Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Toto Wolff
Mercedes-Teamchef Toto Wolff wirkt erstaunlich gelassen, dabei schwinden die Chancen, Formel-1-Weltmeister 2021 zu werden, derzeit von Rennen zu Rennen
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Toto Wolff und Lewis Hamilton verlieren in der WM immer mehr an Boden Zoom Download
Toto Wolff ist ein ziemlich guter Verlierer. Nicht, dass er wahnsinnig oft verloren hätte, seit er das Mercedes-Team von Ross Brawn übernommen hat. Aber die Formel-1-Weltmeisterschaften 2021, die scheinen ihm langsam durch die Finger zu gleiten. Beide.
Trotzdem wirkte er während seiner Medienrunde nach dem Grand Prix von Mexiko, wie immer seit Pandemiebeginn online über Zoom abgehalten, den Umständen entsprechend ziemlich gefasst.
19 Punkte Rückstand sind es jetzt schon, die Lewis Hamilton auf Max Verstappen aufholen muss. Das ist weniger als ein Grand-Prix-Sieg (für den gibt's selbst ohne Bonuspunkte 25 Zähler), aber bei vier noch ausstehenden Rennen in einer so hart umkämpften WM schon eine Menge Holz.
Lassen Sie mich kurz in die Rechenkiste greifen und das untermauern.
In den nächsten fünf Wochen sind noch vier Rennen zu bestreiten (Brasilien, Katar, Saudi-Arabien und Abu Dhabi). Es hat 2021 aber erst ein einziges Mal vier Rennen hintereinander gegeben, in denen Hamilton mehr als 19 Punkte aufgeholt hat. In Silverstone, Budapest, Spa und Zandvoort hat er Verstappen zusammengerechnet 32 Punkte abgenommen.
Und wenn wir jene rund 50 Punkte aufrechnen, die Verstappen durch unglückliche Umstände in Baku, Silverstone und Budapest verloren hat, dann wäre die Formel-1-WM 2021 schon so gut wie entschieden.
Die WM könnte schon längst entschieden sein ...
Denn 70 Punkte Rückstand aufzuholen, bei im besten Fall 107 noch zu vergebenden (viermal 25 für vier Siege, viermal einen Bonuspunkt für die schnellste Runde, einmal drei für den Sprint in Brasilien), das wäre quasi ein Ding der Unmöglichkeit.
Denn, und das ist das eigentliche Killerargument: Verstappen sitzt im Moment ganz offensichtlich im besseren Auto. Der Hype um die angebliche Wunderaufhängung mit dem absenkbaren Mercedes-Fahrwerk ist seit Istanbul verflogen, während Verstappen auf der anderen Seite seit vier Rennen ganz beständig immer Erster oder Zweiter wurde.
Dazu kommt: Die Zuverlässigkeit, die diese WM natürlich in beide Richtungen entscheiden kann (das weiß Hamilton selbst spätestens seit seinem Motorschaden in Malaysia 2016), spricht aufgrund von Mercedes' Motorensorgen eher für Red-Bull-Honda. Auch wenn es aktuell keinen Grund zur Annahme gibt, dass Hamilton noch einmal wechseln muss.
Und im Duell der "Wingmen" kristallisiert sich Sergio Perez (dessen Papa Antonio diesmal besonders gut geschlafen hat) zunehmend als größere Hilfe heraus als Valtteri Bottas. Bottas hat zwar in Mexiko eine Poleposition erobert, die ihm kaum noch jemand zugetraut hätte, und das auf absolut makellose Art und Weise. Aber als es im Rennen drauf ankam, Hamilton dann zu unterstützen, wenn es wirklich zählt, hat der Finne versagt.
Nicht zum ersten Mal: Bereits in Le Castellet leistete Bottas null Gegenwehr, als er sich als "Blockas" gegen Verstappen in die Herzen des Mercedes-Teams fahren hätte können, und in Zandvoort wurde er gleich nochmal auf die gleiche Art und Weise vorgeführt.
