• 20. November 2023 · 04:33 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: George Russell

Was Sachir 2020 mit Vegas 2023 zu tun hat und warum Lewis Hamilton in einer Zukunft ohne "Zero-Pod" und Mike Elliott eine Nummer zu groß sein könnte

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

Foto zur News: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: George Russell

George Russell hat sich die Saison 2023 wahrscheinlich anders vorgestellt Zoom Download

"Ich bin wirklich frustriert. Mit heute, mit der ganzen Saison. Irgendwie läuft's einfach nicht. Wenn das Auto schnell ist, dann scheint das Glück immer auf deiner Seite zu sein. Aber wenn es das nicht ist, dann scheinst du auch kein Glück zu haben."

Es brauchte nur fünf Sätze, um George Russells Frust nach dem vorletzten Rennen der Formel-1-Saison 2023 erahnen zu können. Nicht, dass er im Fokus öffentlicher Dauerkritik stehen würde, wie etwa Sergio Perez, Lance Stroll & Co. Doch klar ist auch: Russell hatte sich nicht nur den Grand Prix von Las Vegas, sondern auch das Jahr insgesamt anders vorgestellt.

Im Qualifyingduell liegt er gegen Lewis Hamilton nur knapp mit 10:11 im Hintertreffen (Sprint: 4:2). Bei den Rennen sieht's mit 6:15 schon etwas deutlicher aus (Sprint: 4:2).

Besonders schmerzhaft ist der Blick auf den WM-Stand: Während Hamilton seinen dritten Platz eingeloggt und damit das Ticket zur FIA-Gala in Baku gelöst hat (auf die er wahrscheinlich gar nicht scharf ist), wird Russell die Formel-1-WM 2023 als Achter beenden. Das steht schon vor Abu Dhabi fest.

Ein ernüchterndes Ergebnis, denn von den neun anderen Fahrern der aktuell fünf besten Teams der Formel 1 (Red Bull, Mercedes, Ferrari, McLaren und Aston Martin) hat er nur zwei geschlagen. Oscar Piastri, für den 2023 noch Welpenschutz gilt, und Lance Stroll, der ... naja, eben Lance Stroll ist.

Sachir 2020: Stimmt Russells Spruch nicht?

Russells frustrierter Spruch, dass man mit schnellen Autos immer Glück und mit langsamen immer Pech habe, stimmt auch nicht so ganz. Das müsste er eigentlich selbst am besten wissen.

Als er beim Sachir-Grand-Prix 2020 erstmals bei Mercedes einspringen durfte, weil Hamilton mit COVID-19 im Hotelzimmer isoliert war, lag er in Führung, wurde aber das Opfer eines Boxenfehlers und dann auch noch eines Reifenschadens.

2023 ist er, als Dritter in Barcelona, ein einziges Mal aufs Podium gefahren. Ein Kunststück, das elf Fahrern gelungen ist, und immerhin acht Fahrern öfter als Russell. Zum Vergleich: Teamkollege Hamilton kann sechs Podestplätze vorweisen.

Niemand zweifelt ernsthaft an Russells Talent. Doch sah es 2022, in seinem ersten Jahr bei Mercedes, noch so aus, als könne er Hamilton vielleicht schon bald den Rang ablaufen, so ist es dem siebenmaligen Weltmeister 2023 gelungen, teamintern wieder für geordnete Verhältnisse zu sorgen.

Warum ist Hamilton wieder die Nummer 1?

Was auch daran liegen mag, dass Russell in jener Phase, als der Mercedes mit dem "Zero-Pod" gehoppelt ist wie ein Feldhase, sich besser motivieren konnte als Hamilton, aus einem schwierigen Auto das Maximum herauszuholen. Eine Disziplin, auf die ihn die Williams-Jahre gut vorbereitet haben.

In Monaco aber kippte Mercedes endgültig das technische Konzept, mit dem man seit Anfang 2022 auf Abwege geraten war. Ein paar Monate später trennte man sich (offiziell einvernehmlich) von Mike Elliott, dem geistigen Vater jenes Designs, mit dem sich Hamilton nie anfreunden konnte.

Nur Zufall, dass Hamilton seither rein sportlich gesehen wieder die Nummer 1 im Team ist? Oder hat im Frühsommer eine Weichenstellung stattgefunden, die Hamilton einfach eher hilft, das Beste aus sich herauszuholen, sodass Russell im Vergleich zum siebenmaligen Weltmeister, der an schlechten Tagen auch mal ein bisschen die launische Diva in sich raushängen lassen kann, auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird?


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Ich frage mich manchmal: Wie wäre Russells Karriere wohl verlaufen, wenn er damals in Sachir kein Pech gehabt, sondern das Rennen gewonnen hätte? Wäre er dann vielleicht doch schon 2021 im Mercedes gesessen, als dieser noch ein Siegerauto war? Und welche Rolle hätte er dann in der legendären Saison 2021 eingenommen, mit dem dramatischen WM-Finale in Abu Dhabi?

Abu Dhabi 2021: Der Stachel sitzt immer noch tief

Apropos Abu Dhabi: Da sitzt der Stachel immer noch tief, und zwar auf beiden Seiten. Angesprochen auf den Kampf um den zweiten Platz in der Konstrukteurs-WM, in der Mercedes jetzt noch vier Punkte Vorsprung auf Ferrari hat, meinte Toto Wolff in Las Vegas, man gehe jetzt also wieder fast punktgleich mit einem Gegner nach Abu Dhabi, aber diesmal "mit einem ordentlichen Rennleiter".

Eine klare Anspielung auf Michael Masi, dessen zumindest fragwürdige Ausgestaltung der letzten Runden 2021 die WM zugunsten von Max Verstappen entschieden hat.

Auf der anderen Seite reagiert man aber auch bei Red Bull unverändert empfindlich, wenn man erwähnt, dass man bei Mercedes ja vielleicht einen Punkt haben könnte, wenn man wegen Abu Dhabi 2021 tief verletzt ist. Zumindest macht Helmut Marko auf mich nicht den Eindruck, als habe er wahnsinnig viel Verständnis für die Mercedes-Sicht auf jenen denkwürdigen Sonntag.

Aber das ist Schnee von gestern und ein Stück Formel-1-Geschichte. Wie die Zukunft aussieht, das steht in den Sternen. Und welche Rolle George Russell darin einnehmen wird, das werden wir sehen.

Ich glaube: Er hat das Zeug zum Weltmeister. Aber das hatten andere auch, die es trotzdem nie geworden sind.

Euer
Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.

PS: Wer nach dem Rennen in Las Vegas gut geschlafen hat? Das erfahrt ihr wie immer in der Schwesterkolumne von Stefan Ehlen.

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