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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Daniel Ricciardo
Warum sich Daniel Ricciardo für seinen Renault-Abschied das schlechtestmögliche Timing ausgesucht hat und welche Situation bei McLaren auf ihn wartet
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser/-innen,
© Motorsport Images
Daniel Ricciardo jubelt über P3 in Imola: Ist der Wechsel zu McLaren ein Fehler? Zoom Download
es braucht schon ein bisschen Chuzpe, um nach diesem Rennen ausgerechnet Daniel Ricciardo schlecht schlafen zu lassen (rein sprichwörtlich natürlich, im Sinne dieser Kolumne). Aber gerade seine starke Leistung in Imola mit dem Podium beim Grand Prix der Emilia-Romagna (Aktualisierte Fragen & Antworten zum Rennen hier nachlesen!) macht ihn für mich zum Kandidaten dafür. Weil sie zeigt, was hätte sein können und nicht ist.
Als Renault am 14. Mai die Pressemitteilung mit dem Titel "Renault DP World F1 Team and Daniel Ricciardo will not continue collaboration beyond 2020" verschickt hat, da deutete noch alles darauf hin, dass 2020 ein ganz schwieriges Jahr für den Sonnyboy aus Perth werden könnte.
Sowohl sportlich als auch menschlich.
Menschlich deswegen, weil Teamchef Cyril Abiteboul einigermaßen sauer war. Ricciardo hatte ihn erst informiert, als der Wechsel zu McLaren längst in trockenen Tüchern war. Soweit mir als Autor dieser Zeilen der zeitliche Ablauf damals bekannt ist (getriggert wurde alles durch den Vettel-Abschied von Ferrari, den wir exklusiv enthüllt hatten), wusste sogar ich einen Tag vor Abiteboul, was Sache ist.
Fast vergessen: Im Mai roch es noch nach Zoff!
Abiteboul verfasste daraufhin einen eingeschnappten Pressetext, sprach etwas davon, dass gegenseitiges Vertrauen und Geschlossenheit in einer Zeit wie dieser (die Coronakrise befand sich gerade auf ihrem ersten Höhepunkt) entscheidende Werte seien.
Ein eindeutiger Seitenhieb gegen Ricciardo, und atmosphärisch nicht das beste Vorzeichen für die Saison 2020, die da noch gar nicht begonnen hatte.
Aber irgendwie haben die beiden es geschafft, sich zusammenzuraufen und über Tattoos zu wetten, und nach den ersten sechs Rennen, in denen Ricciardo durchschnittlich 3,3 Punkte pro Grand Prix holte, steigerte er seinen Schnitt in den nächsten sieben auf 10,7.
Oder, anders ausgedrückt und zur besseren Einordnung: Ricciardo holte in den vergangenen sieben Rennen 75 Punkte; selbst Max Verstappen im Red Bull nur 67.
Seit Ricciardo die Entscheidung getroffen hat, Renault zu verlassen, ist aber noch viel mehr passiert. Renault wird 2021 nicht mehr Renault heißen, sondern Alpine. Die eigentlich angestaubte Marke soll innerhalb des französischen Konzerns wiederbelebt und perspektivisch eines Tages das für Renault werden, was AMG für Mercedes ist.
Das ist insofern eine signifikante Nachricht, weil damit feststeht, dass der Konzern weiterhin Formel 1 betreiben wird. Langfristig.
Als zuletzt die Nachwehen des Skandals um Ex-CEO Carlos Ghosn, die Veränderung der Automobilbranche und die Coronakrise zusammenkamen und Interims-CEO Clotilde Delbos ein milliardenschweres Sparprogramm auflegte, sah es zwischenzeitlich nicht so aus, als sei Renault "the Place to be" in der Formel 1.
Aber das hat sich schlagartig geändert.
Neuer Chef bringt frischen Wind bei Renault/Alpine
Mit dem neuen Konzernchef Luca de Meo, der am 1. Juli das Ruder übernommen hat, steht jetzt ein glühender Formel-1-Fan an der Spitze des Konzerns, und statt das Formel-1-Programm abzudrehen hat man sich dazu bekannt, angesichts Budgetobergrenze und wirtschaftlich sinnvoller Perspektive noch einmal einen sehr ernsthaften Anlauf auf die Weltmeisterschaft zu nehmen.
Am liebsten hätte Abiteboul das mit Ricciardo gemacht, denn der wurde eigentlich genau deswegen verpflichtet. Aber Ricciardo verlor nach der durchwachsenen Saison 2019 zu früh das Vertrauen in das Projekt und ließ sich verführen von der Überzeugungskunst von Andreas Seidl, der bei McLaren gerade eine äußerst erfolgreiche erste Saison hinter sich gebracht hatte.
Ob das, im Nachhinein betrachtet, eine schlaue Entscheidung war?
Letzte Nacht: Bereut Ricciardo den Teamwechsel?
