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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Mika Salo
Wie die FIA Lewis Hamilton den Sieg beim Grand Prix von Russland gestohlen hat und warum einer ihrer Kommissare jetzt dringend gefeuert werden muss
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser/-innen,
© Motorsport Images
Versteht die Welt nicht mehr: Lewis Hamilton nach dem Rennen in Sotschi Zoom Download
sorry, wenn ich heute mal ein bisschen direkter bin. Aber diesen Mist (!), dass Lewis Hamilton es nicht verdient hat, Michael Schumachers Rekord von 91 Siegen und sieben WM-Titeln zu brechen, den kann ich langsam echt nicht mehr hören!
Er wird es bald geschafft haben, Punkt, und er wird noch viele Rennen mehr gewinnen als 91, damit sich die Diskussion dann auch irgendwann erübrigt. Und er wird dafür kein Adelaide, Jerez oder Monaco gebraucht haben.
Apropos Schumacher: Warum gerade Mick Schumacher nach Sotschi gut geschlafen hat und wir ihn sehr wahrscheinlich schon 2021 in der Formel 1 sehen werden, das hat mein Kollege Stefan Ehlen in der Schwesterkolumne auf motorsport.com aufgeschrieben.
Aber zurück zum Thema. Wer allen Ernstes argumentiert, Hamilton sei doch in seiner Karriere alles so leicht gemacht worden, der muss gestern den Grand Prix von Russland verschlafen haben.
Ich gehöre nun wahrlich nicht zu den Verschwörungstheoretikern, weder im echten Leben (da ganz und gar nicht) noch in meinem Job als Journalist in der Formel 1 (da nur selten, weil ich für eine komplette Resistenz dagegen einfach schon zu viel erlebt habe). Aber dass der Mercedes-Fahrer am Sonntag gleich zwei Fünf-Sekunden-Strafen erhalten hat, das kann wohl nur ein schlechter Witz sein.
Strafe war richtig, aber das Strafmaß ein schlechter Witz
Eins wollen wir gleich mal außer Streit stellen: Darüber, dass er für seine Übungsstarts am Ausgang der Boxengasse (zu weit draußen) grundsätzlich bestraft werden musste, gibt's keine zwei Meinungen.
In Punkt 19.1 der "Event-Notes" von FIA-Rennleiter Michael Masi steht: "Übungsstarts dürfen nur auf der rechten Fahrbahnseite nach der Ampel am Boxenausgang durchgeführt werden." Toto Wolff argumentierte später im Interview mit Sandra Baumgartner von 'Sky': "Er war nach der Ampel auf der rechten Seite."
Damit hat der Mercedes-Teamchef streng genommen sogar recht. Weil der vorgesehene Platz für die Übungsstarts auch weder in der Streckenskizze der "Event-Notes" genau eingezeichnet noch auf dem Asphalt markiert ist, etwa mit einer weißen Startbox, könnte man auf sportjuristischer Ebene argumentieren, dass Hamilton nichts falsch gemacht hat.
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Aber nach der Logik hätte der sechsmalige Weltmeister auch irgendwo nach Kurve 2 stehen bleiben und einen Start üben können. Was Wolff da macht, ist nichts anderes als Wortklauberei.
Schon ehrlicher klingt der leitende Renningenieur Andrew Shovlin, der es so formuliert: "Weil in den 'Event-Notes' stand, dass es rechts sein muss und nach der Boxenausfahrt, dachten wir, es wäre zweideutig genug, um es verteidigen zu können."
War es letztendlich nicht, denn spätestens mit Punkt 19.2 (den die Kommissare in ihrer Urteilsbegründung lustigerweise gar nicht anführten) hatte sich das Thema Strafe ja/nein erledigt.
Darin steht: "Aus Sicherheitsgründen [...] dürfen Autos ohne gerechtfertigten Grund nicht in der 'Fast Lane' stehenbleiben, wann immer die Boxengasse geöffnet ist." Und: "Ein Übungsstart gilt nicht als gerechtfertigter Grund."
Eine Verwarnung hätte auch gereicht
Jetzt kann man natürlich theoretisch darüber diskutieren, ob der Platz, an dem Hamilton zweimal losfuhr, noch Teil der "Fast Lane" war oder nicht. Ich kenne keine klare Definition für die "Fast Lane".
Aber da alle anderen das auch begriffen haben, sogar sein Teamkollege Valtteri Bottas, halten wir fest: Dass die FIA-Kommissare etwas unternommen haben, ist grundsätzlich völlig in Ordnung.
Und trotzdem hätte ich letzte Nacht, wäre ich Experten-Kommissar Mika Salo gewesen, ganz, ganz schlecht geschlafen. Denn das Strafmaß von zweimal fünf Sekunden, das Hamiltons 91. Sieg ausgerechnet auf den Nürburgring verschiebt, ist nichts anderes als ein schlechter Witz.
Die Kommissare hätten auch jede andere Strafe aus ihrem Katalog wählen können. Ich für meinen Teil - und das ist natürlich immer subjektiv - hätte eine Verwarnung und von mir aus noch einen Strafpunkt verhängt. Weil die Aktion nicht gefährlich war, und der angebliche sportliche Vorteil, so es denn überhaupt einer war, minimal.
