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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Lance Stroll
Die Karriere eines Formel-1-Fahrers kann man leichter kaufen als die eines Fußballprofis, schreibt Chefredakteur Christian Nimmervoll in seiner Kolumne
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser/-innen,
© Motorsport Images
Für Lance Stroll war das Rennen in Austin nach der Kollision beendet Zoom Download
irgendwie - und das mag jetzt hart klingen - tut mir Lance Stroll leid. Wenn er mal wieder gelangweilt in einer Pressekonferenz sitzt oder meine Kollegen vom Fernsehen mit inhaltsleeren Antworten abspeist, die einem jedes Interesse dran vergehen lassen, ihn zu interviewen, wirkt er auf mich oft so, als wäre er eines dieser armen Eiskunstlaufmädchen, die von ihrer Mama mehr oder weniger dazu gezwungen werden, jenen großen Traum zu verfolgen, den sie sich selbst nie verwirklicht haben.
Zugegeben, das ist eine rein subjektive - und ziemlich polemische - Beobachtung.
Weniger subjektiv erscheint mir, dass er am Sonntag in Austin ziemliches Glück hatte, was seine Strafe wegen der Kollision mit Fernando Alonso betrifft. Drei Startplätze nach hinten nächste Woche in Mexiko, dazu zwei Strafpunkte, die nicht weiter wehtun, weil er aufs Jahr gesehen erst drei gesammelt hatte: Da hätten die Rennkommissare Garry Connelly, Silvia Bellot, Dennis Dean und Enrique Bernoldi für mein Dafürhalten auch härter durchgreifen können.
Warum Stroll einen dicken Hals hatte
Es war die 22. Runde im Grand Prix der USA, und Stroll fuhr nach einer bis dahin tadellosen Leistung (soll nicht unerwähnt bleiben!) auf Platz 7. Aus der ersten Runde war er sogar als Dritter zurückgekommen, doch gegen die Herren Perez, Leclerc und Russell war kein Kraut gewachsen, und so ließ er diese - das hatte Teamchef Mike Krack vor dem Rennen so vorgegeben - ohne unnötige Gegenwehr, die ihn nur selbst Zeit gekostet hätte, passieren.
Ein bisschen Pech hatte Stroll dann, dass Teamkollege Sebastian Vettel an ihm vorbeischlüpfte. Denn weil er selbst früher an die Box kam als Vettel, hatte nur der Deutsche das Glück, dank der ersten Safety-Car-Phase den Boxenstopp zum Sonderpreis zu bekommen.
Das schien Stroll, in der Situation offenbar nicht mit dem letzten Quäntchen Abgebrühtheit eines großen Champions ausgestattet, ziemlich zu stinken, und so riskierte er beim Restart gleich den Hügel hinauf zu Kurve 1 eine gewagte Attacke ausgerechnet gegen den eigenen Teamkollegen, die viel zu ambitioniert war, um risikofrei zum erfolgreichen Überholmanöver führen zu können.
Stattdessen war Stroll kurzzeitig etwas aus dem Tritt, sodass durch die schnellen S-Kurven im ersten Sektor Alonso von hinten immer näher kam.
Was dann passierte, hat jeder im TV gesehen.
Boxenfunk just im Moment des Unfalls
Was man im TV nicht sehen konnte: Just in dem Augenblick, als Alonso aus Strolls Windschatten ausscherte und Stroll instinktiv eine Zuckung nach links machte, meldete sich sein Renningenieur Ben Michell am Boxenfunk: "Car behind: Alonso. 0,3. New Medium."
Das hätte er sich, im Nachhinein betrachtet, auch sparen können.
Strafenchaos in Austin: Die Analyse des Rennens
Ein Rennen, drei kontroverse Themen: Kritik nach der Vettel-Show. Proteste gegen Red Bull und Alpine. Und ein richtig mies gelaunter Carlos Sainz. Weitere Formel-1-Videos
Die Rennkommissare begründen ihr mildes Urteil so: "Uns war klar, dass Fahrer #18 [Stroll] spät auf den Überholversuch von Fahrer #14 [Alonso] reagiert hat, indem er sich nach links bewegte. Die Kommissare entscheiden daher, dass Fahrer #18 die überwiegende Schuld trägt."
Wäre ich Teil des Gremiums gewesen (zum Glück nicht, werden sich jetzt viele zurecht denken!), ich wäre mit der Strafe nicht so gnädig gewesen.
Warum die Strafe viel zu mild ist
Meine Perspektive auf den Unfall geht so: Stroll, mit dickem Hals nicht hundertprozentig konzentriert, merkt zu spät, dass von hinten Alonso kommt, schaut erst gar nicht und dann zu spät in den Rückspiegel, versucht verzweifelt zu retten, was zu retten ist, und zieht deswegen zu einem Zeitpunkt auf die Kampflinie, als er das längst nicht mehr tun sollte.
Die Situation war, nebenbei bemerkt, brandgefährlich. Alonso hatte Riesenglück, dass seine Flugeinlage nicht schon ein paar Meter früher passierte, denn so schlitterte er links neben der langen Geraden erstmal harmlos die Leitplanken entlang.
Nur: Eben diese Leitplanken sind an ein paar Stellen durch Notausfahrten unterbrochen, und an denen stehen die Einbuchtungen in einem ungünstigen Winkel für jeden, der mit hoher Geschwindigkeit plötzlich nach links abbiegt.
Alonso schlug zu seinem Glück erst ein paar Meter nach der Einbuchtung ein.
Bei mir wurden da unweigerlich Erinnerungen an Romain Grosjeans fürchterlichen Feuerunfall in Bahrain wach. Die Formel 1 hat in Austin ziemlich Glück gehabt, und kaum jemand hat's gemerkt.
Karriere vom reichen Vater finanziert
Stroll - und damit kommen wir zurück zum Kern dieser Kolumne - kann gut Autofahren. Sehr gut sogar. Er beweist das immer wieder. Man wird nicht durch Zufall Formel-3-Champion, selbst wenn Papas Millionen dafür gesorgt haben, dass seine Autos immer die besten im Feld waren. Und drei Podestplätze und eine Poleposition in der Formel 1, meist in unterlegenen Autos, kommen auch nicht von ungefähr.
Die Karriere des heute 24-Jährigen, das wissen wahrscheinlich nicht viele, wurde von klein auf penibel geplant. Papa Stroll, Lawrence, ein Modemilliardär mit Motorsport als wichtigstem Hobby, sorgte dafür, dass sein Sprössling bereits im Alter von elf Jahren in die elitäre Ferrari-Akademie aufgenommen wurde. Noch nie zuvor (und nie wieder danach) war ein Ferrari-Junior so jung.
Stroll sen. und die Entscheider bei Ferrari kannten sich. Erstens, weil der kanadische Geschäftsmann mit Tommy Hilfiger jahrelang zahlungskräftiger Sponsor der Scuderia war, und zweitens, weil der vermögende Autonarr natürlich zu den besten Kundschaften des italienischen Sportwagenherstellers gehörte.
Schon mit elf Jahren im Ferrari-Kader
Die erste Meldung, die die Suche nach Lance Stroll in unserem Newsarchiv ausspuckt, trägt den Titel: "Ferrari fördert 11-jährigen Kanadier". Das war damals, im Sommer 2010, eine ziemliche Sensation. Vor allem angesichts der Tatsache, dass Stroll jun. bis dahin noch keine wirklich aufregenden Erfolge im Kart eingefahren hatte.
Die Moral der Geschichte ist: Anders als etwa Fußball oder Tennis ist Motorsport ein elitäres Vergnügen, das sich nur wenige leisten können. Allein die Kader der 18 deutschen Fußball-Bundesligisten umfassen Pi mal Daumen 450 Spieler. Weltweit gesehen gibt es zehntausende Profis, die auf höchstem Niveau kicken.
Demgegenüber steht der Motorsport als teures Elitevergnügen, mit vielleicht 300 internationalen Vollprofis, die den Sport wirklich ernsthaft im Haupterwerb betreiben. Da ist es zwar durchaus kein Selbstläufer, einen jungen Burschen mit nahezu unbegrenzten Mitteln an die absolute Weltspitze zu führen; aber es fällt dann doch viel leichter als in Sportdisziplinen, die für die Athleten keine Million kosten.
Stroll und Vettel: Worin sie sich unterscheiden
Was der Unterschied zwischen einem Stroll und einem viermaligen Weltmeister wie Sebastian Vettel ist, das konnte man in Austin gut sehen. Stroll war phasenweise der schnellere Fahrer, aber in den entscheidenden Momenten hatte er die schlechteren Instinkte - etwas, was man nur schwer antrainieren kann, weil es etwas mit Naturtalent zu tun hat. Das hat man, oder man hat es eben nicht.
Wie ich das meine? Während Stroll in der Alonso-Situation binnen weniger Millisekunden justament die falsche Entscheidung traf, wurde Vettel von seinem Renninstinkt heil durch die erste Kurve getragen, als sich um ihn herum Chaos ausbreitete, und in der letzten Runde fightete er Kevin Magnussen im Haas mit härtesten Bandagen nieder, als ihm das kaum noch jemand zutraute.
Das soll nicht heißen, dass Lance Stroll kein würdiger Formel-1-Fahrer ist. Das ist er, absolut. Aber das ist der Grund, warum er niemals Weltmeister werden kann. Und warum es von vielen im Paddock belächelt wird, dass Stroll sen. angeblich seinen (ehemaligen) Busenfreund Toto Wolff allen Ernstes dazu überreden wollte, Stroll jun. als nächsten Lewis Hamilton zu Mercedes zu holen.
Das Beste oder Nichts. Sorry, Lance.
Schwesterkolumne bei Motorsport.com Deutschland
Übrigens, am Ende noch zwei Hinweise in eigener Sache: Erstens finde ich es völlig okay, dass mein Kollege Stefan Ehlen die Schwesterkolumne "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat" diesmal dem verstorbenen Dietrich Mateschitz gewidmet hat. Ich bin mir sicher, Mateschitz würde über die tragische Komik der Headline herzhaft lachen.
Und zweitens wünsche ich mir, dass möglichst viele von euch den Inhalt dieser Kolumne im Diskussionsforum auf Motorsport-Total.com diskutieren. Ihr könnt mir dort zustimmen, ihr könnt meine Ansicht kritisieren, ihr könnt euch mit Gleichgesinnten austauschen. Denn Foren wie dieses sind es, die das Herz der Motorsport-Fangemeinde darstellen.
Euer
Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "Breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen.