• 15. Mai 2017 · 07:57 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Kimi Räikkönen wird in diesem Leben nicht mehr Weltmeister und blickt einer unklaren Zukunft entgegen, analysiert Chefredakteur Christian Nimmervoll

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,

das war's dann also mit der WM-Chance 2017 für Kimi Räikkönen. 55 Punkte Rückstand nach fünf von 20 Rennen, das ist für den "Iceman" nicht mehr aufzuholen. Und so rückt das Ende im Spätherbst seiner Karriere bedrohlich nahe. Im Oktober wird er 38 - und der Ferrari-Vertrag läuft auch aus. Sofern er überhaupt weitermachen will, sind das gleich mehrere Gründe, schlecht zu schlafen.

Zugegeben: Wäre es andersrum und Sebastian Vettel hätte 55 Punkte Rückstand auf Räikkönen, würde ich den Deutschen nach nur einem Viertel der Saison nicht endgültig abschreiben. So rum aber schon. Denn Vettel ist in seiner aktuellen Form der klar bessere Ferrari-Fahrer, und Räikkönen könnte ihn 2017 wahrscheinlich nur schlagen, wenn er von Anfang an das berühmte Momentum auf seiner Seite gehabt hätte. Hat er aber nicht.

Die Tragik an der Geschichte ist, dass Räikkönen, fraglos einer der begnadetsten Formel-1-Fahrer der vergangenen zwei Jahrzehnte, so gute Leistungen zeigt wie schon lange nicht mehr. Das sieht man weniger an den Endergebnissen, aber sehr wohl bei genauerer Betrachtung der Freien Trainings und mancher Qualifyings. Wenn ihn nicht gerade das leidige Untersteuern nervt, ist der Finne auf Augenhöhe mit Vettel. Das war in der Vergangenheit nicht immer so.

2017 so schnell wie schon lange nicht mehr

Ferrari ist zu einem konventionellen Radaufhängungs-Set-up zurückgekehrt. Das kommt Räikkönens Fahrstil ebenso entgegen wie die breiteren Autos mit breiteren Reifen. In schnellen Kurven war er immer schon eine Granate, siehe seine legendären Galavorstellungen besonders in Spa und manchmal in Suzuka. Und weil es in schnellen Kurven anno 2017 noch mehr Können braucht, läuft Räikkönen zu ungeahnter Form auf.

Das hätten ihm viele nicht mehr zugetraut. Ich auch nicht.

Aber so positive Aspekte zu finden und trotzdem in der WM schon fast hoffnungslos zurück zu liegen, das ist ernüchternd. Räikkönen muss einsehen, dass der um acht Jahre jüngere Vettel vielleicht nicht unbedingt mehr Naturspeed hat, aber in Summe der komplettere, bessere Rennfahrer ist. Und daher auch als Nummer 1 bei Ferrari gesehen wird - selbst wenn das niemand offen ausspricht.

Weil ihn Mercedes und Red Bull nicht wollen, kann Räikkönen 2018 nur auf einen Verbleib bei Ferrari hoffen oder in ein kleineres Team wechseln. Letzteres wird er sich als bald zweifacher Familienvater nicht mehr antun - Weltmeister ist er ohnehin schon. Und Ferrari wird ihn zumindest zu der aktuellen Superstar-Gage nicht weiterverpflichten, auch wenn Vettel das sicherlich recht wäre.

Räikkönen: Ende der Karriere naht

"Stranger things have happened before", hat Patrick Head einmal zu mir gesagt. Die Formel 1 ist immer für Überraschungen gut. Wer also könnte Räikkönen bei Ferrari theoretisch beerben?

Daniel Ricciardo, ein Australier mit italienischen Wurzeln, wäre die offensichtlichste Wahl. Nur: Der 27-Jährige hat einen wasserdichten Vertrag mit Red Bull. Genau wie Max Verstappen. Sollte Ferrari einen der beiden Red-Bull-Fahrer wollen, würde man Ablösesumme bezahlen müssen. Und die würde Helmut Marko sicher ziemlich hoch ansetzen.


Fotostrecke: Kimi Räikkönens Top 11 classic Moments

Carlos Sainz wäre theoretisch eine Möglichkeit. Auch auf dem Spanier hat aber Marko die Hand drauf. Das Gerücht, dass Romain Grosjean vom Kundenteam Haas zur Scuderia befördert werden könnte, ist nicht mehr als Wunschdenken des Franzosen selbst. Und wer glaubt, dass Ferrari einen unerfahrenen Rookie wie Antonio Giovinazzi ins Cockpit setzen würde, der träumt.

Bleibt Fernando Alonso. Der sieht sich jetzt schon aktiv nach einem neuen Job für nächstes Jahr um. Mit Porsche-Teamchef Andreas Seidl steht er regelmäßig in SMS-Kontakt. Ob Porsche aber noch lange Le Mans fahren wird, steht in den Sternen (Wiedersehen in der Formel 1?). Bei seinen alten Freunden von Renault hat Alonso bereits vorbeigeschaut. Dort kann man ihm aber kein Siegerauto bieten. Und Mercedes hat Flavio Briatores Drängeln schon vergangenen Dezember abgeblockt.

Ferrari: Sogar Alonso lieber als Räikkönen?

Also Ferrari? Interessant zumindest, dass keiner der Beteiligten eine Rückkehr entschieden dementiert. Vettel/Alonso wäre ein Dream-Team, bei dem Sergio Marchionne die Ohren schlackern müssten. Ob man sich den Politiker Alonso aber nochmal antun würde? Dass es kompliziert werden kann, wenn er einen ebenbürtigen Teamkollegen hat, davon kann Ron Dennis ein Liedchen singen.

Es sagt aber viel über die Zukunftsperspektive von Kimi Räikkönen aus, wenn etwas so Kontroverses wie eine Alonso-Rückkehr von Ferrari überhaupt in Betracht gezogen wird. Denn diese Zukunftsperspektive, die gibt es nicht mehr.

Ich lege mich fest: Räikkönen wird als einmaliger Weltmeister (2007) in Rente gehen. Ob schon 2018 oder erst später, das werden wir mit Spannung beobachten.

Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:

Valtteri Bottas: Hate to say I told you so, aber: Dass Bottas' Sotschi-Triumph eine Eintagsfliege bleiben würde, war von vornherein klar. Die Strecke in Russland ist ihm auf den Leib geschneidert. In Montreal werden wir ihn noch einmal in Bestform erleben, aber die klare Nummer 1 bei Mercedes ist Lewis Hamilton. Bottas wird von Mercedes schon als "Blockas" eingesetzt (Copyright Kollege Dominik Sharaf) - als strategischer Spielball, um Hamiltons Rennen zu unterstützen. Auch wenn man ihm zugutehalten muss: Der Rückstand auf Hamilton ist zwar vorhanden, aber er ist denkbar klein.

Stoffel Vandoorne: Um durchschnittlich sechs Zehntelsekunden pro Q1-Runde hatte Vandoorne bisher das Nachsehen gegen Fernando Alonso. Das sind - selbst für einen Rookie - um drei Zehntelsekunden zu viel. Sogar Rennleiter Eric Boullier zeigt erste Anzeichen von Ungeduld und fordert den Belgier auf, seinen Fahrstil zu ändern. Das Spätbremsen, mit dem er die GP2 dominiert hat, funktioniert in der Formel 1 so nicht mehr. Ein Problem, das es schnell in den Griff zu bekommen gilt. Sonst landen gerade junge Karrieren sehr schnell auf dem Abstellgleis.

Ihr
Christian Nimmervoll

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