Michael Schumacher: Denkt bitte jemand an die Menschen?
Chefredakteur Christian Nimmervoll zum 50er von Michael Schumacher: Warum die "Schu-Mania" aufhören und wir alle mehr an die Menschen denken sollten
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,
© Motorsport Images
Die starken Frauen hinter Michael Schumacher: Sabine Kehm und Corinna Zoom Download
wohin man auch blickt, es ist die Schumacher-Mania ausgebrochen dieser Tage. Sonderausstellungen, Spezial-Apps, ganze Hefte werden dem Formel-1-Superstar gewidmet. Und wenn jemand mit einer motorsportaffinen "Filter-Bubble" wie ich gerade auf Facebook schaut, gibt es kein anderes Thema mehr. Michael Schumacher hier, Michael Schumacher da, Michael Schumacher überall.
Das hat meiner Meinung nach zwei Seiten.
Erstens ist es richtig und wichtig, einem der größten Helden der deutschen Sportgeschichte zu seinem 50er zu gratulieren und ihm aufgrund dieses Anlasses Anerkennung für seine sagenhafte Lebensleistung zukommen zu lassen.
Wäre der 29. Dezember 2013 nicht passiert, würde "Schumi" wahrscheinlich einmal bei Markus Lanz sitzen, in einer Sonderausgabe nur für ihn allein. So, wie Lanz das macht, wenn ganz besondere Persönlichkeiten gewürdigt werden. Wahrscheinlich hätten ihm auch die großen Zeitungen und Magazine des Landes ein paar Seiten gewidmet. Dann wäre es aber auch gut gewesen.
Die derzeit stattfindende "Schu-Mania", in der in erster Linie Altes aufgewärmt und nicht etwas Neues erzählt wird, passiert, weil es keine Nachrichten zum Gesundheitszustand des Jubilars gibt. Die maue Newslage rund um das, was wirklich los ist, führt dazu, dass jeder Schnipsel aus dem Drumherum medial völlig überhöht wird.
Letztendlich bestimmt der Leser die Dynamik
Das nahm am Tag vor "Schumis" Geburtstag besonders abstruse Züge an (und damit sind wir beim "zweitens"), als ein Statement seiner Familie, eigentlich völlig inhaltsleer, die Runde machte, quer durch alle Nachrichtenagenturen und Fachmedien. Auch unseres, zugegeben. Weil wir uns dem Druck unserer Kunden, der Leser, nicht ganz entziehen können. Und der Kunde ist nun mal König in dieser kapitalistisch getriebenen Welt.
Als Chefredakteur würde ich dem 50er von Michael Schumacher am liebsten aus dem Weg gehen. Wenn unsere Kunden fragen, welche Beiträge denn zu diesem Anlass geplant sind, am liebsten antworten: "Nichts!" Denn fast jede Geschichte, die dieser Tage irgendwo erzählt wird, wurde schon einmal erzählt. Oder öfter als einmal.
Es sind tolle Geschichten dabei. Auch wir haben dazu beigetragen. Mein Interview mit Sabine Kehm aus dem Jahr 2012 beispielsweise ermöglicht faszinierende Einblicke hinter die Kulissen. Oder die Raritäten aus dem YouTube-Archiv, die wir ebenfalls zum Ende seiner Karriere vor sechs Jahren erstmalig zusammengetragen haben.
Kehm, das möchte ich in einer Kolumne wie dieser nicht unerwähnt lassen, ist eine der bewundernswertesten Figuren in dieser Geschichte. Jeder kann zumindest in Ansätzen nachvollziehen, was es heißen muss, wenn der Ehemann oder der Papa so ein Schicksal erleidet. Aber an Kehm denkt dabei offenbar keiner.
Sie musste professionell die Verrückten (davon gab es, neben den seriösen Journalisten, die anständig mit der Sache umgegangen sind, leider zu viele) im Zaum halten, die sich in jenen Dezember- und Januar-Tagen 2013/14 in Frankreich Journalisten schimpften und in Wahrheit nur darauf aus waren, die Sensationsgier ihrer Leser zu befriedigen. Sie musste im kompletten Chaos Ruhe ausstrahlen, immer sachlich bleiben und wie ein Fels in der Brandung das tun, was im besten Interesse der Familie war und ist.
Was dabei völlig vergessen wird: Auch Sabine Kehm ist ein Mensch und keine Maschine. Und Michael Schumacher für sie nicht nur eine Heldenfigur, die es irgendwann im Internet und im Fernsehen gab, sondern ein Vertrauter, ein Freund aus Fleisch und Blut.
Am stärksten muss die Familie sein
Ich weiß nicht, wie es den Schumacher-Kindern damit geht, wenn sie jeden Tag ihren Vater sehen, wenn Sie Facebook oder Instagram am Handy öffnen. Ob sie das wahrnehmen, ob es sie beschäftigt, ob sie stolz sind, genervt oder traurig. Und Corinna sowieso.
Familie Schumacher hat ein Recht, genau das zu sein, was sie ist: eine Familie - und kein öffentliches Schauspiel.
Ich muss zugeben: Natürlich würde mich interessieren, wie es "Schumi" heute geht. Etwas anderes zu behaupten, wäre geheuchelt. Wie sein Alltag aussieht, ob er die Menschen in seinem Umfeld wie früher wahrnimmt, ob er sich Formel-1-Rennen anschauen kann oder nicht. Ob und wie er sich verändert hat. Wir alle sind doch irgendwie neugierig. Das ist auch völlig legitim.
Nicht legitim ist, aufgrund dieser Neugier unsere Sensationslust über die Persönlichkeitsrechte der Familie zu stellen. Die Schumachers haben entschieden, wie sie mit ihrer Situation umgehen wollen, und das ist zu respektieren. Punkt, aus, fertig. Unerträglich ist diese Situation so oder so. Aber nicht in erster Linie für uns, die Zuschauer dieses Medienspektakels; sondern vor allem für Corinna, Mick und Gina Maria.
Die vergangenen fünf Jahre haben schräge Blüten getrieben. Jeder kennt inzwischen die Geschichte des als Priester verkleideten Journalisten, der sich in Grenoble auf die Intensivstation schleichen wollte. Es ist schon ironisch, dass es vor ein paar Wochen ausgerechnet ein echter Priester war, der persönliche Details aus Schumachers Alltag ausgeplaudert hat.
Wir haben ganz bewusst entschieden, diese Geschichte nicht zu bringen. Auch und besonders wir Journalisten tragen eine Verantwortung in diesem eigenartigen Schauspiel, in dem vielen die Ethik abhandengekommen ist. Dieser Verantwortung möchten wir uns stellen, so gut es geht. Und trotzdem das Bedürfnis unserer Leser befriedigen, so weit wir das auf moralischer Ebene für vertretbar halten.
Ein ganz, ganz schwieriger Spagat, zugegeben.
Medien stehen in der Verantwortung
Wie verrückt der Fall Schumacher geworden ist, dazu möchte ich Ihnen noch kurz eine Anekdote erzählen. Diesen Sommer hat sich ein Herr bei mir gemeldet, zunächst via E-Mail, der behauptete, Informationen über Michael Schumacher zu besitzen und Bereitschaft signalisierte, diese bestimmten Medien zu übergeben. Gegen Bares, versteht sich.
Ich habe das abgelehnt. Ob der Herr auch zu anderen Medien gelaufen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Er wollte seine Infos nur einem Medium wie unserem verkaufen, weil er glaubte, der Boulevard würde nicht moralisch genug damit umgehen. Ironisch nur, dass er den rechten Weg bei der Beschaffung der Informationen selbst verlassen hat.
Ich mache dem Mann keinen Vorwurf. Letztendlich hat er sich - vielleicht auch auf meinen gut gemeinten Rat hin - richtig entschieden. Bis heute habe ich die Geschichte in keiner anderen Zeitung und auf keiner Internetseite gefunden. Gut so!
Ich kann Ihnen sonst nicht viel über Michael Schumacher erzählen. Ich habe ihn nie näher kennen gelernt; bin ihm zwar ein paar Mal persönlich begegnet, hatte aber nie die Gelegenheit, mich mal 1:1 zu einem Interview oder Abendessen mit ihm hinzusetzen. Da waren andere viel näher dran.
Daher steht es mir auch nicht zu, heute ein Charakterbild zu zeichnen. Er ist ein ganz besonderer Mensch. Das sagt jeder, der mit ihm zu tun hatte.
Was mir aber ein Anliegen ist, auch ohne ihn je besser gekannt zu haben: Danke zu sagen - denn ohne Michael Schumacher würde das Gesicht des Motorsports und der Formel 1 in Deutschland heute sicher anders aussehen. Und zu gratulieren, zum Geburtstag. Wie man das halt macht, wenn jemand 50 wird.
Alles Gute!
Ihr
Christian Nimmervoll
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