Apokalypse bei Red Bull gerade mit dem Popcorn in der Hand und einem erwartungsvollen Grinsen im Gesicht an. Er hat verstanden, dass, wenn die Dinge gut für ihn laufen, er am Ende Verstappen in seinem Auto haben könnte - und den besten Designer vielleicht gar nicht mehr braucht, weil der beste Fahrer auch mit dem zweit- oder drittbesten Auto Weltmeister werden kann.
John Elkann hingegen mag vielleicht auch belustigt sein ob der stellenweise ziemlich peinlich anmutenden Aufführung, mit der Christian Horner und Chalerm Yoovidhya gerade das Ansehen von Dietrich Mateschitz' Lebenswerk nachhaltig beschädigen. Aber den Handlungsspielraum, selbst zum Profiteur der Posse zu werden, hat er nicht.
Denn kurz bevor dieser Winter so richtig an Dynamik aufgenommen hat, hatte Elkann schon den Vertrag mit Charles Leclerc für die nächsten Jahre verlängert, und dann unterschrieb er auch noch den mit Hamilton.
Verpasst Ferrari eine Jahrhundertchance?
Ganz ehrlich, was würdet ihr an seiner Stelle lieber haben? Eine Fahrerpaarung Hamilton-Leclerc, mit Enrico Cardile als Technischem Direktor? Oder Verstappen-Leclerc, mit Adrian Newey, der für Verstappen das Auto baut? Ich würde mich für letzteres entscheiden. Erfolg nahezu garantiert.
Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass der Lockruf des Mythos Ferrari sowohl Verstappen als auch Newey attraktiv erscheinen würde, sollte Red Bull in den nächsten Tagen wirklich explodieren.
Newey hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er auch gern mal einen Ferrari bauen möchte. Doch trotz mehrmaliger (teilweise sehr konkreter) Verhandlungen hat es letztendlich bisher nie geklappt mit einem Deal.
1985 wollte man ihn in Maranello haben, um das IndyCar zu bauen, das letztendlich dann nie gefahren ist. Ein paar Jahre später lehnte Newey ein weiteres Ferrari-Angebot ab, weil er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte, nach Ayrton Sennas Tod ausgerechnet für Michael Schumacher Autos zu bauen. Und 2014 waren es Helmut Marko und Dietrich Mateschitz, die ihn mit viel Überredungskunst, zusätzlichen Freiheiten und einer Traumgage dazu überreden konnten, doch bei Red Bull zu bleiben.
Jetzt hat Elkann Hamilton am Bein und kann in der Verstappen-Frage nicht ernsthaft mitmischen. Oder will er am Ende dem großen Lewis Hamilton erklären: "Lewis, tut mir leid, aber deine Karriere ist jetzt zu Ende. Wir halten unseren Vertrag nicht ein und zahlen dich aus, weil wir etwas Besseres bekommen haben."
Das halte ich für schwer vorstellbar. Der Shitstorm der Hamilton-Fans wäre gigantisch, noch dazu, wenn derjenige, für den Lewis eingetauscht wird, ausgerechnet Verstappen ist - der große Feind aus der Jahrhundertsaison 2021, in der zwischen den beiden Lenkrad-Giganten so viel vorgefallen ist.
Hat Hamilton die besten Jahre hinter sich?
Aber selbst wenn man die Verstappen-Chance mal aus der Gleichung nimmt, muss sich Elkann langsam anfangen zu fragen, ob er mit Hamilton-Leclerc das richtige Millioneninvestment für 2025 und darüber hinaus gemacht hat.
Zumindest im ersten Abschnitt der Saison hat es den Anschein, dass auch Carlos Sainz ziemlich schnell Autofahren kann, und selbst Oliver Bearman hat in Saudi-Arabien bewiesen, dass Leclerc vielleicht doch nicht der Überfahrer ist, für den ihn viele bei Ferrari seit Jahren halten.
Gleichzeitig fängt der absolute Superstar Hamilton an, den Glanz seiner allerbesten Jahre langsam zu verlieren.
Er wird 40 sein, wenn er 2025 zu Ferrari kommt, und ich kann aus eigener Erfahrung sagen: 40 ist das Alter, in dem man anfängt, Hornhautcreme an die Füße zu schmieren und langsam zu merken, dass man nach dem Tennis erst mal 15 Minuten durchatmen muss, bevor man das erste Gläschen Wein verträgt.
Das sind Sorgen, die mag ein siebenmaliger Formel-1-Weltmeister so nicht haben, bei dem ultragesunden Lebensstil, den er pflegt. Aber ganz verschließen kann sich den biologischen Realitäten auch ein Lewis Hamilton nicht.
2021: Lewis Hamilton von einem anderen Stern
Ende 2021, als er doch noch die Chance roch, sich mit dem achten Titel unsterblich zu machen, da fuhr Hamilton Autorennen wie von einem anderen Stern. Seine Performance in Brasilien, Katar, Saudi-Arabien und Abu Dhabi war mit das Beste, was ich je von einem Formel-1-Fahrer gesehen habe.
Doch ein bisschen beschleicht mich langsam das Gefühl: Es war das letzte große Aufbäumen eines ganz, ganz großen Sporthelden, der letzte Peak in einer ikonischen Karriere - und seither ist die Luft draußen. Selbst Mercedes-intern gewinnt George Russell (gewiss auch ein außergewöhnlich begnadeter Fahrer, aber eben noch kein prämierter Champion) nach und nach die Oberhand.
Elkann steht jetzt blöd da: Während Toto Wolff sich die Hände reibt, weil ihm die schwierige Entscheidung abgenommen wurde, Hamilton eines Tages rausschmeißen zu müssen, und ihm gleichzeitig Max Verstappen als Geschenk des Himmels in die Hände fallen könnte, hat Elkann zwar endlich das bekommen, was er schon immer wollte.
Aber womöglich zu einem überteuerten Preis und mit einem bereits überschrittenen Mindesthaltbarkeitsdatum.
Einer aus dem Ferrari-Lager hat letzte Nacht besser geschlafen als John Elkann, und zwar Oliver Bearman. Warum, das erklärt mein Kollege Sönke Brederlow in seiner Schwesterkolumne!
Euer
Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.