• 21. November 2022 · 01:04 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Mick Schumacher

Auf einem Auge blind: Formel-1-Deutschland hat beim Thema Mick Schumacher 2022 einige unangenehme Wahrheiten völlig ausgeblendet

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser/-innen,

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Mick Schumacher: War es am Ende doch auch ein bisschen die Performance? Zoom Download

irgendwie ist das, auf eine schräge Art und Weise, passend: Sebastian Vettel und Mick Schumacher haben in Abu Dhabi jeweils ihren (vorerst?) letzten Grand Prix bestritten. Und heute sind die beiden Seite an Seite Hauptakteure in den Montagskolumnen von Motorsport Network Deutschland. Vettel, weil er laut meinem Kollegen Stefan Ehlen am besten, Schumacher, weil er meiner Meinung nach am schlechtesten geschlafen hat.

Formel-1-Deutschland war beim Thema Schumacher in den vergangenen Monaten auf mindestens einem Auge blind. Auch jetzt, wo seine Trennung vom Haas-Team und der Abschied aus der Formel 1, zumindest als Rennfahrer, beschlossene Sache ist, hört das nicht auf.

Dass Haas seinen Vertrag nicht verlängert hat, das sei "in keinster Weise nachvollziehbar", meinte etwa Hans-Joachim Stuck (den ich übrigens sehr schätze), am Sonntagabend im 'SPORT1'-Studio beim 'AvD Motor & Sport Magazin'. Denn: "Mick hat geliefert."

Ein nüchterner Blick auf die nackten Zahlen

Nun sprechen Zahlen sicher nicht immer die ganze Wahrheit. Aber sie mal vor sich liegen zu haben, kann nicht schaden: Schumacher hat das Qualifyingduell gegen seinen Teamkollegen Kevin Magnussen 2022 mit 6:16 verloren, und er sammelte weniger als halb so viele Punkte wie der Däne (12:25).

Positiv: Mick setzte sich im Rennduell mit 13:8 durch. Denn Magnussen holte die dicken Punkte am Saisonbeginn, als der Haas erstaunlich konkurrenzfähig war. Als Schumacher langsam besser in Schuss kam, lagen Punkte meistens außer Reichweite. Viel zu langsam war es Haas gelungen, den VF-22 weiterzuentwickeln.

Ich hatte am Saisonbeginn in irgendeinem Podcast oder irgendeinem Livestream mal gesagt, dass Schumachers Zielsetzung sein muss, Magnussen regelmäßig zum Frühstück zu verspeisen, wenn er in der Formel 1 die Karriere haben will, von der die deutschen Fans träumen. Nämlich die, die ihn im besten Fall eines Tages ins Ferrari-Cockpit und zur WM-Krone führt.

Das ist ihm, da sprechen die Zahlen eine ziemlich eindeutige Sprache, nicht gelungen.

Ist wirklich das Haas-Team an allem schuld?

Doch egal, wo man hinhört: In Deutschland scheint immer nur das Haas-Team an Schumachers mäßigen Ergebnissen schuld zu sein. Zugegeben: Der US-Rennstall war 2022 alles andere als frei von Fehlern. Da waren technische Pannen in den für Schumacher ungünstigsten Momenten, da waren verpatzte Boxenstopps, da war die stockende Weiterentwicklung. Das alles steht außer Frage.

Und dann war da noch Günther Steiner. Die einen lieben ihn, die anderen hassen ihn. Dazwischen gibt es wenig. Steiner ist ein bisschen wie die Südtiroler Berge: Herrlich, wenn die Sonne scheint, aber ziemlich eisig, wenn Gegenwind weht.

Dass er dem Südtiroler Menschenschlag zugehörig ist, im Positiven wie auch im Negativen, das weiß man in der Formel 1 seit vielen Jahren. International ist "Netflix-Günther" genau deswegen zum Medienstar geworden. In Deutschland hingegen avancierte er 2022 gefühlt zum Hassobjekt der Nation.

War Steiner für Schumacher der falsche Teamchef?