Die Formel 1 in Imola 2020: Warum Daniel Ricciardo trotz Podium schlecht geschlafen hat und welche Kritik sich die FIA gefallen lassen muss Weitere Formel-1-Videos
Niemand kann in die Zukunft schauen. Seidl und sein Technischer Direktor James Key haben sicher die Kompetenz, McLaren in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Aber ein Werksteam ist eben ein Werksteam, und wenn sich ein Konzern wie Renault so bekennt, wie de Meo das jetzt tut, dann kann ein Privatteam da in den seltensten Fällen mithalten.
Sicher, die neuen Regeln inklusive Budget- und Salary-Cap werden auch McLaren helfen. Aber die Coronakrise (die, was viele unterschätzen, noch lange nicht vorbei ist) hat den kleinen Player McLaren härter getroffen als einen Blue-Chip-Konzern wie Renault. Die McLaren-Gruppe musste im Mai 1.200 ihrer 4.000 Mitarbeiter entlassen. Darunter waren 70 der ursprünglich 800 Formel-1-Leute.
Mitarbeiter hätten auch ohne Corona gefeuert werden müssen
Nun kann man (zurecht) argumentieren, dass McLaren seine Personaldecke mit Einsetzen der Budgetobergrenze womöglich ohnehin ausdünnen hätte müssen, und dass das auch anderen nicht erspart bleibt. Corona hat das Unausweichliche nur beschleunigt.
Aber die Zukunft des einstigen Erfolgsteams aus Woking steht meiner subjektiven Einschätzung nach nicht auf so soliden Beinen wie jene von Renault/Alpine.
Bereits 2016/17, als der einstige "Mister McLaren" Ron Dennis nach einem sehr persönlichen Streit mit seinem langjährigen Partner Mansour Ojjeh aus dem Unternehmen entfernt und ausbezahlt wurde, legte die Gruppe sogenannte "Bonds" auf, um eine gesunde Liquidität gewährleisten zu können.
Von den finanzmarktdeutschen Schachtelformulierungen sollte man sich nicht blenden lassen: Bonds sind nichts anderes als Schulden (Anleihen, streng genommen). Die müssen irgendwann zurückbezahlt werden, und die Ratenzahlungen belasten mutmaßlich auch das Formel-1-Budget. Das gilt zwar als gesichert, aber Tatsache ist: Ohne solche Verbindlichkeiten könnte McLaren mehr Geld in die Technik investieren.
Dann kam auch noch Corona dazu, und das trieb McLaren (übrigens keineswegs nur McLaren) an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Ambitionierte Projekte wie der Bau eines neuen Windkanals mussten erst einmal auf Eis gelegt werden und sind seither im Zeitplan verzögert - trotz des bewundernswerten Engagements der Shareholder (vor allem das Königshaus von Bahrain), die McLaren nicht fallen lassen, sondern das Unternehmen unverändert stärken.
McLaren: Liquidität ist auf Schulden aufgebaut
McLaren hat in Woking längst alles beliehen, was nicht niet- und nagelfest ist. Selbst die Fabrik, ein rund 350 Millionen Euro teures Dennis-Prestigeobjekt namens "McLaren Technology Centre" (das sogar seinen eigenen Wikipedia-Eintrag hat), wurde de facto mit einer Hypothek belegt.
De facto deshalb, weil sich McLaren für ein Verfahren namens "Sale & Leaseback" entschieden hat. Das bedeutet übersetzt nichts anderes als dass für das Gebäude ein Käufer gesucht wird, der es dann an McLaren zurückvermietet.
So kommt McLaren einmalig an eine große Summe Kapital, mit der die aktuellen Engpässe überwunden werden können. Aber das muss natürlich über Jahrzehnte hinweg als Miete zurückbezahlt werden. Rendite für den Käufer eingeschlossen.
McLaren beteuert, dass man die finanzielle Situation im Griff hat und sich diese auf die sportliche Situation nicht auswirken wird. Zak Brown wird schon wissen, was er tut.
Aber zumindest von außen betrachtet erscheint ein Werksteam wie Renault, das gerade mit frischem Wind und vollem Support aus dem Vorstand vorangetrieben wird, vertrauenerweckender als ein Rennstall, der diesen Sommer sogar vor Gericht gezogen ist, um alte Hypotheken aufzulösen, damit Assets wieder neu mit Schulden belegt werden können.
Und nicht nur für Ricciardo ist die Trennung bedauerlich. Auch Renault wird sich irgendwann dafür in den Hintern beißen, den 31-Jährigen gegen Altstar Fernando Alonso (39) ausgetauscht zu haben (auch wenn das eh nicht freiwillig passiert ist).
Alonso mag ein Ausnahmekönner sein. Aber zwei Jahre Pause von der Formel 1 gehen an niemandem spurlos vorüber. Er hat den Zenit seines Schaffens überschritten.
Übrigens: Am besten geschlafen hat, zumindest nach Meinung meines Kollegen Stefan Ehlen (Jetzt auf Facebook folgen!) Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Warum, das können Sie in der Schwesterkolumne auf unserem Schwesterportal motorsport.com nachlesen!
Ihr
Christian Nimmervoll
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