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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat
Sebastian Vettel hat 2018 den besten Ferrari seit langem, doch er und das Team gehen leichtfertig mit ihrer Riesenchance um, Weltmeister zu werden
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,
beginnen wir bei der guten Nachricht: Sebastian Vettel hat schon mal mehr als 40 Punkte Rückstand gehabt in einer Saison und ist am Ende trotzdem noch Weltmeister geworden. 2012 war das so, als ihm zwischenzeitlich 44 Punkte auf Fernando Alonso fehlten. Und 2010 hatte er sechs Rennen vor Schluss zwar nicht 40, aber 31 Punkte Rückstand.
2018 ist also noch keine Mission impossible.
Und trotzdem hat der viermalige Champion Grund genug, nach dem "Night-Race" in Singapur schlecht zu schlafen.
Treue Leser dieser meiner Kolumne (und Hörer des Podcasts 'Starting Grid') wissen genau, dass ich schon seit dem ersten Saisonrennen zwei Dinge predige. Erstens: Lewis Hamilton und Mercedes sind stark genug, spätestens nach der Sommerpause ihre volle Stärke zu entfalten und Weltmeister zu werden, allen Formschwankungen zum Trotz.
Zweitens: Williams wird Letzter in der Konstrukteurs-WM.
Beide Tipps scheinen auf sehr gutem Kurs zu sein.
Fotostrecke: GP Singapur: Fahrernoten der Redaktion
Sergio Perez (6): Diese Vorstellung ist nur mit zu viel Tequila zu erklären. Wie er Sirotkin reingefahren ist, hatte Züge von Vettels Rammstoß gegen Hamilton in Baku. Dafür muss er gesperrt werden! Auch gegen Ocon hat er nach außen gezuckt und den Teamkollegen so abgeschossen. Schade, denn in Sachen Speed war es ein top Wochenende! Fotostrecke
Nach Hamiltons Sieg in Monza konnte man noch irgendwie argumentieren: "Okay, Vettel und Ferrari haben derzeit eine Pechsträhne, aber auch das bessere Auto. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Knoten platzt, und gerade in Singapur wird Mercedes ohnehin unter die Räder kommen."
Die Realität ist eine andere: Hamilton/Mercedes haben nach Singapur nicht nur 40 Punkte Vorsprung, sondern auch wieder das schnellste Auto. Die silberne Traumfabrik in Brackley und Brixworth hat in den letzten Wochen die richtigen Updates ausgespuckt, die am Ende mit dem WM-Titel belohnt werden.
Vettel hat sich das selbst zuzuschreiben. Er hatte in mehr Rennen als Hamilton die besseren Karten. Und er hat 2018 schon mehr als die 40 Punkte liegen gelassen, die ihm momentan fehlen.
In Baku war er beim Re-Start zu aggressiv und verwandelte einen sicheren zweiten Platz in einen vierten. In Hockenheim warf er einen sicheren Sieg weg. Und auch in Monza hätte er ein Auto gehabt, mit dem er hätte gewinnen können, wenn er sich nicht beim Versuch, Hamilton zu überholen, gedreht hätte.
Kleinere Patzer wie die Kollision mit Valtteri Bottas in Le Castellet oder die Grid-Strafe wegen des Blockierens von Carlos Sainz im Spielberg-Qualifying wollen wir hier gar nicht erst aufzählen.
Die Realität ist: Vettel wirkt 2018 zwar nach außen so gelassen wie noch nie in seiner Karriere, macht aber Fehler, die ihm in den ersten drei Ferrari-Jahren nicht passiert sind. Und das tut jetzt, wo er den besten Ferrari seit langem unterm Hintern hat, doppelt weh.
Aber es ist nicht nur Vettel, der den WM-Titel verspielt, sondern auch Ferrari als Team trifft schlechte Entscheidungen. Zum Beispiel die, in Monza nicht WM-Aspirant Vettel im Windschatten zur Pole zu ziehen, sondern Kimi Räikkönen, der zu jenem Zeitpunkt schon gefeuert war. Es ist ehrenhaft, dass Ferrari nicht auf Stallregie setzt. Aber auch ein bisschen naiv.
Oder Vettel in Singapur früh an die Box zu holen und auf Ultrasofts in einen 47-Runden-Stint zu schicken. Hätte Hamilton nicht dermaßen gebummelt, wäre Vettel vielleicht sogar gezwungen gewesen, einen zweiten Reifenwechsel zu absolvieren. Dann wäre er vom Podium gerutscht. So gesehen muss man festhalten: Ferrari ist gestern mit einem blauen Auge davongekommen.
Währenddessen läuft die Mercedes-Titelmaschine wie mit allerfeinstem Petronas-Öl geschmiert. Hamilton gewinnt die Rennen, wenn er nicht das schnellste Auto hat, und er gewinnt sie auch, wenn er das schnellste Auto hat. Er fährt - siehe Qualifying - in der Form seines Lebens. Und wie immer kann er seine besten Leistungen abrufen, wenn der Druck am höchsten ist.
Den Eindruck hat man bei Vettel nicht. Zumindest nicht momentan.
Es wird jetzt schon ein hartes Stück Arbeit, das Gigantenduell noch zu drehen und vor Hamilton den fünften WM-Titel zu erobern. Selbst wenn Vettel von jetzt an jedes Rennen vor Hamilton gewinnen sollte, käme er mit fünf Punkten Rückstand zum Finale nach Abu Dhabi. Und die Red Bulls sind - streckenspezifische Stärke in Singapur mal außen vor - nicht so stark, dass sie regelmäßig zwischen Ferrari und Mercedes fahren können.
"Aufgegeben wird höchstens ein Brief", hat einer meiner früheren Wegbegleiter im Schachverein immer gesagt. Vettel, das weiß ich, hat die gleiche Mentalität. Er glaubt noch daran.
Ich nicht mehr.
Ihr
Christian Nimmervoll
PS: Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat, nämlich Fernando Alonso, das gibt's in der Schwesterkolumne auf de.motorsport.com nachzulesen, verfasst diesmal nicht von Stefan Ehlen, sondern von meinem Kollegen Dominik Sharaf.
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