Es ist sicher etwas Wahres dran, dass Steiner für Schumacher nicht der richtige Teamchef war. Der 23-Jährige hätte vielleicht jemanden gebraucht, der ihm jederzeit zuhört, dem er vertrauen kann, der die unangenehmen Dinge hinter verschlossener Tür bespricht - so, wie er das von Papa Michael gelernt hat - und nicht immer das Herz auf der Zunge trägt, wenn ihm jemand ein Mikro unter die Nase hält.

Ich halte dagegen: Ein Fahrer, der sich in der Formel 1 durchsetzen will, muss ein bisschen Gegenwind aushalten. Und Schumacher, das sollte auch einmal festgehalten werden, hat sich selbst nie über Steiners unterkühlte Menschenführung beschwert.

Was er hinter den Kulissen gesagt hat, wissen andere besser als ich. Öffentlich kam nie ein böses Wort über Steiner. Was seine Persönlichkeit übrigens sehr ehrt.

Doch zur Wahrheit gehört auch, dass es eben nicht nur ein verrückt gewordener Teamchef war, der Schumachers Karriere beendet hat. Ein klitzekleines bisschen mag vielleicht auch die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass Schumacher in den zwei Jahren, die er Zeit hatte, aufzufallen, wie das einst etwa ein George Russell im ebenfalls unterlegenen Williams geschafft hat, nur ganz selten aufgefallen ist.

Danner: Haas-Entscheidung "liegt völlig auf der Hand"

Insofern bin ich froh, dass es selbst in Deutschland einige wenige Experten gibt, die nicht nur auf die Haas-Führung eindreschen, sondern auch kritisch festhalten: "Die Entscheidung, dass sich Haas gegen Mick entschieden hat, ist sehr klar nachvollziehbar. Das liegt völlig auf der Hand." So sieht das zumindest der ehemalige Formel-1-Pilot Christian Danner.

"Mick", sagt er (und ich stimme ihm uneingeschränkt zu), "ist durchaus schnell. Ich bin mir nach wie vor sicher, dass er eine Karriere vor sich hat."

Aber: "Er ist nicht immer schnell gewesen. Siehe letztes Wochenende. Da war Magnussen auf Poleposition, Mick war Letzter. Das sind Dinge, die passieren können. Im zweiten Formel-1-Jahr sollte damit allerdings dann langsam Schluss sein, wenn man nach vorn will."

Und Danner hält auch fest, dass man sich bei Haas offensichtlich "gegenseitig ein bisschen auf den Keks" gegangen sei. Vielleicht, sagt er, habe der aus Deutschland kommende "leichte Konfrontationskurs", entstanden durch alle, "die da so mit rumdoktern", eine Atmosphäre erschaffen, "die nix Gescheites taugt".

Da ist wahrscheinlich ein bisschen Wahrheit dran.

Hätte Schumacher wirklich zweite Wahl sein wollen?

Und es waren nicht nur die deutschen Experten und die deutschen Medien, die beim Thema Schumacher auf einem Auge blind waren. Sondern die Berichterstattung hat offenbar auch auf die deutschen Fans abgefärbt.

Als Logan Sargeant am Sonntagmorgen im Formel-2-Rennen darum fuhr, sich die letzten notwendigen Punkte für die FIA-Superlizenz zu sichern, explodierten auf unseren Portalen plötzlich die Zugriffe auf das Formel-2-Ergebnis, das sonst kaum jemanden interessiert. Denn: Schumacher, so wurde es zumindest in den Medien verbreitet, wäre ja zweifellos Jost Capitos erste Wahl, sollte Sargeant doch nicht Formel 1 fahren dürfen.

Dabei hatte sich Williams schon vor Wochen auf den Amerikaner festgelegt, obwohl er noch gar keine fixierte Superlizenz auf der Habenseite hatte. Wäre das wirklich eine Voraussetzung gewesen, die für Schumacher gepasst hätte, so offensichtlich gegen einen jungen Amerikaner aus der Formel 2 nur zweite Wahl zu sein?

