Werde jetzt Teil der großen Community von Formel1.de auf Facebook, diskutiere mit tausenden Fans über die Formel 1 und bleibe auf dem Laufenden!
Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat
Was Verstappen/Brasilien 2018 mit Verstappen/Brasilien 2001 zu tun (nämlich gar nichts!) und welche Vorgeschichte die Rauferei mit Esteban Ocon hat
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,
ich möchte Sie zum Einstieg in diese Kolumne zunächst abholen und Ihnen eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die beginnt am 31. März 2001. Max Verstappen, das nur fürs Protokoll, ist da gerade dreieinhalb Jahre alt.
Ich erinnere mich gut. Im Jahr 2001 arbeitete ich für eine Website namens Daily F1, und damals wie heute gehörte das Live-Tickern zu meinen Kernaufgaben. Der wesentliche Unterschied bestand darin, dass ich es mit 19 noch für schlau hielt, mir mit Sportwetten ein kleines Zubrot zu verdienen, und dass es in meiner Heimat Österreich noch den Schilling gab und nicht den Euro.
Live-Wetten mit Quoten, die sich sekündlich aktualisierten, gab es nicht, und so tat sich ein tolles Chancenfenster auf, als Juan Pablo Montoya im Williams, damals noch ein krasser Außenseiter, im dritten Freien Training Zwischenbestzeiten fuhr und sich somit auf einen Schlag zum Geheimfavoriten mauserte. Ich reagierte schnell und platzierte 100 Schilling bei Quote 1:60 auf Sieg Montoya.
Tags darauf - es war ironischerweise ein 1. April - führte Montoya haushoch überlegen, bis er in Runde 39 beim Überrunden nach dem Senna-S auf den Arrows von Jos Verstappen auflief.
Richtig, das ist der Vater von Max Verstappen!
Erinnerungen an Brasilien 2001
Verstappen sen. wurde zunächst im TV-Kommentar unseres Experten Marc Surer noch als "vorbildlich" gelobt, weil er ohne jeden Widerstand Platz machte.
Aber in Kurve 4 klebte Verstappens Arrows im Heck des Williams, Montoyas Heckflügel war weg und meine 6.000 Schilling (inflationsbereinigt wären das heute immerhin rund 600 Euro) ebenfalls.
"Es tut mir sehr, sehr leid", entschuldigte sich der Niederländer damals. Zur Strafe musste er 15.000 US-Dollar an die FIA überweisen. Einen Teil davon, so fand ich, hätte er ruhig mir abdrücken können.
Was das alles mit dem Grand Prix von Brasilien 2018 zu tun hat?
Nun, ganz ehrlich gesagt: Gar nichts!
Wurz: "Keine Entschuldigung" für Ocons Dummheit
Dass auch Max' Vater irgendwann einmal einen blöden Fehler gemacht hat, entschuldigt Ocons Fehleinschätzung ganz und gar nicht. Ich stimme meinem Landsmann Alex Wurz zu, der da analysiert: "Der fährt um sein Leiberl in der Formel 1 und ist angefressen. Okay. Aber das entschuldigt nicht dieses Manöver."
Angefangen hat alles damit, dass Ocon in der 40. Runde zum Boxenstopp kam. Er lag schon davor, nach einem lang ausgedehnten ersten Stint, im Grunde in aussichtsloser Position: Zehnter auf der Strecke (boxenstoppbereinigt gar nur 14.), 47,5 Sekunden Rückstand auf Leader Verstappen, 12,2 auf Grosjean.
Bis auf Kevin Magnussen waren da alle schon an der Box; aber der Däne (der später Neunter wurde) lag 25,5 Sekunden vor ihm.
Nach dem Boxenstopp war Ocon überrundet, aber plötzlich fuhr er mit frischen Supersofts schnellere Rundenzeiten als der führende Verstappen, dessen Reifen etwas härter und etwas älter waren. Die logische Konsequenz: Am Beginn der 44. Runde war Ocon plötzlich im Windschatten des Red Bull.
Was dann passierte, konnte im TV jeder sehen.
Podium-Room: Hamilton weist Verstappen zurecht
Nun kann man darüber diskutieren, ob sich ein überrundeter Fahrer zurückrunden darf oder nicht. Hat Lewis Hamilton übrigens im Podium-Room mit Verstappen getan - eine erfrischende Szene, wie der fünfmalige Weltmeister den Grünschnabel zurechtgestutzt hat: "Er hatte mehr zu verlieren als du." Verstappen versucht zu erwidern: "Ja, aber ich meine, ..." Aber Hamilton insistiert: "Nein! Du hattest mehr zu verlieren."
Verstappen hat schon einen Punkt, wenn er sagt: "Du kannst doch nicht in den Führenden crashen!" Aber selbst wenn: Gut geschlafen hat er letzte Nacht sicher nicht.
