• 26. März 2018 · 06:14 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Warum Chefredakteur Christian Nimmervoll findet, dass man die Freude bei McLaren über den Saisonauftakt in Melbourne etwas kritischer hinterfragen sollte

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,

Foto zur News: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Stehen 2018 unter enormem Erfolgsdruck: Eric Boullier und Zak Brown Zoom Download

in der Schwesternkolumne "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat" auf de.motorsport.com erzählt Ihnen heute mein Kollege Stefan Ehlen, warum sich McLaren-Rennleiter Eric Boullier als einer der Sieger des Wochenendes fühlen darf.

Grund genug für mich, genau gegenteilig zu argumentieren - und Ihnen in unserer beliebten Montags-Kolumne zu erklären, warum McLaren für mich ganz im Gegenteil einer der großen Verlierer des Melbourne-Wochenendes ist.

Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man sich eigentlich nur die nackten Zahlen anschauen. Selbst Superstar Fernando Alonso, sicherlich besser als der Durchschnittsfahrer in der Formel 1, verlor in Q2 am Samstag 1,7 Sekunden auf die Bestzeit.

Das heißt, es fehlten 1,3 Sekunden auf Red Bull und 0,6 Sekunden auf Renault. Genau das müssen 2018 McLarens Gegner sein - weil die beiden Teams den gleichen Motor haben.

Im Rennen fuhr Alonso dann den auf den ersten Blick versöhnlichen fünften Platz ein, immerhin vor Max Verstappen. Das freilich hatte er purem Glück zu verdanken, denn bei nur marginal anderem Timing in der Safety-Car-Phase hätte er gegen Red Bull keine Chance gehabt.

Das beweisen die Daten: Vom Re-Start in Runde 32 bis zur Zieldurchfahrt verlor Alonso 20,6 Sekunden auf den vor ihm fahrenden Daniel Ricciardo. Also 0,8 Sekunden pro Runde.

Melbourne war nur das absolute Minimum

P11/12 im Qualifying und P5/9 im Rennen sind eine Steigerung, ja - aber nicht der Erfolg, den uns McLaren mit gespielter Zufriedenheit suggerieren möchte, sondern nur das absolute Minimum, das man erwarten musste.

Wenn auf Red Bull durchschnittlich eine Sekunde fehlt, mit dem gleichen Motor und vergleichbaren Ressourcen, dann läuft etwas schief. Auch wenn Melbourne sicher - und in dem Punkt glaube ich Alonso und Boullier sogar - nur der Anfang war.

Tatsache ist: Das McLaren-Management um Boullier, Marketingchef Zak Brown und Geschäftsführer Jonathan Neale steht unter Druck. Gewaltig.

Nicht nur, dass McLaren seit Lewis Hamiltons Wechsel zu Mercedes (2012) keinen Grand Prix mehr gewonnen hat, was für ein sportlich so erfolgsverwöhntes Team eine Katastrophe ist; wäre auf dem Chassis in Papaya-Orange auch noch reichlich Platz für einen Hauptsponsor. Aber Fehlanzeige.

Brown unternimmt alles, um McLaren trotz ausbleibender Erfolge im Gespräch zu halten, innovativ aufzutreten, Sponsoren zu gewinnen. Aber das ist eine Herkulesaufgabe, solange das Team keine Rennen gewinnt. Dafür sind andere zuständig.

Der Druck in Woking muss gigantisch sein. Denn bei der McLaren-Krise geht es nicht nur darum, dass man gern wieder mal einen Pokal in den Trophäenschrank stellen würde - sondern es geht um die Existenz des McLaren-Formel-1-Teams.

Anleihen könnten zum Schulden-Bumerang werden

2017, als "Mister McLaren" Ron Dennis in einem auch von privaten Animositäten durchzogenen Machtkampf um umgerechnet mehr als 300 Millionen Euro aus seinem Lebenswerk gekauft wurde, musste sich McLaren Geld besorgen.

Also wurden Anleihen im Wert von mehr als 550 Millionen Euro aufgelegt, um an frisches Geld zu kommen. Erstens um Dennis auszahlen zu können, zweitens für neue Investitionen.

Aber was verpackt als "Bond" ziemlich hip klingt, ist in Wahrheit nichts anderes als ein gigantischer Schuldenberg, der den Investoren irgendwann zurückgezahlt werden muss.

Und wenn McLaren nicht bald in die Erfolgsspur zurückfindet, wird sich wohl auch kein neuer Hauptsponsor finden. Ohne weitere Investitionen in die Entwicklung freilich wird es schwierig, bald Rennen zu gewinnen. Ein Teufelskreis.