Es kursiert auch das Märchen, dass Sabine Kehm den schweren Managementfehler begangen habe, alles auf die Karte Haas gesetzt zu haben. Doch weil Haas Schumacher so lange hingehalten hat, soll dann im November natürlich nirgends mehr ein Cockpit frei gewesen sein.


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Davon habe ich, ehrlich gesagt, eine andere Wahrnehmung. Meine Augen und Ohren im Formel-1-Paddock erzählen, dass Frau Kehm so ziemlich an jede Tür geklopft hat, an die sie klopfen konnte. Aber offensichtlich war niemand daran interessiert, Schumacher als Rennfahrer unter Vertrag zu nehmen.

Warum Haas so lang zugewartet hat

Und dass es mit der endgültigen Entscheidung bei Haas so lang gedauert hat, war kein Fluch, sondern ein Segen. Spätestens im Mai, rund um Miami und Monaco, stand Schumacher nicht mehr wahnsinnig hoch im Kurs. Doch Haas hielt, obwohl man sich parallel längst auch mit anderen Fahrern unterhielt, die Tür so lang offen, wie es nur irgendwie ging.

Zwischendurch, rund um seine guten Vorstellungen in Spielberg und Silverstone, sah es so aus, als habe er eine Chance, bei Haas zu bleiben. Schumacher tat genau das, was von ihm erwartet wurde: Punkte sammeln, Magnussen schlagen. Nicht klar, aber immerhin. Das war die Mindestanforderung, die die ganze Saison hindurch abgeliefert hätte werden sollen.

Jetzt kann man natürlich sagen: Schumacher hatte keine echte Rookiesaison. Zugestanden. Haas war kein gutes Team für ihn. Zugestanden. Steiner war kein guter Teamchef für ihn. Zugestanden.

Aber im alles entscheidenden Punkt hat er nicht geliefert: Magnussen - einen Fahrer, der aus der Formel 1 vor 2022 bereits aussortiert war und nur als Notnagel reaktiviert wurde - hätte er konstant schlagen müssen. Und mit deutlichem Abstand.

Neue Heimat bei Mercedes?

Das ist Schumacher nicht gelungen, und so ist seine Karriere zumindest vorerst vorbei. Vielleicht ganz gut für ihn, wenn jetzt einmal Ruhe einkehrt. Toto Wolff und dessen Medienchef Bradley Lord haben die Kompetenz, die Wogen zu glätten, sollte die mediale Landschaft mal wieder aus den Fugen geraten. Es ist Schumacher zu wünschen, dass er dort unterkommt.

Doch eins ist klar: Sollte er bei Mercedes andocken, dann auch nicht, weil die Silberpfeile nur auf ihn gewartet haben, um Lewis Hamilton oder George Russell 2024 aus dem Cockpit zu jagen. Die Perspektive, in den nächsten Jahren im Mercedes-Renncockpit zu sitzen, die gibt es nicht.

Aber: Ein Mick Schumacher, der zwei Jahre Rennerfahrung in der Formel 1 hat, der alle Strecken kennt, der ein Jahr als dritter Fahrer in einem der besten Teams des Grand-Prix-Sports gelernt hat, wie man erfolgreich ist, und der sich Dinge von einem siebenmaligen Weltmeister abschauen kann - dieser Mick Schumacher hat sicher das Zeug, eines Tages wieder Rennen zu fahren.

Hinweis in eigener Sache

Übrigens: Wenn ihr jetzt noch ein bisschen Zeit habt, dann schaut euch doch unsere ausführliche Rennanalyse zum Grand Prix von Abu Dhabi auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de an. Schumachers Kollision mit Nicholas Latifi, für die er eine Fünfsekundenstrafe erhalten hat, war dort auch eines der zentralen Themen.

Und schreibt eure Meinung ins Diskussionsforum auf Motorsport-Total.com. Eine lebendige Diskussion unter echten Formel-1-Fans ist etwas, was uns jetzt durch den rennfreien Winter bringen kann. Aber denkt dran: Egal, ob ihr Schumacher-Fans seid oder nicht - die Welt ist nicht schwarz und weiß, sondern grau. Und wir sollten einander gerade in solchen Communitys mit Respekt begegnen!

Euer
Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen.

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