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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Matteo Perini
Warum Redakteur Ruben Zimmermann von der Strafensituation in der Formel 1 aktuell genervt ist, die Rennkommissare aber eigentlich am wenigsten dafür können
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
© Motorsport Images
Die "Strafe" gegen Sergio Perez war der negative Höhepunkt einiger wirkungsloser Sanktionen Zoom Download
es ist nie angenehm, einen Fehler zugegeben. Das geht den meisten Menschen selbst bei Kleinigkeiten im Alltag so, wenn man zum Beispiel einen Geburtstag vergessen oder den Lieblingspullover des Partners in der Waschmaschine ruiniert hat.
Und nun stellt euch mal vor, ihr müsst einen Fehler im Haifischbecken Formel 1 vor zehn Teammanagern zugegeben, die vermutlich nur darauf warten, euch zu zerfleischen.
Genau so ging es am Freitag Matteo Perini. Der Italiener war in Singapur als einer von vier Rennkommissaren im Einsatz und musste im Rahmen des Rennens in Japan nun einräumen, dass er und seine Kollegen dort einmal danebengelegen haben.
Gleich vorweg, weil auch wir in der Redaktion darüber diskutiert haben: Diese Kolumne soll kein Verriss der Rennkommissare werden. Es geht überhaupt nicht darum, Perini oder einen seiner Kollegen für die Entscheidung in Singapur an den Pranger zu stellen - im Gegenteil.
Perini hat als Kommissar im Motorsport einen Vorzeigeweg hinter sich. 2015 begann er seine Laufbahn laut der FIA als "einer der jüngsten nationalen Stewards des Landes" bei Rennen in Italien. Unter anderem arbeitete er bei GT- oder Formel-4-Rennen.
2018 stieg er zum permanenten Rennkommissar in der nationalen Formel 4 auf, 2019 kam er in die Formula Regional European Championship (FRECA) und inzwischen hat er sich bis in die Formel 1 hochgearbeitet.
Dass nun bei der Entscheidung, Max Verstappen in Singapur nicht zu bestrafen, ein Fehler gemacht wurde: geschenkt. Fehler sind menschlich, weshalb Lewis Hamilton in Suzuka den kuriosen Vorschlag einbrachte, in Zukunft doch einmal auszutesten, ob eine Künstliche Intelligenz womöglich bessere Entscheidungen treffe.
Gut geschlafen haben kann Perini aber sicher nicht, nachdem er beim Treffen der Teammanager, wie Fernando Alonso es nennen würde, "den Löwen zum Fraß vorgeworfen" wurde.
Zu viele Strafen ohne Auswirkung zuletzt
Und damit zum eigentlichen Thema dieser Kolumne, das zugegebenermaßen kein neues ist: die Strafen in der Formel 1. Meistens geht es dabei um die Frage, wo die Grenze verläuft zwischen einem normalen Rennunfall und dem klaren Vergehen eines Fahrers.
Auch dazu sei gesagt, dass die Rennkommissare das aktuell meiner Meinung nach ganz gut im Griff haben. Mir stößt dagegen ein anderes Problem seit einigen Rennen auf, und zwar mehren sich die Strafen, die eigentlich gar keine sind, weil sie keinerlei Auswirkung haben.
Rückblick: In Monza bekam George Russell eine Fünf-Sekunden-Strafe, weil er Esteban Ocon abseits der Strecke überholte und sich so einen unfairen Vorteil verschaffte. Teamkollege Lewis Hamilton bekam nach einer Berührung mit Oscar Piastri die gleiche Strafe.
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Ein Rennen später, in Singapur, war es Sergio Perez, der Alexander Albon mit einer übermotivierten Aktion aus den Punkten schoss und ebenfalls eine Fünf-Sekunden-Strafe bekam. Was alle diese Vorfälle gemeinsam haben? Sie änderten am Rennergebnis rein gar nichts.
Hamilton und Russell behielten in Monza P6 und P5, Perez in Singapur P8. Gestern in Suzuka trieb Red Bull es dann auf die Spitze, als man Sergio Perez nach mehr als 40 Minuten(!) noch einmal auf die Strecke schickte, um die Strafe für den Abschuss von Kevin Magnussen abzusitzen.
