• 24. Juli 2023 · 06:52 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Otmar Szafnauer

Eine Geschichte gescheiterter Egos: Warum Alpine den 100-Rennen-Plan kläglich verfehlen wird, obwohl der Doppelausfall in Ungarn gänzlich unverschuldet war

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

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Otmar Szafnauer steht bei Alpine vor einer schier unlösbaren Aufgabe Zoom Download

es waren große Töne, die Otmar Szafnauer beim Launch des Alpine-Teams im Februar in London spuckte. Man wolle "viel näher" dran sein am dritten Platz in der Konstrukteurs-WM, und der vierte Platz wurde zum Mindestziel für die Formel-1-Saison 2023 erklärt.

Zur Erinnerung: 2022 hatte Alpine mit 173 Punkten den vierten Platz belegt, 14 Punkte vor McLaren. 2023 wollte man "signifikant" besser sein.

Doch die Realität sieht anders aus: Zur Halbzeit haben Pierre Gasly und Esteban Ocon gerade mal 47 Zähler auf dem Konto des Teams verbucht. Das bedeutet derzeit den sechsten Platz in der WM. Aston Martin ist das Team, das auf dem Niveau performt, das sich Alpine vorgenommen hatte - mit 184 Punkten auf Platz 3.

Auf den vierten Platz (derzeit Ferrari), den man als Mindestziel definiert hatte, fehlen Alpine jetzt schon 120 Punkte. Das noch zu erreichen, werde "schwierig, wenn nicht sogar unmöglich", räumt Teamchef Otmar Szafnauer nach dem Grand Prix von Ungarn ein.

Hungaroring: In der ersten Kurve war alles vorbei

Der Amerikaner mit rumänischen und deutschen Wurzeln kann letzte Nacht nicht gut geschlafen haben. Es gab am Hungaroring nur zwei Ausfälle, und die betrafen ausgerechnet seine beiden Autos. Für Gasly und Ocon war gleich nach ihrer Startkarambolage Schluss.

Während sich die beiden in Melbourne noch gegenseitig in die Kiste gefahren sind, war ihr Crash in Budapest schlicht und einfach Pech. Guanyu Zhou löste jene Kettenreaktion aus, die Daniel Ricciardos AlphaTauri in den Alpine von Ocon schob, der seinerseits wiederum Gasly abräumte. Ocons Sitzschale brach bei dem Aufschlag in zwei Hälften.

Szafnauer ist der, der den Scherbenhaufen aufräumen soll. Und das wird nicht einfach. Denn nüchtern betrachtet ist das bisher letzte Kapitel des Renault-Konzerns in der Formel 1 eine Geschichte des Scheiterns.

Ein Blick in die Geschichte

Vor der Saison 2016 kaufte man Gerard Lopez dessen Lotus-Team ab und feierte ein Comeback als Werksteam. Der damalige Teamchef Cyril Abiteboul gab einen Fünfjahresplan aus: 2020 wollte man so weit sein, wieder um die WM kämpfen zu können, so wie zuletzt 2005 und 2006 mit Fernando Alonso.

Der Plan scheiterte kläglich, und mit ihm scheiterte auch Abiteboul. 2021 verwarf Renault den alten Fünfjahresplan, der inzwischen schon zum Running Gag geworden war, und baute um. Anstelle von Abiteboul kam eine Doppelspitze mit FIA-Ingenieur Marcin Budkowski (noch halbwegs sinnvoll) und Suzuki-MotoGP-Teammanager Davide Brivio (verstand schon damals kein Mensch). Und das Team hieß jetzt nicht mehr Renault, sondern Alpine.

Ein Jahr später wurde die Doppelspitze wieder entsorgt. Laurent Rossi war inzwischen Marken-CEO von Alpine und rief im Herbst 2021 einen 100-Rennen-Plan aus, der spätestens 2025 zum Ziel führen sollte. Jedes Jahr schrittweise Verbesserungen, 2024 regelmäßig auf dem Podium, 2025 WM-Kandidat: Das war die neue Marschroute.

"Piastrigate": Peinliche Affäre mit Symbolkraft

Doch stattdessen wurde Alpine zur Lachnummer der Formel 1, als man im Sommer 2022 zuerst übersah, dass es Fernando Alonso ernst meinte, als er sagte, er würde nur einen Zwei- und keinen Einjahresvertrag unterschreiben, und sich dann mit der vermeintlichen Beförderung von Testfahrer Oscar Piastri, der da schon längst bei McLaren unter Vertrag stand, bis auf die Knochen blamierte.

Szafnauer gab in den Interviews danach keine gute Figur ab, auch wenn man ihm zugutehalten muss, dass er in der Öffentlichkeit für etwas geradestand, was hauptsächlich andere vor ihm verbrochen hatten.

Wollte Rossi seine eigene Haut retten?

Der 58-Jährige war gerade ein Jahr an Bord, da brannte es schon wieder lichterloh bei Alpine. In Miami explodierte Laurent Rossi vor laufenden TV-Kameras, bezeichnete das Team als "amateurhaft" und "schlecht" und setzte so Szafnauers operatives Management enorm unter Druck. Nicht wenige Branchenkenner prognostizierte damals, dass Szafnauer nicht mehr lang überleben würde.

Zwei Monate später ist Szafnauer immer noch da, aber Rossi weg, und man wird den Eindruck nicht los, als habe Rossi in Miami schon versucht, seine eigene Haut zu retten, weil er wahrscheinlich auch Druck von oben (Konzernchef Luca de Meo) hatte.