Und ich hätte mir Hamilton nach dem Rennen gegriffen, um ihm ganz konstruktiv und unmissverständlich zu erklären, dass das nicht erlaubt ist, warum es nicht erlaubt ist und dass er beim nächsten Mal nicht mehr so leicht davonkommen wird.
Das hätten Salo und seine Kommissar-Kollegen George Andreev, Gerd Ennser und Andrew Mallalieu machen können. FIA-Rennleiter Michael Masi hat mir das nach dem Rennen explizit bestätigt: "Die Kommissare können jedes Strafmaß aus dem Sportlichen Reglement oder dem Internationalen Sportgesetzbuch anwenden." Dafür seien sie schließlich da.
Aber Salo war anscheinend zu sehr damit beschäftigt, seinem Kumpel beim finnischen TV Live-WhatsApps aus dem Meeting zu schicken, sodass er ein bisschen darauf vergaß, sich ernsthaft mit dem Fall Hamilton auseinanderzusetzen.
Salo: Indiskutables Verhalten des FIA-Kommissars
Ein Verhalten, das für einen Schiedsrichter in einem Millionensport ganz und gar unerträglich ist und nur dazu führen kann, dass dieser Herr seinen Job verliert, sollten sich die im Raum stehenden Anschuldigungen (die FIA hat auf meine Anfrage zu diesem Thema bisher nicht reagiert) erhärten (und daran besteht kein Zweifel, schließlich konnten das Millionen finnischer Fans live im Fernsehen mitverfolgen).
Es spielt im größeren Kontext eh keine Rolle, dass man Hamilton für eine Lappalie den Sieg weggenommen hat. Er wird Schumachers Rekorde trotzdem knacken, er wird trotzdem Weltmeister werden. Und für die Show war es ganz gut, dass er einmal nicht gewonnen hat, sondern zumindest der andere Mercedes.
Aber nicht so!
Es kann nicht sein, dass einem Fahrer für einen Regelverstoß, der weder gefährlich war noch zu 100 Prozent auf seine Kappe ging (Salo & Co. haben ja genau deswegen die ursprünglich vergebenen zwei Strafpunkte zurückgezogen und stattdessen in 25.000 Euro Geldstrafe für das Mercedes-Team umgewandelt, das Hamilton via Boxenfunk falsch instruiert hatte), der Sieg weggenommen wird.
Noch dazu, wenn gleichzeitig die Herren Verstappen und Sainz wie die Irren durch den Poller-Slalom in der Auslaufzone von Kurve 2 fahren, damit sich selbst und andere in Gefahr bringen und dafür nicht einmal die klitzekleinste Ermahnung kassieren. Das war lebensgefährlich und hätte bestraft werden müssen! Nicht Hamiltons völlig harmlose Übungsstarts.
Es ist natürlich kompletter Unsinn, dass die mächtigen Männer in der Formel 1 sich verschworen haben, um Hamilton zu schaden, wie der es selbst nach dem Rennen suggeriert hat. Aber den Eindruck, dass bei ihm besonders genau hingeschaut wird, ein bisschen genauer als bei anderen Fahrern vielleicht, den kann ich ihm nicht verdenken.
Warum wurde Hamilton bestraft und Leclerc nicht?
So kassierte er zum Beispiel für die Kollision mit Alexander Albon beim Saisonauftakt in Österreich eine Fünf-Sekunden-Strafe (Gerd Ennser war übrigens auch in Spielberg einer der Kommissare), während das exakt identische (!) Manöver von Ferrari-Pilot Charles Leclerc in Russland (gegen Lance Stroll) nicht einmal untersucht wurde.
Wer kann's Hamilton da übel nehmen, dass ihm beim Gedanken daran, dass die drei mächtigsten Manager des einstigen Ferrari-Erfolgsteams jetzt die drei mächtigsten Männer in der Formel 1 sind, nicht gerade warm ums Herz wird? Ich jedenfalls nicht! Auch wenn ich klarstellen möchte, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat ...
Und, übrigens: Die nur wegen Hamilton eingeführte Regel, dass die Top 3 eines Rennens während der Parc-ferme- und Podiumszeremonie ihre Rennoveralls nicht mehr ablegen und nicht einmal mehr den Reißverschluss aufmachen dürfen (eine Reaktion auf Hamiltons Breonna-Taylor-Shirt in Mugello), damit man nicht mehr sieht, falls sie T-Shirts mit Botschaften tragen, die irgendjemandem womöglich nicht passen könnten, ist auch völlig lächerlich.
Ich warte nur noch auf den Tag, an dem der Erste nach einem Hitzerennen irrtümlich den Reißverschluss öffnet und sich das Oberteil des Overalls zur Hüfte runterschiebt. Denn wenn man dann die gleiche Strenge anlegt wie bei Hamilton gestern, muss es dann auch eine Strafe geben. Obwohl das natürlich totaler Unsinn wäre.
So, wie die Strafe (beziehungsweise deren Strafmaß) gestern auch totaler Unsinn war ...
Ihr
Christian Nimmervoll
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