• 09. April 2018 · 06:15 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Das Beste oder nichts: Warum Valtteri Bottas nicht gut genug für Mercedes ist und Lewis Hamilton das Rennen in Bahrain an seiner Stelle gewonnen hätte

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,

Foto zur News: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Valtteri Bottas muss Sebastian Vettel zum Sieg in Bahrain gratulieren Zoom Download

die große Frage nach diesem dramatischen Finish lautet: Hätte Lewis Hamilton, wenn er an Valtteri Bottas' Stelle gewesen wäre, Sebastian Vettel noch überholt oder nicht? Und meiner Meinung nach gibt es darauf eine klare Antwort: Hundertprozentig!

Im Motorsport sind es manchmal die ersten Emotionen, die am ehesten die Wahrheit abbilden. Wenn ein Toto Wolff genug Zeit hat, sich seine Antworten genau zurechtzulegen, wird man ihm kaum in die Karten blicken. Aber sofort nach der Zieldurchfahrt in Bahrain, als der Ärger über den verpassten Sieg noch ganz frisch war, da war das "System Wolff" noch nicht im Kamera-Modus.

Kollege Christian Diendorfer vom ORF (der übrigens nur gut 20 Kilometer entfernt von mir aufgewachsen ist - die Welt ist ein Dorf) war der Erste, der unseren gemeinsamen Landsmann interviewt hat. "Ein Rennen verlieren, so knapp, ist halt ärgerlich", sagte er da, oder: "Es hat mich verärgert, weil ich glaube, es wäre mehr drinnen gewesen am Ende." Und: "Vielleicht hätte man ein bisschen mehr Gas geben können zwischendurch."

Mag sein, dass ich es mir einbilde; aber ein bisschen klang das auch nach Vorwurf in Richtung Bottas. Wenn Wolff davon spricht, dass man "ein bisschen mehr Gas geben" hätte können, dann meint er damit in erster Linie das Renn-Management der Strategen und nicht den Gasfuß von Bottas. Aber man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass auch der Finne unter Beobachtung steht.

Es ist fast schon auffällig, wie oft Niki Lauda (nicht ganz so sehr PR-Profi wie Wolff) herausrutscht, dass er "sogar" mit Bottas' Performance super zufrieden sei, oder wie penibel sich Mercedes bemüht, nicht den Eindruck zu erwecken, man habe intern zumindest eine "gefühlte" Nummer 1.

Das kommt einem alles ein bisschen so vor, als würde Rainer Brüderle sagen, er habe ja nichts gegen Frauen, die Dame an der Bar sei sogar ein besonders schönes Exemplar gewesen. Es ist der Subtext, aus denen man die wahre Gedankenwelt von Menschen herauslesen kann, die nicht mit allen PR-Wassern gewaschen sind.

Bottas hätte schon einen perfekten Start in die Saison gebraucht, um das Pendel zu seinen Gunsten ausschlagen zu lassen und 2018 die Chance zu bekommen, genau wie einst Nico Rosberg um den Titel zu kämpfen. Mit dem Momentum auf seiner Seite.

Ich stelle die gewagte These auf: Dieser Zug ist gestern in Bahrain abgefahren.

Erst der Crash in Melbourne, dann die Niederlage im Sieg-Duell gegen Vettel in Manama: So starten keine Champions in die Saison! Sondern eher Piloten, die zwar richtig gut Formel 1 fahren können, denen aber das allerletzte Quäntchen fehlt, um zur Liga Hamilton/Alonso/Vettel zu gehören.

Wir stellen uns vor, wie Hamilton an Bottas' Stelle agiert hätte: Bei ihm wäre das Blut schon in Wallung geraten, als er den ersten Hauch einer Siegchance wittern hätte können, und spätestens mit dem Funkspruch von James Vowles, dass Vettel nicht mehr an die Box kommt, hätte er den F1 W09 EQ Power+ wie eine Zitrone ausgequetscht.

