Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat
Max Verstappen fuhr beim sensationellen Red-Bull-Heimsieg sein vielleicht bestes Rennen, aber seine Klasse ist bekannt: Die wahren Sieger kommen aus Japan ...
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
nach diesem Formel-1-Spektakel in Spielberg gibt es viele, die gut geschlafen haben: Max Verstappen, der vor tausenden Fans aus den Niederlanden völlig entfesselt zum sechsten Sieg fuhr; das Red-Bull-Team, das zum zweiten Mal in Folge vor den Augen von Boss Dietrich Mateschitz den Heimsieg holte; und die Formel-1-Macher, die nach dem PR-Debakel von Montreal und dem Langweiler von Le Castellet die Formel-1-Aktie dank des Spielberg-Thrillers ohne Eingriff der Sportkommissare wieder auf Kurs brachten.
Doch am besten geschlafen hat mit Sicherheit Toyoharu Tanabe. Der Japaner, der einst bei McLaren-Honda Gerhard Bergers Motoreningenieur war, leitet seit Anfang 2018 die Technikabteilung von Hondas Formel-1-Projekt und hat das jahrelang katastrophal laufende Engagement des Automobilriesen doch noch zum Erfolg geführt. Dafür wurde er von Red Bull am Red-Bull-Ring aufs Podest geschickt. Was für eine Genugtuung!
Warum dieser Sieg für Honda so wichtig war
Hand aufs Herz: Wer hätte nach der bitteren Trennung Hondas von McLaren wirklich gedacht, dass man eineinhalb Jahre später auf der Power-Strecke in Spielberg, auf der der Vollgasanteil über 70 Prozent liegt, ein Rennen gewinnen wird?
Einen besseren Ort hätte man sich dafür auch strategisch nicht aussuchen können: Nicht nur der sentimentale Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz, dessen Herz am Rennen unweit seiner Wurzeln hängt, war vor Ort und durfte sich ein Bild machen, wie stark sich der neue Motorenpartner seines A-Teams nach Jahren des Zanks mit Renault entwickelt, sondern auch Hondas Vizepräsident Seiji Kuraishi, der fast 13 Jahre nach der letzten Honda-Sternstunde (Jenson Buttons Sieg in Ungarn 2006) endlich wieder als Sieger das Fahrerlager verlassen durfte.
Gut möglich, dass Mateschitz, der sein Rennen gerne für Handschlag-Deals nutzt, und die Honda-Konzernspitze dieser Tage schon die Weichen für die Zukunft gestellt haben, denn der aktuelle Werksvertrag läuft nur bis Ende 2020. Und der Beweis wurde nun erbracht, dass die eigene Kombination siegfähig ist.
McLarens Fehler
Dafür benötigte Red-Bull-Honda nur neun Rennen, auch wenn man die Antriebseinheit in den letzten Runden sicher ohne große Rücksicht auf die Zuverlässigkeit voll aufdrehte!
Eine unglaubliche Leistung, wenn man bedenkt, dass in den drei Horror-Jahren mit McLaren Platz fünf das höchste der Gefühle war. Und der Spott durch den früheren Erfolgspartner deutlich überwog.
Der Honda-Konzern, die wie kaum ein anderer Hersteller Bestätigung im Motorsport sucht und das Rennsport-Gen seit der Gründung in sich trägt, wurde von McLaren und Fernando Alonso als Dilletanten vorgeführt. Und das auf der Weltbühne der Formel 1. Dass das in Tokio tiefe Narben hinterlässt, war keine Überraschung.
Wie Red Bull den schlafenden Riesen weckte
Red Bull hat aus der Beobachtung des britisch-japanischen Krieges gelernt. Und sich intensiv mit der japanischen Kultur auseinandergesetzt, ehe man eine Allianz mit dem am Boden liegenden japanischen Riesen einging. "Wir dürfen Toro Rosso nicht vergessen", meint Techikchef Tanabe bei seinen Dankesworten nach dem Spielberg-Sieg. "Sie haben uns im Vorjahr dabei geholfen, wieder in die Spur zu kommen."
Das kommt nicht von ungefähr, denn Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost war bei Hondas Rehabilitierung eine Schlüsselperson. Der ehemalige Mitarbeiter von Willi Weber, der als Betreuer von Ralf Schumacher ein Jahr lang in der Formel Nippon verbrachte und sogar Japanisch spricht, ist ein Kenner der japanischen Kultur. Er verordnete seinen Mitarbeitern eigene Seminare, damit diese lernen, worauf man bei den Umgangsformen achten muss, wie man E-Mails formuliert und wie die Japaner kommunizieren.
Denn es gibt kaum etwas, was die Japaner derart fürchten wie einen Gesichtsverlust. Ein ständiges Hick-Hack wie zwischen Red Bull und Renault hätte also in einem Fiasko geendet. Das hat man in Faenza, Fuschl und Milton Keynes rechtzeitig begriffen.
Honda setzt seine Versprechen um
Stattdessen geht man mit großer Achtung mit dem japanischen Partner um. "Durch Honda sind wir Hybrid-Fans geworden", sagt Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko immer wieder. Wenn man bedenkt, wie verhasst allein das Wort "Antriebseinheit" jahrelang bei Red Bull war, weiß man, welchen Stellenwert diese Aussage hat.
Im Gegenzug schätzt man bei Red Bull, dass Honda anders als Renault kein "Ankündigungsweltmeister" ist. "Alles, was sie versprechen, tritt auch tatsächlich ein", hört man immer wieder aus Red-Bull-Kreisen. Ein krasser Gegensatz zu Renault, wo es immer wieder hieß, dass man Mercedes und Ferrari bald eingeholt haben werde - bis heute eine leere Ankündigung.
Honda lässt sich endlich helfen
Sogar der Spielberg-Sieg war übrigens von Honda korrekt prognostiziert worden. "Jetzt, wo wir erstmals mit zwei Teams am Start sind, können wir endlich an Siege denken. Wir hoffen, dass wir eine Chance haben werden - vielleicht rund um den Sommer", meinte Hondas Formel-1-Chef Masashi Yamamoto bereits im März.
Auch die Japaner haben sich auf den neuen Partner eingestellt und ernten nun die Früchte. Nachdem man jahrelang keine Hilfe von außen zugelassen hatte und selbst das kleinste Teil der komplexen Antriebseinheit in Eigenregie baute, brachte eine Umstrukturierung Anfang 2018 die Wende. Seitdem nutzt man das Know-how von Ex-Mercedes-Mann Axel Wendorff und Berater Mario Illien in der Top-Fabrik in Sakura. Das zahlt sich aus.
Hondas Schadenfreude
Wie man am Sonntag in Spielberg gesehen hat. Jener Sonntag, der für die Japaner bereits gut angefangen hatte. Denn bei der Supercar-Legendenparade im Vorprogramm spuckte ausgerechnet der Luxussportwagen McLaren Senna, in dem Gerhard Berger und Mateschitz-Freundin Marion Feichtner saßen, Feuer und ging in einer schwarzen Rauchwolke auf. Er wird von einem hauseigenen McLaren-Motor angetrieben.
"Das Pech anderer schmeckt süß wie Honig", lautet ein japanisches Sprichwort. In diesem Fall kann man den Honda-Protagonisten die Schadenfreude wahrlich nicht verdenken.
Sven Haidinger
PS: Warum dieses Mal nicht nur eine Person, sondern tausende keine angenehme Nacht hatten, lesen Sie in unserer Schwesterkolumne "Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat" aus der Feder von Chefredakteur Christian Nimmervoll auf de.motorsport.com.