• 13. Juni 2022 · 06:57 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Mattia Binotto

Ein Grand Prix, bei dem vier Autos mit Ferrari-Power ausgeschieden sind, lässt in Maranello Nervosität im Hinblick auf Charles Leclercs WM-Chancen aufkommen

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser/-innen,

Foto zur News: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Mattia Binotto

Nachdenklich: Mattia Binotto und Ferrari hatten keinen Grund, gut zu schlafen Zoom Download

als wir gestern Abend im Formel-1-Livestream auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de das Rennen in Baku analysiert haben, da dachte ich, dass diesmal eigentlich Günther Steiner ein heißer Kandidat drauf sein könnte, letzte Nacht schlecht geschlafen zu haben, zumindest im übertragenen Sinn dieser Kolumne.

Denn ich erzähle am Montagmorgen nach der Formel 1 ganz gern Geschichten, und am Sonntag fand bei den Kollegen von Sky in der Vorberichterstattung vor dem Rennen ein Interview mit dem Haas-Teamchef statt, das definitiv sehenswert war.

Angefangen hat alles bei RTL. Mercedes-Teamchef Toto Wolff hat dort nach Monaco vom Stapel gelassen, dass er Mick Schumacher nicht kritisieren, sondern dazu ermutigen würde, frei von der Seele zu fahren, auch wenn's nochmal krachen sollte. Wasser auf die Mühlen derer, die Steiners Menschenführung zu hart und konservativ finden.

Sehenswertes Interview in der Vorberichterstattung bei Sky

Sky provozierte den Südtiroler mit einem durchaus meinungslastigen Beitrag (was völlig in Ordnung ist!) und anschließend auch noch mit einem nicht minder meinungslastigen Interview, geführt von meinem Kollegen Peter Hardenacke.

Das war großes Kino, wie man es im deutschen Formel-1-TV sonst selten zu sehen bekommt. Hardenacke verfiel nicht dem in Medienkreisen weit verbreiteten Instinkt, immer selbst möglichst neutral und gefällig sein zu wollen, sondern kitzelte bei Steiner mit genau den richtigen Fragen genau die richtigen Triggerpunkte.

Wir Journalisten, finde ich, arbeiten nicht für den Beifall von irgendwelchen versnobten Medienkritikern, sondern für unsere Leser beziehungsweise Zuseher. Wenn das bedeutet, dass man einmal auch Meinung in Fragestellung einfließen lassen muss, um dem Interviewpartner leidenschaftliche und ehrliche Antworten zu entlocken, dann soll das so sein!

Manchmal führt das übrigens zu Missverständnissen, wenn man den Interviewpartner mit Standpunkten kitzelt, die man vielleicht selbst als Journalist gar nicht vertritt. Der nächste Shitstorm ist dann nicht weit weg. Muss man dann aushalten. Peter Hardenacke hat das jedenfalls großartig gemacht, finde ich. Gern mehr davon! (ANZEIGE: Alle Rennen ohne Werbeunterbrechung live - exklusiv auf Sky.)

So, und wer hat nun wirklich am schlechtesten geschlafen?

Günther Steiner wegen dieses Interviews schlecht schlafen zu lassen, schien mir dann aber doch zu konstruiert. Ich persönlich empfinde große Sympathie für seine leicht genervten Antworten. Ja, natürlich spielen wir Medien mit unserer Polarisierung eine Rolle dabei, dass der Druck auf Mick Schumacher wächst. Und klar ist auch, dass er sein Team führen kann, wie er es führen möchte. Basta.

Zumal es einen anderen Kandidaten gibt, der, geht es nach dem Grad seiner Probleme, letzte Nacht keine Auge zugetan haben kann: Mattia Binotto. Der hat viel schlechter geschlafen als Helmut Marko, heute in der Hauptrolle der Schwesterkolumne "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat" auf Motorsport.com Deutschland. Und bei Binotto reden wir nicht nur von Interviews.

Zwei von vier Ausfällen wegen der Powerunit

Vier Ausfälle gab's beim Grand Prix von Aserbaidschan 2022, und in allen vier betroffenen Autos steckte ein Ferrari-Antrieb.