Hamilton wäre wahrscheinlich die eine oder andere Runde früher in DRS-Schlagdistanz gewesen als Bottas, hätte mehr als einen echten Versuch gehabt, und dagegen hätte sich Vettel dann mit seinen lädierten Reifen nicht wehren können. Das Manöver selbst wäre nie so knapp verlaufen wie gestern, als Bottas sich nur zaghaft im Rückspiegel zeigte. Und selbst wenn: Einmal in Schwung, hätte es Hamilton gnadenlos durchgezogen.

Nicht jeder kann so begnadet Auto fahren wie Lewis Hamilton. Aber gerade in einem Mercedes-Benz sollte eigentlich nur die Creme de la Creme sitzen. Das Beste oder nichts.

Und so wird Bottas' Karriere ganz ähnlich verlaufen wie jene von Sergio Perez, weil die beiden mutmaßlich auch ähnlich begabt sind. Er wird, nachdem er seine Chance in einem der drei Topteams nicht ganz nutzen konnte, zu einem guten Mittelfeld-Team wechseln, wo jemand von seinem Kaliber mit der Mercedes-Erfahrung im Gepäck einiges bewirken kann.

Er wird immer wieder Leistungen zeigen, wo man sich fragt: "Ist er nicht doch besser geworden? Haben wir ihn vielleicht unterschätzt?" Aber letztendlich wird er nie ernsthaft am Gewinn eines WM-Titels schnuppern.

Was schade ist, denn verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt sicher Weltmeister, die steckt ein Bottas vom Talent her, vom schieren Speed, in die Tasche. Damon Hill fällt mir da spontan ein, wahrscheinlich sogar sein Boss Niki Lauda, der immer mehr von der Cleverness als von der bedingungslosen Geschwindigkeit gelebt hat; vielleicht Jenson Button.

Aber das ist eine müßige Diskussion.

Bottas hatte nach 2017 nur eine einzige Chance, quasi "against all Odds" Hamilton herauszufordern: Er hätte von Anfang an das Momentum auf der Seite haben müssen.

Diese Chance ist jetzt vorbei.

Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:

Helmut Marko: Den Red-Bull-Doppelausfall nicht als Hauptthema der heutigen Kolumne zu wählen, könnte man fast als fahrlässig bezeichnen. Daniel Ricciardo hat jetzt 38, Max Verstappen sogar schon 42 Punkte Rückstand auf Vettel. Auch wenn der Speed des RB14 Mut zur Hoffnung macht: Das ist eine Menge Holz für jemanden, der Weltmeister werden will! Es wäre nicht weiter verwunderlich, sollte Ricciardo schon bald zumindest einen Vorvertrag bei Ferrari unterschreiben.

Denn dort ist Kimi Räikkönen in einer ähnlichen Situation wie Bottas bei Ferrari: Mit dem Momentum auf seiner Seite hätte er 2018 vielleicht eine Wende herbeiführen können. Aber selbst wenn er vom Speed her voll dabei war in den ersten beiden Rennen, scheint es das Schicksal mit dem "Iceman" nicht gut zu meinen. Alles andere als ein Ende seiner Karriere wäre Ende 2018 eine Überraschung.

Charles Leclerc: Vor einem Jahr hat der damals 19-jährige Monegasse in Bahrain ein regelrechtes Formel-2-Feuerwerk gezündet, wurde als "das nächste große Ding" gefeiert. Ein Jahr später ist er in der Realität gelandet, die da heißt: Im Sauber-Team von Marcus Ericsson geschlagen werden. Leclerc kann zweifellos superschnell Autofahren, aber Autofahren bedeutet in der Formel 1 weit mehr als nur den Gasfuß weit durchdrücken. Das muss Leclerc noch lernen. Sonst kann sein Stern ganz schnell wieder verglüht sein.

Übrigens: Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat, das können Sie wie immer in der Schwesternkolumne meines Kollegen Stefan Ehlen auf de.motorsport.com nachlesen!

Ihr
Christian Nimmervoll

PS: Folgen Sie mir oder meinen Kollegen auf Twitter unter @MST_ChristianN!

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