Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Liberty Media
Warum Formel-1-Eigentümer Liberty Media nach dem Grand Prix in Las Vegas der ganz große Gewinner ist und weshalb man trotzdem Kritik üben darf
(Motorsport-Total.com) - Am Ende, liebe Leser, ist alles so, wie es sich Liberty Media ausgemalt hat: sehr viele Promis im Grid, reichlich Action auf der Rennstrecke, ein Sieger im Elvis-Overall und "Viva Las Vegas" im Boxenfunk. Glückwunsch, die Formel 1 ist offiziell in Las Vegas angekommen.
© Motorsport Images
Ein Formel-1-Auto vor der nächtlichen Kulisse der Spielerstadt Las Vegas 2023 Zoom Download
Damit hat Liberty Media als Eigentümer der Rennserie das erreicht, was es erreichen wollte mit seinem Prestige-Projekt: den zweiten VIP-Grand-Prix in Amerika nach Miami, aber mit deutlich mehr medialer Strahlkraft.
Denn machen wir uns nicht vor: Las Vegas ist einfach allen ein Begriff. Das hebt den Grand Prix rein vom Klang her sofort auf eine Stufe mit Monaco, spielt aber eigentlich auf einem ganz eigenen Niveau.
Liberty Media überholt Bernie Ecclestone
Der große Unterschied nämlich ist: In Monaco ist Liberty Media nur zu Gast mit der Formel 1, in Las Vegas ist Liberty Media auch Gastgeber, hat ein Grundstück mitten in der Stadt erworben und darauf das permanente Boxengebäude errichtet. Schon allein das ist ein Statement.
Und mit dem Stadtrennen in Las Vegas hat Liberty Media auch mehr erreicht als Bernie Ecclestone, der vor Jahrzehnten ebenfalls einen Grand Prix auf dem "Strip" austragen wollte, aber zwei Jahre lang nur einen Hotelparkplatz abgekriegt hat (ein paar Meter hinter der heutigen Kurve 13).
Das verdeutlicht ganz gut, in welche Dimensionen Liberty Media mit Las Vegas vorgedrungen ist: ein Stadtrennen an der Schlagader der Spielerstadt schlechthin. Zu übertreffen ist das in Amerika wohl höchstens noch mit einem Stadtrennen in New York, von dem Ecclestone übrigens ebenfalls immer geträumt hat, es aber trotz mehrerer Anläufe nie realisieren konnte.
Formel-1-Rennen nur für das amerikanische Publikum
Und "Amerika" ist das entscheidende Schlagwort bei all dem: Liberty Media will die Formel 1 in den USA zu einer ganz großen Nummer machen, scheut überhaupt keine Kosten und Mühen und karrt mehr Promis an die Strecken als irgendwo sonst.
Selbst Monaco als historischer Glamour-Grand-Prix wirkt blass gegen den VIP-Ansturm, der sich in Miami oder jetzt auch in Las Vegas über die Startaufstellung schiebt, verrückte Preise inklusive. Aber all das scheint zu funktionieren, wenn auch nicht ohne Nebengeräusche: In Miami ist es die Künstlichkeit, die man kritisieren kann, in Las Vegas das Tamtam um die gesamte Veranstaltung.
Kritik ist nicht erwünscht
Aber was mich persönlich am meisten stört, ist, wie diese neuen Formel-1-Rennen verklärt werden. Konkret: Wie jegliche Kritik daran fast als Blasphemie ausgelegt wird.
Da ist Mercedes-Teamchef Toto Wolff ja schon in der Pressekonferenz am Donnerstag aufgefallen, als er den losen Schachtdeckel im Freien Training, der den Ferrari von Carlos Sainz zerfetzt hat, als ein "Nichts" bezeichnet hat. (Was, wenn es einen seiner W14 zerlegt hätte?)
Und nach dem Grand Prix meinte Wolff schlicht: "Ich will kein Haar in der Suppe finden, weil es so großartig war. Ich kann nichts Negatives finden."
Die Formel 1 muss ihre Fans aussperren
Klar: Wer nicht hinschaut, sieht auch nichts. Da geht es Wolff wie den Vor-Ort-Zuschauern am Donnerstag, die kurz vor dem verschobenen zweiten Freien Training von den Tribünen vertrieben wurden. Der Unterschied ist nur: Diese Leute hätten gerne geschaut, durften aber nicht. Und das kann nicht im Sinne des Erfinders sein.
Recht gebe ich Wolff aber insofern, als dass diese Episode eine Randnotiz ist. Was bleibt, ist ein "spektakuläres Rennen, ein tolles Publikum, ein Mega-Event und gutes Racing an der Spitze", so formuliert es Wolff. "Das werde ich vom ersten Rennen in Las Vegas in Erinnerung behalten. Es hat alle Kriterien erfüllt."
Zumindest die Kriterien, die Liberty Media an ein neues Rennen stellt. Denn wer den Verantwortlichen am Wochenende genau zugehört hat, der weiß: Las Vegas ist mehr als nur ein weiterer Grand Prix, sondern soll auch als "Blaupause" dienen für künftige Rennen. Und das heißt: Der "Showfaktor" wird weiter ausgebaut.
Sport? Vielleicht als Nebenprodukt ...
Vielen Traditionalisten gefällt das nicht. Und Max Verstappen ist einer der wenigen, die sich ganz offen (und erfrischend ehrlich!) dazu äußern. Tenor: Der Grand Prix in Las Vegas sei "99 Prozent Show und 1 Prozent Sport".
Das entspricht praktisch der Eigenbeschreibung von Liberty Media, das sich auf "Medien, Kommunikation und Unterhaltung" beruft. Sport taucht da nicht auf.
Heißt: Liberty Media will Business machen und Geld verdienen, auch und gerade mit der Formel 1. Da ist der Grand Prix von Las Vegas nur der nächste logische Schritt und die vorläufige Krönung dessen, was Liberty Media seit der Übernahme von Ecclestone mit der Formel 1 gemacht hat. Deshalb wird Liberty Media nach der Premiere in Las Vegas selig schlummern, jede Wette.
Dass der Grand Prix vielen alteingesessenen Fans regelrechte Albträume beschert? Geschenkt! Denn die sind hier nicht (mehr) das Zielpublikum und werden es unter Liberty Media auch nicht mehr werden ...
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Und wer nach dem Rennen in Las Vegas gar nicht gut geschlafen hat? Das erfahrt ihr wie immer in der Schwesterkolumne von Chefredakteur Christian Nimmervoll.
Euer
Stefan Ehlen