So geht Perez straffrei ins nächste Wochenende in Katar. Die Bilanz der drei vergangenen Rennen damit: ruinierte Rennen für Piastri, Albon und Magnussen und keine einzige wirksame Strafe bei all diesen Zwischenfällen.
Warum den Stewards die Hände gebunden sind
Auch hier wäre es leicht, auf die Stewards einzuprügeln und einfach härtere Strafen zu fordern. Doch die Rennkommissare trifft hier die geringste Schuld, denn sie schreiben das Regelwerk nicht, sie setzen es lediglich um. Und genau da liegt das Problem.
Denn faktisch haben die Kommissare in allen genannten Fällen richtig gehandelt. Eine Fünf-Sekunden-Strafe steht für die besagten Zwischenfälle genau im Einklang mit vorherigen Strafen für ähnliche Vorfälle. Und genau so eine Konstanz wünschen sich alle Beteiligten.
Damit machen wir schnell noch einmal den Bogen zurück nach Singapur, wo es genau darum ging, dass das Verstappen-Urteil eben nicht der Beurteilung ähnlicher Fälle in der Vergangenheit entsprach - was die Rennkommissare nachträglich selbst einräumten.
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Folglich kann man nicht plötzlich anfangen, härtere Strafen gegen die Fahrer auszusprechen, selbst wenn das Regelwerk es zulassen sollte. Verursacht ein Fahrer einen Unfall in einem gewissen Rahmen, gibt es von den Stewards (korrekterweise) eine Fünf-Sekunden-Strafe.
Das Absurde ist allerdings, dass fünf Sekunden eben nicht gleich fünf Sekunden sind. Während fünf Sekunden in den Beispielen oben einen Verlust von exakt null Positionen ausmachten, warf Carlos Sainz in Melbourne eine Fünf-Sekunden-Strafe von P4 auf P12(!) zurück.
Braucht es ein komplett neues Strafensystem?
Das Problem ist, dass sich dieses Ungleichgewicht mit dem aktuellen Reglement auch nicht ändern wird, weil ähnliche Vorfälle eben auch ähnlich bestraft werden müssen. Man kann nicht einem Fahrer für einen Unfall fünf Sekunden aufdrücken, dem nächsten zehn und einem anderen eine Durchfahrtsstrafe.
Das macht übrigens das System der Gridstrafen deutlich fairer. Drei Plätze sind drei Plätze, das ist für jeden Fahrer gleich. Mit Ausnahme der Piloten natürlich, die sowieso am Ende des Feldes stehen, aber solche Sonderfälle, die die Teams auch bewusst ausnutzen, wird es immer geben.
Vielleicht sollte man in Zukunft darüber nachdenken, das Regelwerk zu überarbeiten und auch im Rennen Positionsstrafen auszusprechen. Auch das wäre natürlich nicht zu 100 Prozent fair, aber es würde in den meisten Fällen zumindest garantieren, dass Strafen auch wirklich Strafen sind.
Letztendlich ist es nicht meine Aufgabe, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Fakt ist allerdings, dass es für viele Piloten aktuell lukrativer ist, bewusst eine Strafe in Kauf zu nehmen, als zu lange hinter einem anderen Auto festzustecken.
Konsequenterweise führt das dann eher zu mehr als weniger Zwischenfällen. Und eigentlich sollten Strafen doch eine abschreckende Wirkung haben. Klar ist, dass es auch in Zukunft ein heikles Thema in der Formel 1 sein und einigen Kommissaren auch noch die ein oder andere schlechte Nacht bescheren wird.
Die Stewards selbst können in den meisten Fällen aber am wenigsten dafür.
Übrigens: Protagonist unserer Schwesterkolumne ist nach einer WM-Entscheidung traditionell der neue (und in diesem Fall auch alte) Weltmeister. Christian Nimmervolls Kolumne findet ihr hier!
Euer
Ruben Zimmermann