Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat
Verschwörungstheorien um Fernando Alonso: Warum er einen Motorschaden vorgetäuscht haben könnte und Renault sein letzter Strohhalm in der Formel 1 ist
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,
wie verzweifelt muss ein Rennfahrer sein, der sein Auto gegen Ende eines Grand Prix abstellt, ohne dass es wirklich kaputt ist? Vorweg: Ich weiß nicht mit Sicherheit, ob Fernando Alonso gestern in Bahrain von einem Motorschaden sprach, ohne dass er wirklich einen hatte. Aber die vom englischen TV-Reporter Ted Kravitz in seinem 'Notebook' entwickelte Theorie ist es wert, sie einmal durchzudenken.
Beginnen wir bei der Frage, was Alonso überhaupt davon hätte. Sicher scheint zu sein: Ihm ist es ein Anliegen, McLaren-Honda ausgerechnet dann am meisten zu demütigen, wenn die allerhöchste Führungsebene zuschaut. Das war in Suzuka 2015 so, als er den Honda-Motor einen "GP2-Engine" schimpfte, und das war gestern so, als er funkte, er sei "noch nie im Leben mit weniger Leistung" gefahren. Dazu muss man wissen: Das McLaren-Team gehört zu 50 Prozent dem Königreich Bahrain.
Nun sprudelt diese leidenschaftliche Funk-Kritik in der Hitze des Gefechts sicher auch aus der Emotion aus dem zweimaligen Weltmeister heraus. Aber Alonso, ein gerissener Politiker, wäre nicht Alonso, würde er nicht genau wissen, welche Wirkung solche Funksprüche haben. Die Japaner sind ein ebenso stolzes Volk wie die Scheichs aus Bahrain. Und denen gezielt Ohrfeigen zu verpassen, damit sie sein Rennauto mit allen Mitteln schneller machen, könnte eine ganz bewusste Taktik sein.
Zehnte Plätze können einen Alonso nicht motivieren
Da würde es dann ins Bild passen, das Auto abzustellen, obwohl es eigentlich noch klaglos läuft. Alonso lag im Rennen in Bahrain unmittelbar hinter Pascal Wehrlein, als er entnervt aufgab. Mit Punkten wär's sowieso nichts mehr geworden. Und dann hat er mutmaßlich mehr als von einem zwölften Platz, wenn er den McLaren-Honda trotzig abstellen und öffentlich weitere Nadelstiche setzen kann. Nach dem Motto: Schaut her, wie schlecht dieses Paket ist.
Alonso will Honda und noch weniger McLaren demütigen; es geht ihm vermutlich eher darum, die obersten Chefs wachzurütteln, damit die sich bei der Ehre gepackt fühlen und alles unternehmen, um das Auto besser zu machen. Denn spannend ist: Während er selbst vom nächsten Motorschaden sprach, wollte das Team das so nicht bestätigen. Angesichts der vielen Probleme am Wochenende habe man sich darauf geeinigt, das Auto abzustellen, lautet das diplomatische Wording.
Ein zweimaliger Weltmeister (und für viele immer noch der beste Fahrer seiner Generation), der in der Form seines Lebens fährt und trotzdem nur um zehnte Plätze kämpft, kann nicht gut schlafen. Alonso erträgt's inzwischen mit einer gewissen Leichtigkeit und Humor. Aber ihm scheint zu dämmern: Das Projekt, McLaren-Honda zur WM-Reife zu führen, wird in diesem Leben nichts mehr. Im Juli wird er 36. Er hat keine weiteren drei Jahre, um geduldig Aufbauarbeit zu leisten.
Indy 500: Wiedergutmachung von Honda?
Die Indy-500-Nummer kann man nicht anders interpretieren als einen verzweifelten Versuch, ihn mit anderen Incentives bei Laune zu halten, wenn man ihm schon in der Formel 1 nicht das bieten kann, was er sich erwartet hatte. Honda, so hören wir, zahlt die vier Millionen Euro Rechnung, die der Spaß kostet. Wahrscheinlich hat McLaren so argumentiert: Lieber Hasegawa-san, ihr habt uns in diese Situation gebracht. Jetzt leistet ihr wenigstens euren Anteil daran, Alonso Argumente für eine Vertragsverlängerung zu liefern. Sonst ist er (spätestens) Ende 2017 weg.
Warum sonst sollte sich Alonso mit Renault-Teamchef Cyril Abiteboul getroffen haben? Renault wird 2018 wahrscheinlich auch nicht um die WM fahren. Aber immerhin ist es ein Werksteam, und es besteht die Hoffnung, dass dort schneller mehr vorangeht als bei McLaren-Honda. Die ersten Schritte sind ermutigend. Nur: Wenn er Weltmeister werden will, wären eigentlich Mercedes, Ferrari oder Red Bull viel naheliegender.
Mercedes wird nicht funktionieren, solange Dieter Zetsche Chef des Daimler-Konzerns ist. Da kann Flavio Briatore noch so oft anrufen. Dass Alonso McLaren-Mercedes 2007 in der Spionageaffäre vor der FIA belastet hat, hat man in Stuttgart nicht vergessen. Und Toto Wolff und Niki Lauda haben wenig Lust dran, sich einen politischen Fahrer ins Team zu holen, zumal man mit Lewis Hamilton ohnehin einen Ausnahmekönner an Bord hat. Ergo: Wird nicht passieren.
