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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat
"Lapped cars may now overtake": Wie eine einzige Einblendung das ganze Drama zusammenfasst, das sich gerade hinter den Kulissen des Williams-Teams abspielt
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,
© Sutton
Frank Williams in Silverstone: Er besucht nur noch dieses eine Rennen pro Jahr Zoom Download
haben Sie eigentlich je den Williams-Film auf Netflix gesehen? Nein? Dann sollten sie es jetzt tun! Er erzählt die faszinierende Geschichte eines faszinierenden Mannes; die Geschichte seines Unfalls, seiner Willenskraft, seines Comebacks. Es ist aber auch eine Familiengeschichte. Dann zum Beispiel, wenn Claire Williams erzählt, dass ihr Dad Frank bis heute nie die Tagebücher ihrer Mutter Ginnie gelesen hat, die im Grunde genommen immer der heimliche Star des Teams war.
Williams, das war mal ein großer Name in der Formel 1. Alan Jones fing 1980 mit dem Gewinnen an, und der pummelige Australier wurde damals von der Branche genauso wenig ernst genommen wie Frank Williams. 17 Jahre später hatte das Team sieben Fahrer- und neun Konstrukteurstitel gewonnen. In der ersten Hälfte der 1990er-Jahre war die Dominanz so groß, dass sogar Superstars wie Alain Prost und Ayrton Senna keine Chance sahen, gegen Frank Williams anzustinken. Und stattdessen zu ihm kamen.
Aber Frank Williams ist inzwischen 76 Jahre alt, und seine wachen Momente werden seltener. Es tut einem weh, diesen großen Mann so zu sehen, dem trotz all seiner Erfolge nicht vergönnt ist, einen selbstbestimmten Lebensabend zu verbringen. Aber vielleicht ist es auch ganz gut so, wenn er nicht die volle Dimension dessen mitbekommt, was im Team, das seinen Namen trägt, gerade schiefläuft.
Hoffentlich hat Frank Williams gestern gut geschlafen, und hoffentlich während des Rennens. Im Sinne dieses Kolumnen-Formats hat er es bestimmt nicht. Sogar mir hat es einen Stich ins Herz versetzt, als in Runde 35 die Einblendung "Lapped cars may now overtake" kam. Und es dann nur Lance Stroll und Sergei Sirotkin waren, die sich zurückrunden durften.
Explosive Stimmung hinter den Kulissen
Das sportliche Fiasko des Williams-Teams näher zu erörtern, spare ich mir an dieser Stelle. Das kann ohnehin jeder sehen. Stattdessen möchte ich mich auf das konzentrieren, was gerade hinter den Kulissen passiert. Aber dazu muss ich ein bisschen ausholen.
In jungen Jahren, als er noch laufen konnte, steckte Frank Williams permanent in Geldsorgen. Das ging so weit, dass er an fremden Buffets Essen ging. Ein gewisser Bernie Ecclestone hat ihm nicht nur einmal geholfen, mit dem Team zu überleben. Zwischen den beiden entstand eine Freundschaft, auch wenn sie selbst das nie so nennen würden.
Vor ein paar Wochen hatte Frank Williams offenbar einen wachen Moment. Er griff zum Hörer, rief Ecclestone an und klagte ihm sein Leid. Nicht sein körperliches, damit kann er umgehen. Sondern das des Teams. Was genau die beiden besprochen haben, entzieht sich meiner Kenntnis.
Fotostrecke: Die Williams-Story
Auf geht's ins Abenteuer Formel 1: Nach zwei erfolglosen Anläufen in der Königsklasse gründen Frank Williams (70 Prozent) und Patrick Head (30 Prozent) ihr eigenes Team. Mit einem March-Chassis steigt man beim Grand Prix von Spanien in die Weltmeisterschaft ein. Fotostrecke
Wenig später tauchte Ecclestone im Paddock in Spielberg auf. Offenbar ist er der Meinung, dass bei Williams gerade eine schwache Führung am Ruder ist. Claire Williams ist eine nette Person. Aber in einer machoesken Branche passt es für einige Herren nicht ins Weltbild, wenn sie den Kinderwagen durch das Fahrerlager schiebt und jetzt Harris heißt.
Ob er nun berechtigt ist oder nicht: Es existiert der Wunsch nach einem "starken Mann" bei Williams. Lawrence Stroll, so hört man, soll einer von denen sein, die diesen Wunsch propagieren. Und Stroll sen. ist einer, dem man zuhört. Vermutlich, weil er das Geld hat, das Williams zum Überleben braucht. Wenn nach Martini auch noch die Strolls abhauen, zu Force India oder McLaren zum Beispiel, dann, so fürchten viele, steht Williams am Abgrund.
Es ist nicht zwingend meine persönliche Meinung, die ich hier widergebe, aber es scheint diese Meinung zu existieren: Was Williams jetzt braucht, ist ein starker Mann mit dem Mut, zum Sanieren des Teams, sowohl finanziell wie auch sportlich, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Und viele glauben, dass diese Person nicht Claire Williams sein kann. Und auch nicht Paddy Lowe.
Sind Paddy Lowes Tage bei Williams gezählt?
Lowe ist ein ausgewiesen kompetenter technischer Manager, das hat er bei McLaren unter Beweis gestellt und bei Mercedes. Stimmen mehren sich jedoch, die sagen, dass er kein "Leader" ist, wie das die Engländer formulieren. Und ich wäre nicht überrascht, wenn Lowe noch dieses Jahr gehen würde. Oder gegangen wird. Das ist, je nach Darstellung für die Öffentlichkeit, ein dehnbarer Begriff, wie wir seit Eric Boulliers "freiwilligem" Abgang bei McLaren wissen.
Womit man sich schwer anfreunden kann, ist der Gedanke, dass der große und traditionsreiche Name Williams dem eines Investors weichen soll. Aber vielleicht gibt es dafür auch nach der Zeit von Frank Williams Lösungen. Claire ist nicht sein einziges Kind. Es gibt da auch noch Jonathan, der sich um die Heritage-Abteilung in Grove kümmert.
Jonathan könnte - und das sieht nicht nur Jacques Villeneuve so - das Gesicht einer neuen Ära werden, sofern er sich dazu durchringt, nicht mehr Autos aus längst vergangenen Tagen zu polieren, sondern an der Zukunft des Familienunternehmens aktiv mitzuwirken. Vielleicht mit Unterstützung von Bernie Ecclestone, der sein Netzwerk für seinen alten Freund Frank sicher in die Waagschale werfen würde, um die richtigen Personen und Partner zu finden.
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Der Williams-Film stellt ein Spannungsverhältnis zwischen Claire und Jonathan Williams dar, aber er klärt nicht auf, woher dieses Spannungsverhältnis kommt. Frank Williams war immer der Meinung, Jonathan sei zu schwach, um das Team zu führen. Also legte er es Claire in die Hände. Doch viele finden inzwischen: Es ist an der Zeit, etwas anderes auszuprobieren.
Sicher ist, dass etwas passieren muss bei Williams. Denn so kann es nicht weitergehen.
Wird es auch nicht.
Übrigens: Wir wollen nicht immer nur nörgeln, daher gibt es zu dieser Kolumne auch das Schwesternformat "Wer letzte Nacht am besten" geschlafen hat auf de.motorsport.com. Was meinem Kollegen Stefan Ehlen nach Silverstone eingefallen ist, können Sie hier nachlesen.
Ihr
Christian Nimmervoll
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