Wir schlüsseln auf: Bei Carlos Sainz war es die Hydraulik, die letztendlich das elektronische Bremssystem "Brake by Wire" außer Gefecht setzte. Bei Guanyu Zhou ist noch nicht geklärt, was zum Defekt führte und den Chinesen ein tolles Ergebnis kostete. Laut Binotto lag der Defekt aber auf Seite von Alfa Romeo und nicht auf Seite von Ferrari.

Bleiben also Charles Leclerc und Kevin Magnussen. Bei Magnussen war die Sachlage zunächst nicht ganz klar. Ihm wurde gesagt, er möge das Auto bitte abstellen. Heute wissen wir: Es war die Powerunit. Und bei Leclerc sprach der Qualm, der aus den Kühleröffnungen strömte, eine eindeutige Sprache.

Untersuchung der Motoren am Montag in Maranello

Als Binotto am Sonntagabend vor einer Webcam saß, um uns Journalisten via Zoom zu erklären, was da gerade passiert war, wirkte er erstaunlich gefasst. Klare Antworten in Bezug auf die Defekte konnte er noch nicht präsentieren. Die Motoren werden heute in Maranello auseinandergenommen. Erst danach gibt's Ergebnisse.

Doch klar ist: So stark die Ferrari-Power in der Formel 1 2022 auch sein mag, so häufen sich nach und nach doch die Probleme mit der Zuverlässigkeit. Das ist einerseits ein Problem wegen der bereits verlorenen Punkte. Andererseits aber auch wegen der immer konkreter drohenden Gridstrafen.

Leclerc war in Baku bereits auf dem dritten Turbolader. Mit dem nächsten Wechsel geht's in der Startaufstellung um zehn Positionen nach hinten. Bei Max Verstappen hingegen leuchtet in unserer Motorenstrafenübersicht noch keine Zelle orange auf. Vorteil Red Bull.

Alte Leier: Es geht immer ums Gesamtpaket

Binotto hat am Sonntag aber selbst etwas angesprochen, was Ferrari den WM-Titel 2022 kosten könnte. Ja, man hat ein schnelles Auto, besonders im Qualifying - das steht außer Frage.

Aber: Die 360-Grad-Performance, also die Gesamtheit der Leistung des Teams, die ist bisher fehleranfällig, sagt der Italiener selbst.


Rennanalyse Baku: So wird Ferrari nicht Weltmeister!

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Wie kam es dazu, dass in Baku ein Ferrari-Motor nach dem anderen den Geist aufgegeben hat? Und war das eine Vorentscheidung in der WM? Weitere Formel-1-Videos

Baku war dafür ein gutes Beispiel. Es begann schon am Start, wo Leclerc 0,011 Sekunden länger für den Sprint von null auf 100 km/h brauchte als Sergio Perez und deswegen die Poleposition nicht nutzen konnte. Dann die teilweise zu langen Standzeiten bei den Boxenstopps. Und letztendlich die technischen Probleme mit der Zuverlässigkeit, die Ferrari, ganz nebenbei, immer mehr zu einem Einmannteam machen, wenn es um wirklich realistische WM-Chancen geht.

Red Bull: Angekommen in der Saison 2022

Ja, Red Bull hat dieses Jahr auch schon Fehler gemacht. Aber Verstappen und sein Team wirken nach einem nervösen Beginn jetzt angekommen in dieser Saison, souverän. Ich bin davon überzeugt, dass Red Bull nicht mehr viel liegen lassen wird. Und dann braucht's eine absolut fehlerlose Scuderia Ferrari auf allerhöchstem Performanceniveau, um Weltmeister zu werden.

Das sehe ich, fürchte ich, nicht. Nicht dieses Jahr.

Übrigens: Im Diskussionsforum auf Motorsport-Total.com werde ich heute Abend bis dahin aufgeschriebene Userbeiträge zu dieser Kolumne kommentieren und vor allem etwaige Fragen von Forumsmitgliedern beantworten.

Euer
Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "Breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen.

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