Ferrari und Red Bull: Alle Türen zu
Eine Rückkehr zu Ferrari scheint zumindest solange ausgeschlossen, wie Sebastian Vettel dort fährt. Die neue Struktur in Maranello funktioniert. Es wäre kontraproduktiv, wieder alte Elemente ins Boot zu holen, die nicht funktioniert haben. Und Red Bull hat mit Max Verstappen und Daniel Ricciardo zwei potenzielle Weltmeister unter Vertrag. Langfristig. Warum einen davon für Alonso feuern? Wo obendrein auch noch schwer vorstellbar ist, wie Alonso mit Helmut Marko harmonieren würde ...
Bleiben nicht mehr viele Alternativen. Mit Force India, Williams, Toro Rosso, Haas oder Sauber kann niemand in den nächsten Jahren Weltmeister werden. Und alles andere interessiert Alonso nicht. Also Renault. Und die geistige Annäherung an die Tatsache, dass es bei zwei Titeln bleiben könnte. Neue Ziele müssen her. Zum Beispiel, als erster Fahrer seit Graham Hill das berühmte Triple aus Grand Prix von Monaco, 500 Meilen von Indianapolis und 24 Stunden von Le Mans zu gewinnen.
Mehr als ein Viertel unserer Leser glaubt laut aktueller Umfrage, dass Alonso das Indy 500 gleich bei seinem ersten Antreten gewinnen wird. Ein Optimismus, den ich nicht teile. Am "Brickyard" fahren nicht nur Nasenbohrer rum, und der schiere Speed, den Alonso zweifellos hat, entscheidet dort weniger über Sieg oder Niederlage als Faktoren wie Rennintelligenz, ein optimales Set-up für die entscheidende Phase am Ende, Geduld und ein bisschen Hilfe von oben.
Indy 500: Nicht nur Nasenbohrer als Gegner
Mit "von oben" meine ich durchaus auch den lieben Gott (ganz im Ernst!), aber in erster Linie den Spotter und den Mann am Kommandostand. Das wird bei Alonso Michael Andretti übernehmen, ein Fuchs auf seinem Gebiet. Aber zu glauben, dass der Herr Formel-1-Superstar in Indy antanzen und allen zeigen wird, wie man richtig IndyCar fährt, ist eine Illusion. Um Indy zu gewinnen, braucht es vor allem Erfahrung - und die hat er nicht.
Monaco hat er schon gewonnen, Formel-1-Weltmeister war er auch bereits. Porsche hat ihm irgendwann mal einen Sitz angefertigt, für Le Mans, und dass ein talentierter Formel-1-Fahrer dort im richtigen Team gewinnen kann, hat schon Nico Hülkenberg bewiesen. Das Indy 500 wird vom Triple wahrscheinlich die schwierigste Hürde. Und wenn es bei den ersten vier, fünf Anläufen nicht klappt, wird er irgendwann auch für Le Mans zu alt.
Fernando Alonso ist ohne jeden Zweifel einer der besten Rennfahrer seiner Generation. Er könnte genauso gut schon vier WM-Titel haben wie Sebastian Vettel - der Deutsche ist sicher nicht doppelt so gut wie er. Aber die Zeit läuft Alonso langsam davon. Ob seine Nächte deswegen wahnsinnig unruhig sind? Wahrscheinlich nicht. Viel schlimmer ist: Er scheint langsam zu akzeptieren, dass das mit dem dritten Titel nichts mehr wird ...
Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:
Valtteri Bottas: Wer noch Zweifel hatte, bekam gestern den Beweis vorgesetzt: Auch wenn Mercedes es sicher nicht so brutal handhabt wie einst Ferrari mit Michael Schumachers Teamkollegen, ist der Finne bei den Silberpfeilen die Nummer 2. Nach dem peinlichen Dreher von Schanghai antwortete er mit der tollen Pole von Sachir. Aber deren Zauber war rasch verflogen. Nicht nur wegen der Teamorder. Wie machtlos Bottas zuschauen musste, als Lewis Hamilton im letzten Renndrittel eine schnellste Runde nach der anderen fabrizierte, war bezeichnend.
Lawrence Stroll: 80 Millionen US-Dollar soll der Tommy-Hilfiger-Millionär in die Formel-1-Karriere seines Sohnes Lance gesteckt haben. Nicht sein klügstes Investment. Ich selbst war vor Saisonbeginn der Meinung, Stroll jun. könnte (angesichts der geringen Erwartungen) eine der Überraschungen der Saison werden. Ein Urteil, das ich nach drei Rennen revidieren muss. Die kleinen Fehler sind ebenso entschuldbar wie die Beteiligung an den Kollisionen mit Sergio Perez (China) und Carlos Sainz (Bahrain). Aber um wie viel der in die Jahre gekommene Altstar Felipe Massa schneller ist, das sollte zu denken geben. Ein zukünftiger Weltmeister sitzt da jedenfalls nicht im Williams.
Ihr
Christian Nimmervoll
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