Was Bottas kann und was er nicht kann
Bottas, davon bin ich überzeugt, steht den ganz Großen in der Formel 1 in Sachen Speed um nichts (oder nur ganz wenig) nach. Das beweisen Polerunden wie jene am Samstag, gegen die dann auch Kaliber wie Hamilton oder Verstappen chancenlos sind.
Aber wenn's drum geht, im Zweikampf Zähne zu zeigen, zu fighten, zu kratzen und zu beißen, da fehlt ihm das gewisse Etwas, das Hamilton und Verstappen haben.
Wolff muss einen Kreislaufkollaps erlitten haben, als seine Nummer 2 am Start in Mexiko nicht Hamilton, sondern Verstappen im Windschatten in Führung zog. Zahnlos, wie Bottas dann in der ersten Kurve zurücksteckte - und so erst jene Lücke für Daniel Ricciardo aufmachte, die letztendlich nicht groß genug war und zum Crash führte.
Viel zu zahm dann, wie Bottas rundenlang hinter Ricciardo feststeckte, ohne wirklich zu attackieren. Klar, das Thema "dirty Air" ist auch auf einer Strecke wie Mexiko eins. Aber der Mercedes gehörte zu den schnellsten Autos auf den Geraden, und dass da nicht einmal eine Attacke drin sein soll, das will ich aus meiner Laienperspektive wirklich nicht wahrhaben.
Mir fällt da ein Gespräch mit Helmut Marko ein. Es gab mal ein Rennen (mir ist leider entfallen welches), da lief Alexander Albon, damals noch Red-Bull-Pilot, auf einen Toro Rosso auf. Später stellte ich Marko in seinem Büro am Grazer Schlossberg die Frage, ob man, wäre es nicht Albon, sondern Verstappen gewesen, nicht im Sinne des Renngeschehens mittels teamübergreifender Stallorder eingegriffen hätte.
Der "Doktor" schaute mich völlig entgeistert an, als würde er die Frage gar nicht verstehen, und antwortete dann: "Aber Herr Nimmervoll, Max wäre niemals in dieser Position gewesen. Er hätte das selbst auf der Strecke erledigt, noch bevor wir überhaupt einen Funkspruch absetzen können."
Das ist eben genau der Unterschied zwischen den Verstappens oder Hamiltons und den Bottas' dieser Welt.
Mercedes: Was macht jetzt noch Hoffnung?
Wenn ich mich jetzt also in die Lage von Toto Wolff reinzuversetzen versuche, dann fallen mir nicht viele Faktoren ein, die mir für die letzten vier Rennen Hoffnung machen.
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Einer ist vielleicht, dass Hamilton immer dann am stärksten zu sein scheint, wenn die Ersten anfangen, ihn abzuschreiben. Wie nach 2007, als er die WM knapp gegen Kimi Räikkönen verloren hat und dann 2008 Champion wurde. Wie nach den mageren McLaren-Jahren, als er das Risiko Mercedes einging und 2014 und 2015 zweimal Weltmeister wurde.
Wie nach 2016, als sein Weltbild zusammenstürzte, als er von Nico Rosberg geschlagen wurde, und dann ab 2017 anfing, zum beeindruckendsten Erfolgsrun anzusetzen, den die Formel 1 je erlebt hat.
Hamilton abzuschreiben, das hat Norbert Haug erst vor ein paar Wochen gesagt, ist immer ein Fehler. Einer, den ich ganz sicher nicht mache.
Ich glaube, dass Toto Wolff der achte Titel für Hamilton enorm viel bedeuten würde. Und wundere mich darüber, dass man bei Mercedes trotzdem so gelassen ist. Entweder gehen die Herrschaften mit Druck wahnsinnig gut um. Oder sie ahnen schon: Wenn's 2021 nix wird, dann sieht's zumindest für 2022 sehr, sehr gut aus.
Wäre ja nicht das erste Mal so, wenn ein neues Reglement vor der Tür steht.
Ihr
Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "Breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen.