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Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat
Redakteur Ruben Zimmermann erklärt, warum Charles Leclerc alle Eigenschaften eines Champions mitbringt - Im Cockpit muss man auch mal ein "Arschloch" sein
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
es ist also mal wieder soweit. Sebastian Vettel hat einen Fehler gemacht, und bis zum nächsten Rennen in Singapur in zwei Wochen wird wieder fleißig darüber diskutiert werden, ob der viermalige Weltmeister seinen Zenit überschritten hat. Ob er bei Ferrari nur noch die Nummer 2 ist, und ob er überhaupt noch gut genug für die Formel 1 ist. Das ist nach einem Rennen wie Monza auch irgendwo nachvollziehbar.
Mir persönlich wird diese Diskussion aber häufig ein bisschen zu einseitig geführt. Oft hat man das Gefühl, dass es nur um Vettel und seine Krise geht. Vettel ist hier schlecht, Vettel macht dort etwas falsch und so weiter. Bei einigen Kommentaren in den sozialen Medien könnte man vermuten, der viermalige Weltmeister verliere das interne Ferrari-Duell gerade gegen Pastor Maldonado.
Doch es ist nicht Maldonado, der da im zweiten roten Auto sitzt - auch wenn der selbst behauptet, dass er 2014 kurz vor einem Wechsel zu Ferrari stand. Aber das ist eine andere Geschichte. Es ist Charles Leclerc, gegen den Vettel aktuell kein Land sieht. Und die beiden Rennen in Spa und Monza haben das bestätigt, was viele schon vorher ahnten: Leclerc ist ein kommender Weltmeister.
Leclerc hat aus Österreich gelernt
Eigentlich hätte der Monegasse schon nach seinem ersten Grand-Prix-Sieg in Belgien Protagonist dieser Kolumne sein sollen. Aus offensichtlichen Gründen haben wir uns nach dem tragischen Spa-Wochenende aber dafür entschieden, niemanden gut schlafen zu lassen. Von daher hat es mir Leclerc mit seinem zweiten Sieg in Serie jetzt leicht gemacht - und sogar noch weiteres Futter geliefert.
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Denn es ist auch die Art und Weise seines Monza-Sieges, die gezeigt hat, warum Leclerc alles mitbringt, um eines Tages Weltmeister zu werden. Abseits des Cockpits wirkt der 21-Jährige teilweise wie der nette Student von nebenan. Doch in Italien hat er gezeigt, dass er auf der Strecke ein ziemlicher Drecksack sein kann. Und das meine ich durchaus im positiven Sinne.
Formel-1-Weltmeister wird man nicht, indem man immer brav Platz macht, wenn ein anderer überholen möchte. Diese Lektion hat Leclerc im Österreich gelernt, als ihn Max Verstappen kurz vor Schluss abgekocht hat. Im Zweifel muss man bis an die Grenzen des Erlaubten gehen. Das wusste Verstappen schon damals, und das weiß seitdem auch Leclerc. Monza war eine Konsequenz daraus.
Qualifying: Leclerc eckt bei Vettel an
Für sein hartes Verteidigungsmanöver gegen Lewis Hamilton bekam Leclerc lediglich eine Verwarnung. Es ist nachvollziehbar, dass der Brite das nicht ausreichend fand. Meiner Meinung nach ist es aber die richtige Entscheidung. Let them race! Die Aktion mag nicht komplett sauber gewesen sein, aber sie war ein Statement von Leclerc: Das ist mein Sieg hier in Monza, und den nimmt mir keiner weg.
Bereits am Samstag gab es übrigens eine Aktion, in der Leclerc ebenfalls nicht so 100 Prozent fair spielte. Im finalen Versuch im Qualifying wäre er eigentlich an der Reihe gewesen, Vettel Windschatten zu geben, nachdem es im ersten Run umgekehrt war. Doch er sah es gar nicht ein, an die Spitze der Gruppe zu fahren, nur um seinem Teamkollegen einen Vorteil zu verschaffen.
So schafften es am Ende sowohl er als auch Vettel nicht mehr über die Linie. Das hat hinter den Kulissen für mächtig Ärger gesorgt, wie man hört. Im Debriefing sollen sogar nicht jugendfreie Wörter in Leclercs Richtung gefallen sein. Genau wissen wir das natürlich nicht, doch dass Teamchef Mattia Binotto Leclerc nach dem Rennen am Funk sagte, dass er ihm "verzeihe", spricht stark dafür, dass da etwas im Busch ist.
Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen
Das alles muss man natürlich nicht gut finden. Aber es sind genau diese Dinge, die an viele große Champions erinnern. Michael Schumacher, Ayrton Senna, Alain Prost, Fernando Alonso ... Sie alle vereint diese Drecksack-Eigenschaft. Sebastian Vettel selbst fällt übrigens auch in diese Kategorie. Mark Webber kann ein Lied davon singen. Stichwort "Multi 21".
Natürlich reicht es nicht aus, auf der Strecke ein - Pardon - "Arschloch" zu sein, um Weltmeister zu werden. Ein bisschen Autofahren muss man auch können. Aber dass Leclerc das kann, daran bestand eigentlich von Saisonbeginn an kein Zweifel. Aktuell sehen wir eine Entwicklung, die der 21-Jährige durchmacht. Dazu zählt zum Beispiel auch, dass er seine Fehlerquote noch etwas reduzieren muss.
Fotostrecke: Leclerc und Co.: Die jüngsten Ferrari-Sieger in der Formel 1
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Monza war aber der endgültige Beweis dafür, dass Leclerc bereits im Konzert der ganz Großen mitspielt. Und die Ferrari-Fans dürfte er mit seinem Heimsieg jetzt ebenfalls im Sack haben. Es passt irgendwie ins aktuelle Bild, dass sich Vettel fünf Jahre vergeblich abmüht, den Tifosi einen Sieg zu schenken, während es Leclerc gleich im ersten Anlauf schafft. Italien hat einen neuen Liebling.
Vor dem Wochenende wurde ich im Podcast "Starting Grid" gefragt, ob Monza ein Schicksalsrennen für Sebastian Vettel werden könnte. Das habe ich verneint. Nach dem Rennen bin ich mir da ehrlich gesagt nicht mehr so sicher. Ich bin noch immer der Meinung, dass Sebastian Vettel nicht plötzlich zu schlecht für die Formel 1 und Ferrari geworden ist. Vielleicht ist Charles Leclerc aber einfach zu gut.
Ihr
Ruben Zimmermann
Ruben Zimmermann
P.S.: "Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat" fand jahrelang jeden Montag auf unseren Portalen Formel1.de und Motorsport-Total.com statt. 2019 ist sie umgezogen zu de.motorsport.com. Wen es dieses mal getroffen hat, können Sie hier nachlesen!