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Kommentar zur "Formel Vorgestern": Das war echt daneben!
Chefredakteur Christian Nimmervoll bezieht Position zu einem heiß diskutierten Beitrag in der 'Zeit', in der die Formel 1 unsachlich und polemisch zerrissen wird
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
© Zeit online
Sorgt für Diskussionen: Der Kommentar "Formel Vorgestern" auf 'Zeit online' Zoom Download
in der benzinbrüderlichen Motorsport-Community gehöre ich wahrscheinlich einer eher seltenen Gattung an. Ich bekenne mich dazu, bei den bevorstehenden Nationalratswahlen in Österreich die Grünen zu wählen. Hätte ich Kinder, wäre ich megastolz auf sie, wenn sie freitags fürs Klima demonstrieren gehen.
Mein nächster Wagen hätte ein Elektroauto werden sollen (der Kia e-Niro war sogar schon bestellt, ehe ich es mir doch noch anders überlegt habe). Und im Gegensatz zu vielen Kollegen glaube ich nicht, dass die Formel 1 das Größte und Wichtigste der Welt ist. Sondern ich halte sie im größeren gesellschaftlichen Kontext für ziemlich belanglos. Eine sehr, sehr, sehr schöne Nebensache halt.
So viel mal zu meiner Positionierung, auch wenn diese im Grunde genommen für diesen Kommentar keine Rolle spielen sollte. Ich gehöre im Formel-1-Paddock sicher nicht der Mehrheit an.
Man darf den Motorsport insgesamt und die Formel 1 im Besonderen in Zeiten wie diesen ruhig kritisieren. Kritik, von der einen Seite auf konstruktive Weise geübt und von der anderen Seite auf konstruktive Weise angenommen, ist etwas Positives. Sie kann Dinge verbessern.
'Die Zeit' und Jan Freitag: Ist das wirklich Ihr Ernst?
Insofern finde ich es erstmal gut, wenn sich ein angesehenes Medium wie die altehrwürdige 'Zeit' dazu anschickt, sich mit der Formel 1 auseinanderzusetzen. Oder besser gesagt: mit der "Formel Vorgestern", wie Jan Freitag in seinem Kommentar vom 28. Juli, also dem Hockenheim-Sonntag, schreibt.
Es fällt mir auch mit der Distanz von fünf Tagen noch schwer, diese Kolumne (die auf Social Media naturgemäß für hitzige Diskussionen gesorgt hat, was mutmaßlich die Absicht des Autors war) sachlich zu werten. Selbst wenn ich davon ausgehe, dass der Autor bewusst provozieren wollte, hat er letztendlich auf ganz vielen Ebenen versagt.
Darauf zu reagieren, ist gar nicht so einfach. Man weiß nicht, wo man anfangen soll.
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Vielleicht so: Die 'Zeit' ist ein altehrwürdiges Medium, das ich sehr schätze. Ich hatte sie noch nie im Abo, war aber jahrelang ein großer Fan der berühmten "Zigarette mit Helmut Schmidt" und habe mir diese Beiträge auch irgendwann als Hörbuch gekauft. Wann immer ich an einem Flughafen-Kiosk vorbeilaufe, landet die 'Zeit' in meiner Tasche.
Dass ausgerechnet dieses Blatt Formulierungen wie "dummdreistes Showcatchen steroidgestählter Muskelprotze", "testosterongesättigtes Amüsement meist männlicher Massen" und "größte Sauerei der gesamten Freizeitgeschichte" in Zusammenhang mit der Formel 1 verwendet und die Kollegen von RTL als "dümmsten aller Sender" bezeichnet, ist der 'Zeit' nicht würdig.
Spätestens an dem Punkt, wo der Autor Michael Schumacher als "rasenden Rotzlöffel aus Kerpen" bezeichnet und seine Fans, eine "jämmerliche Schwanzparade", für dumm genug erklärt, "das grüne Gewinsel vom Klimawandel in einem teerschwarzen Cocktail aus Testosteron, Benzin und Bier zu ersaufen", verstehen dann wohl auch die "Schumi"-Fans keinen Spaß mehr.
Aber die Kolumne geht noch einen Schritt weiter. Die Formel 1, daran lässt der Autor keinen Zweifel, gehört verboten. Insgesamt. Er vergleicht sie indirekt mit, wörtlich, "Donald Trumps Tweets oder die Stadion-Henker seiner arabischen Kumpels".
Sagen Sie mal, Herr Freitag, geht's eigentlich noch?
Autor lässt jedwede Kompetenz vermissen
Was zur überflüssigen Polemik dazukommt: Der Autor scheint in seinem Job ziemlich inkompetent zu sein. Ansonsten wüsste er, dass der aktuelle Weltmeister "Lewis" und nicht "Louis" Hamilton heißt (der Fehler wurde erst nachträglich korrigiert), und dass seine Kritik hinsichtlich des Benzinverbrauchs der Formel-1-Boliden kompletter Unfug ist.
Die modernen Hybridmotoren erreichen eine thermische Effizienz von 50 Prozent und mehr. Damit sind die sogenannten Power-Units der Formel 1 mit die effizientesten Verbrennungsmotoren der Welt. Würde man einen VW Golf mit Vollgas um den Hockenheimring bewegen, sein Verbrauch wäre fast so hoch wie der eines Formel-1-Motors. Das ist Tatsache.
Ein Golf mit moderaten, aber ausreichenden 140 PS verbraucht im Rennbetrieb mehr als 20 Liter auf 100 Kilometer. Ein Formel-1-Motor kommt mit 40 Litern aus. Rechnet man das zu Ende, beträgt der Leistungsverbrauch pro PS eines Formel-1-Autos nur etwa ein Drittel von dem des Serien-Golf.
Und wir reden hier von einem Golf, nicht etwa von einer PS-Schleuder wie einem Jaguar XF, der im Rennbetrieb mehr als 60 Liter auf 100 Kilometer schluckt.
Oder das Argument, dass der Technologietransfer "Track to Road" nur vorgeschoben ist. Nun mag der Autor sogar ein bisschen damit recht haben, dass der Technologietransfer aus PR-Gründen manchmal größer aufgeblasen wird, als er wirklich ist. Aber es gibt sie sehr wohl, die Themen, in der die Formel 1 eine technologische Vorreiterrolle eingenommen hat.
Nehmen wir zum Beispiel das semiautomatische Getriebe mit Wippschaltung am Lenkrad, das der geniale Ferrari-Designer John Barnard 1989 eingeführt hat. Oder den Leichtbau mit Kohlefaser, der bei der Gewichts- und damit auch Verbrauchsreduktion des Serien-PKW eine wichtige Rolle spielt. Oder eben die Hybridmotoren, die die Formel 1 schon 2009 eingeführt hat. Lange bevor der 'Zeit'-Autor Kommentare über Klimaschutz geschrieben hat.
Natürlich kann man argumentieren, dass der Formel-1-Tross insgesamt, mit tausenden Menschen und einer gigantischen Logistik, die rund um den Globus tourt, nicht umweltfreundlich ist. Aber wollen wir diese Diskussion wirklich aufmachen? Jede Bundesliga-Runde bewegt zehntausende Menschen und eine ebenso gigantische Logistik, von Fußball-WM und Co. ganz zu schweigen.
Dann müssen wir auch Fußball & Co. verbieten!
Olympische Spiele, Rock- und Popkonzerte, im Grunde jede Unterhaltung, die nicht einem höheren Zweck dient: Nach der Logik der 'Zeit'-Kolumne gehört all das verboten. Wollen wir das wirklich? Die Formel 1 leistet immerhin einen Beitrag dazu, Technologien weiterzuentwickeln, die die Welt eines Tages besser und sauberer machen werden. Fußball, Tennis & Co. tun das nicht.
Auch der Vorwurf des "sexistischen Machismus" ist gelinde gesagt kompletter Nonsens. Niemand würde auf die Idee kommen, die Cheerleader im American Football abzuschaffen. In der Formel 1 aber gibt es keine Grid-Girls mehr. Und, lieber Herr Freitag, zeigen Sie mir bitte einen anderen Sport, in dem es so viele Initiativen gibt, die speziell die Talente von Mädchen fördern?
Susie Wolff leistet hier mit "Dare to be different" wichtige Pionierarbeit, innerhalb des Automobil-Weltverbands FIA gibt es schon seit vielen Jahren eine eigene Frauen-Kommission. Um junge Mädchen als Rennfahrerinnen zu fördern, wurde eigens die W-Serie gegründet.
Deren Ziel ist der Höhepunkt der sportlichem Emanzipation, nämlich dass Frauen (was ja in anderen Rennserien als der Formel 1 heute schon stattfindet) nicht in ihrem eigenen, von den starken Männern isolierten Wettkampf gegeneinander antreten, sondern dass Sophia Flörsch im gleichen Rennen gegen Lewis Hamilton fährt.
Haben Sie je Boris Becker und Steffi Graf ein Wimbledon-Finale gegeneinander spielen sehen? Eben.
Herr Freitag ist ein bisschen wie Donald Trump: Er hat keine Ahnung, wovon er spricht. Aber er poltert und polemisiert. Hätte eine unserer Redakteurinnen oder unserer Redakteure so einen geistigen Dünnpfiff über die Klimaschutzbewegung verfasst, ich hätte sie oder ihn mit Nachdruck abgemahnt.
Mindestens.
Ihr
Christian Nimmervoll
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