Es kommt momentan viel zusammen für den armen Max. In Mexiko hätte er sich zum jüngsten Polesetter aller Zeiten krönen können, aber stattdessen kam ihm ausgerechnet Daniel Ricciardo wie aus dem Nichts in die Quere.
Der angeblich provokante Pole-Jubel des Teamkollegen machte Verstappen so wütend, dass er tags darauf eines seiner besten Rennen fuhr und gewann.
Jetzt war es Ocon, der ihn aus der Fassung brachte.
Außer Streit steht, dass der Franzose im Senna-S nichts an der Stelle zu suchen hatte, an der er sich befand: nämlich auf Kampflinie, aber nicht auf gleicher Höhe. Mag sein, dass man sich rein theoretisch zurückrunden darf. Aber für so ein Duell dürfen dann nicht die gleichen Maßstäbe angelegt werden wie bei einem echten Rad-an-Rad-Kampf.
Ocon hatte noch den Nerv, sich am Funk über Verstappen zu beschweren. Ob sich Papa Jos in dem Moment an sein eigenes Rennen von vor 17 Jahren erinnert hat?
Verstappen & die Fäuste: Erblich vorbelastet ...
Sein Sohnemann jedenfalls machte dem Namen Verstappen (und dessen Ruf) alle Ehre, als er den Mittelfinger ausfuhr, Ocon einen "Idioten" schimpfte und später auf der Pressekonferenz, als man eigentlich meinen sollte, dass der Ärger schon etwas verraucht sein könnte, auch noch eine "Pussy".
Das wurde im englischsprachigen TV-Broadcast überpiepst, aber unsere Aufnahmegeräte sind gnadenlos!
Nun gibt es meiner Meinung nach zwei Blickwinkel auf das, was nach dem Rennen passiert ist.
Erstens: Verstappen muss lernen, dass man Rennen auch neben der Strecke gewinnt.
Dass sich Ocon in der Situation nicht groß zurückgenommen hat, mag auch ein bisschen an Max selbst liegen. Als die beiden noch gemeinsam Formel 3 gefahren sind, hat Verstappen Ocon einmal eine aufs Maul gegeben. Die genauen Umstände versuchen wir seit Monaten (leider erfolglos) zu recherchieren.
Sowas vergisst man nicht unter ebenso jungen wie ehrgeizigen Fahrern.
Macht sich Verstappen zu viele Feinde?
Und ich wage zu behaupten: Verstappen muss ein bisschen aufpassen, dass er mit seiner kompromisslosen Art zu fahren (und aufzutreten) nicht zu viel aneckt. Zu viele Feinde im Fahrerlager, das haben wir hautnah erlebt, können auch Punkte kosten. Und das tut in einer anderen Saison vielleicht irgendwann mal mehr weh als gestern.
Zweitens: Dass er Ocon ein paar Mal geschubst und ihm wahrscheinlich nicht nur Freundlichkeiten an den Kopf geschmissen hat, sollte man nicht künstlich zu einem Eklat aufblähen.
Ocon hat Verstappen ganz klar den Sieg gekostet, und dass da einem 21-Jährigen mal die Sicherungen durchbrennen, ist nachvollziehbar. Gerade bei den Genen, die ihm Papa Jos, im Umgang mit den eigenen zwei Fäusten auch nicht unbedingt ein Kind von Traurigkeit, mitgegeben hat.
Nehmt der Formel 1 nicht den Charakter weg!
Bis zu einem gewissen Grad ist dieses Temperament sogar wünschenswert: Meistens sind es die gleichen Kommentaristi, die einerseits den guten alten Zeiten mit Charakterköpfen wie James Hunt und Eddie Irvine nachtrauern, die dann gleich aufschreien, wenn jemand mal versucht, die Dinge unter Männern zu regeln. Auf die altmodische Art.
Und, mal ganz ehrlich: Im Grunde genommen war das ja noch völlig harmlos. Die Szene in Hockenheim 1982, als Nelson Piquet Eliseo Salazar an die Gurgel gegangen ist, ist heute kein Eklat, sondern Formel-1-Kulturgut.
Ach ja, übrigens: Piquet verprügelte Salazar (mit Händen und Füßen), weil er - richtig geraten - als Führender beim Überrunden mit ihm kollidiert ist.
Schon witzig, wie sich die Geschichte manchmal wiederholt ...
Ihr
Christian Nimmervoll
PS: In der Schwesterkolumne "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat" auf de.motorsport.com hält mein Kollege Sven Haidinger anlässlich von Mercedes' Triumph in der Konstrukteurs-WM eine Laudatio auf unseren gemeinsamen Landsmann Toto Wolff.
PPS: Folgen Sie mir oder meinen Kollegen auf Twitter unter @MST_ChristianN!