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Rossi war ein Mann der großen Töne, und er war einer, der die Öffentlichkeit genoss. Dass er sich als Marken-CEO so in den Vordergrund spielte, empfanden viele im Formel-1-Paddock als ungewöhnlich. Wann saß Benedetto Vigna schon mal in einer Pressekonferenz? Keiner kennt den Namen? Eben! Ferraris CEO mischt sich nämlich ins operative Management des Formel-1-Teams nicht ein. Wie das eigentlich auch üblich ist.

Renault/Alpine ist eine Geschichte der gescheiterten Egos: Abiteboul, Rossi. Irgendwann dazwischen hat Alain Prost das sinkende Schiff verlassen, weil ihm klar war, dass in dieser personellen Konstellation kein Blumentopf zu gewinnen ist. Auch wenn Ocons (glücklicher) Sieg in Ungarn 2021 für einen Moment davon ablenkte.

Jetzt darf sich Rossi offiziell nur noch um sogenannte "Sonderprojekte" kümmern und nicht mehr ums Management des Formel-1-Teams. In der Branche vermuten viele, dass das nur eine elegante Bezeichnung dafür ist, ihn aufs Abstellgleis zu parken.

Alter Staub muss erstmal weggekehrt werden

Es liegt also an Szafnauer, den Staub wegzukehren. Übrigens, wie man hört, nicht nur im übertragenen Sinne. In der Motorenfabrik in Viry-Châtillon soll in manchen Ecken schon länger kein Besen mehr gewesen sein.

Was auf den ersten Blick ulkig klingen mag, ist eine Kulturfrage nicht ohne Bedeutung. Als Franz Tost bei Minardi in Faenza einzog, ließ er die Fabrik erstmal gründlich putzen. In den Ecken befanden sich Spinnweben, sein neues Büro hatte der Vorgänger völlig verqualmt. Kein Umfeld, in dem High-Performance entstehen kann.

Der legendäre McLaren-Erfolgsteamchef Ron Dennis ließ einst die Kieselsteine in seiner Auffahrt waschen und seinen Privatjet durfte niemand mit Schuhen betreten. Jausenbrote auf dem Schreibtisch der Ingenieursbüros in Woking waren verboten. Das fand nicht jeder seiner Mitarbeiter toll. Aber es war erfolgreich.

Mein Gefühl ist - und jetzt wird's ziemlich subjektiv -, dass Alpine den 100-Rennen-Plan haushoch verfehlen wird. Ocon (bis 2024) und Gasly (2025) sind langfristig ans Team gebunden und haben nicht das Kaliber eines Alonso, das es in so einer Situation brauchen würde.

Auf der technischen Seite kündigt Szafnauer zwar an, dass in den nächsten Monaten weitere Hochkaräter zum Team stoßen sollen. Doch wie hochkarätig diese wirklich sind, das muss sich erst zeigen.

Ist das richtige Management eingesetzt?

Dazu kommt die Unsicherheit im Management, mit Konzernchef de Meo, der offenbar langsam die Geduld verliert, dem Rossi-Nachfolger Philippe Krief, der in der Formel 1 ein weitgehend unbeschriebenes Blatt ist, und Szafnauer selbst, der zwar bei einem kleinen Team wie Force India erfolgreich war, für den Lawrence Stroll unter größeren Strukturen aber keinen Platz mehr sah. Jener Lawrence Stroll, der bei Aston Martin vorzeigt, wie man große Ambitionen mit Leben füllt.

Szafnauer gibt unumwunden zu, dass Alpine derzeit den schlechtesten Motor der Formel 1 hat. Angeblich fehlen 30 PS. Normalerweise würde man das vertuschen. Weil es für die Marke peinlich ist, wenn andere die besseren Motoren bauen. Doch jetzt möchte Szafnauer auf der politischen Hinterbühne erwirken, dass Renault den Motor trotz "Freeze" (Entwicklungsstopp) verbessern darf. Dafür ist es natürlich hilfreich, Stimmung zu machen und einen möglichst großen PS-Nachteil herbeizureden.

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Anders als bei Ferrari, einem weiteren chaotisch organisierten Team der Formel 1, beginnt Alpine inzwischen zumindest damit, sich über die eigene Außendarstellung Gedanken zu machen. In Ungarn führte eine von Bruno Famin (Vizepräsident Alpine Motorsports) beauftragte Agentur dutzende Feedbackgespräche mit Journalisten, um mal festzustellen, wie die Kommunikation des Konzerns wahrgenommen wird und was man in Zukunft besser machen könnte.

Ein lobenswerter Ansatz. Auch wenn es nicht einer gewissen Ironie entbehrt, dass Famin den für die Gespräche vorgesehenen Tisch für sich selbst und seine Gäste beanspruchte und die eingeladenen Journalisten in den letzten Winkel der Hospitality gequetscht wurden. Was nicht weiter tragisch war, aber einer gewissen Symbolik nicht entbehrt.

Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass das mit dem Management bei Alpine bisher nicht geklappt hat: Weil die obersten Chefs, die die Entscheidungen treffen, wie de Meo und Famin, öffentlich nicht in Erscheinung treten; und Szafnauer, der oft nur ausführendes Organ ist, die Suppe auslöffeln lassen.

Keine dankbare Rolle, wie ich finde.

Euer
Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.

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