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P5: Die Leistung in Melbourne sah besser aus, als sie wirklich war Zoom Download

Noch ist Dennis' Lebenswerk nicht vor die Wand gefahren. Aber Eric Boullier steht enorm unter Druck. Wenn es ihm mit seinen alten Freunden von Renault und Superstar Alonso nicht gelingt, McLaren zurück in den Kreis der Topteams zu führen, ist er gescheitert. Und sein Problem ist, dass das richtig schnell gehen muss.

Honda als Ausrede gibt's nicht mehr ...

Natürlich versucht man da gute Miene zum bösen Spiel zu machen, obwohl eine Sekunde pro Runde fehlt. Drei Jahre lang hat McLaren behauptet, eines der besten Chassis der Formel 1 zu haben, und gnadenlos auf Honda eingeprügelt.

Vom Renault-Motor wissen wir, dass er zwar nicht auf Mercedes-Niveau ist, aber Rennen gewinnen kann. Und trotzdem fehlen im ersten Qualifying der Saison 1,7 Sekunden. Das kann man nur als Misserfolg werten.

Dass sich der kommerzielle Druck durchaus auf das Sportliche auswirkt, konnte man im Rennen beobachten. Alonso fuhr eine befreite erste Runde, in der er gleich mal Landsmann Carlos Sainz außen zu überholen versuchte - etwas, was mit Honda-Power undenkbar gewesen wäre.

Aber schon ein paar Runden später begann er wieder zu nörgeln. Mit dem Energiespeicher könne etwas nicht stimmen, schimpfte er. Der Kommandostand wusste aber nicht, was er damit meint ...

Die Formel 1 ist eigentlich viel zu komplex für schnelle Turnarounds. Aber genau das wird von Eric Boullier und seinem Team verlangt. Keine Aufgabe, um die ich ihn beneide. Sollte der Turnaround 2018 gelingen, bin ich der Erste, der aufsteht und applaudiert. Ehrlich.

Aber der Anfang in Melbourne war nicht so verheißungsvoll, wie man uns gerade zu verklickern versucht.

Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:

Günther Steiner: Es hätte eigentlich das beste Teamergebnis in der noch jungen Haas-Geschichte in der Formel 1 werden sollen. Stattdessen flossen Tränen. Zweimal menschliches Versagen beim Boxenstopp, zweimal der Schlagschrauber verkantet. Auch wenn das vielleicht Ursachen hatte - jetzt heißt es für die gebeutelten Mechaniker fleißig Boxenstopps üben. Damit so etwas in Bahrain nicht noch einmal passiert.

Wenn Haas permanent auf Melbourne-Niveau fahren kann, wird bald kein Hahn mehr nach dem Drama krähen. Aber daran fehlt mir ehrlich gesagt der Glaube.

Toto Wolff: Wenn ein Auto schnell genug ist, um mit 0,7 Sekunden Vorsprung auf den Zweiten auf Pole-Position zu fahren, sollte es eigentlich auch dazu in der Lage sein, einen Doppelsieg zu feiern. Überfahrer Lewis Hamilton hin oder her. Tatsache ist: Mercedes hätte beim Grand Prix von Australien 43 Punkte holen können, stattdessen wurden es nur 22. Das lag ein bisschen an unglücklichen Umständen (im Fall von Hamilton), aber auch sehr stark an Unvermögen (im Fall von Valtteri Bottas).

Toto Wolff muss keine dauerhaften Schlafstörungen haben - dafür ist der Silberpfeil viel zu gut. Aber dass Sebastian Vettel und Ferrari zum Saisonauftakt unnötig ein Sieg (und Momentum) geschenkt wurde, wird den Österreicher zurecht wurmen.

Frank Williams: Das einst so stolze Williams-Team ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Frank Williams, der Ende 1996 keine Skrupel hatte, Damon Hill als frischgebackenen Weltmeister vor die Tür zu setzen, weil er ihn für nicht gut genug hielt, muss das Herz wehtun, wenn er sieht, dass das Nachfolge-Management mit Lance Stroll und Sergei Sirotkin zwar das finanziell lukrativste, aber wahrscheinlich auch das schlechteste Fahrerduo der Formel 1 verpflichtet hat.

Der FW41 ist viel besser als der vorletzte Platz, den Stroll in Melbourne herausgeholt hat. Aber mit diesen Fahrern wird man von diesem technischen Potenzial in der Saison 2018 nicht viel sehen.

Ihr
Christian Nimmervoll

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