• 27. März 2017 · 04:54 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Wie lange noch, bis Fernando Alonso der Geduldsfaden reißt? Nach Melbourne brodelt die Gerüchteküche um den Spanier, McLaren und Honda...

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,

ja, es gibt sie auch 2017, die regelmäßige Kolumne am Montagmorgen nach den Grands Prix, in der wir auf manchmal ernste, manchmal augenzwinkernde Art und Weise einen "Verlierer des Wochenendes" küren. Und dafür kann's nach diesem Grand Prix in Melbourne eigentlich nur einen geben: Fernando Alonso.

Dass er bis zum Schluss um WM-Punkte kämpfen konnte, muss nach den Wintertests als Riesenerfolg für McLaren-Honda gewertet werden. Aber Alonso hat schon am Samstag gesagt: Ein, zwei Punkte ändern mein Leben nicht. Für ihn steht nach Melbourne nicht im Vordergrund, dass das Auto zwischen letztem Test und erstem Rennen Fortschritte gemacht zu haben scheint. Für den 35-Jährigen zählt nur eins: dass es nach einem weiteren verschleuderten Jahr in seiner Karriere aussieht - und davon gibt es nicht mehr viele.

Erfolglose Odyssee: Zu McLaren und zurück

Es ist ein Drama, dass dieser Ausnahmekönner nun im elften Jahr hintereinander nicht Weltmeister werden kann. Selbst Michael Schumacher, dessen erster Ferrari-Titel eine gefühlte Ewigkeit auf sich warten ließ, musste nach dem Weggang von Benetton nur vier erfolglose Jahre aushalten.

Bei Alonso folgte auf das relativ erfolgreiche, aber letztendlich ungekrönte und vor allem von internen Streitereien geprägte McLaren-Mercedes-Jahr 2007 eine zweijährige Rückkehr zu Renault, die von Anfang an als Übergangsphase betrachtet und aus der letztendlich auch nicht mehr als das wurde. Dann war er bei Ferrari ein paar Mal knapp dran; am knappsten gleich im ersten Versuch, 2010. Und seit 2015 fährt er auf McLaren-Honda hinterher. Hoffnungslos.

Fühlte sich Alonso 2016 noch dazu verpflichtet, zumindest bei öffentlichen Auftritten gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so verliert er dieser Tage zunehmend die Geduld. Am Donnerstag wurde er im großen Rahmen der FIA-Pressekonferenz gefragt, was denn sein größter Wunsch für die Formel 1 sei. Antwort: Gleiche Motoren für alle. Lewis Hamilton, Alonsos McLaren-Rivale von 2007, inzwischen jedoch einer seiner besten Freunde im Fahrerlager, trat nach: Aber bitte nicht Honda!

So eine öffentliche Schmach tut den stolzen Japanern im Herzen weh.

Und wenn Alonso nach dem Rennen im Albert Park sagt, dass er vielleicht gerade die beste Leistung seiner Karriere abgeliefert hat, dann will er damit nicht ausdrücken, dass er sich in Topform befindet. Sondern er will damit Honda eine reinwürgen: Seht her, einer der besten Fahrer der Welt fährt mit eurer lahmen Kiste selbst an einem seiner besten Tage hinterher.

Die große Frage nach Melbourne 2017 ist: Wie lange noch, bis Alonso der Geduldsfaden reißt?

Loyalität existiert nur noch in der Außendarstellung

Aus erster Hand wissen wir, dass sein Manager Flavio Briatore noch am Tag von Nico Rosbergs Rücktritt alle Hebel in Bewegung setzte, um seinen Schützling bei Mercedes unterzubekommen. Toto Wolff war von den ständigen Anrufen schon so genervt, dass er während der FIA-Weltmeister-Gala für Rosberg Sitznachbar Bernie Ecclestone sein Handy in die Hand drückte. Der sagte augenzwinkernd: "Flavio, lass Toto endlich in Ruhe!"

Loyalität gegenüber McLaren und Honda bekundet Alonso nur nach außen. Hinter vorgehaltener Hand hört man: Er versucht alles, um wegzukommen. Den Glauben, dass die Partnerschaft noch auf die Siegerstraße finden wird, hat er längst verloren. Würden Mercedes oder Red Bull anrufen, Alonso wäre von heute auf morgen weg.

Dabei steht sein Talent nicht im Geringsten in Frage. Denn wer einen kommenden Superstar wie Stoffel Vandoorne, den die meisten Teamchefs für den besten Nachwuchsfahrer der vergangenen Jahre halten (ja, Max Verstappen eingeschlossen), derart in Grund und Boden fahren kann, der hat das Autofahren noch lange nicht verlernt.

Vielleicht bekommt er 2018 endlich den ersehnten Mercedes-Motor, wenn auch im McLaren-Chassis. Denn Rennleiter Eric Boullier arbeitet hinter den Kulissen gerade am Masterplan, Exklusivpartner Honda semi-freundschaftlich zu Sauber abzuschieben. Monisha Kaltenborn wäre gewiss interessiert. Die Japaner buttern nämlich Millionen-Unsummen in ihr Formel-1-Programm, die man in Hinwil gut gebrauchen könnte - und Letzter ist Sauber so oder so.

Aber um dieses Tauschprojekt in die Tat umzusetzen, muss Boullier erst Niki Lauda überzeugen. Der, so hört man, ziert sich noch, während Kollege Wolff längst dafür sein soll. Spannend: Als es darum ging, Red Bull mit Mercedes-Power zu beliefern, war die Rollenverteilung der beiden genau andersrum...

Es ist Alonsos letzter Hoffnungsschimmer bei McLaren. Auch wenn öffentlich etwas ganz anderes gesagt wird: Vom Zeitpunkt der Unterschrift bis zum tatsächlichen Motorenwechsel würde es im Idealfall nur acht Wochen dauern, hören wir aus McLaren-Kreisen.

Zu spät, um 2017 Weltmeister zu werden. Auch zu spät, um Alonso doch zu halten?

Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:

Zak Brown: Der Racing-verseuchte Marketing-Guru betont zwar stets seine gute persönliche Beziehung zu Vorgänger Ron Dennis, in Wahrheit hat er dessen mühsam aufgebautes Lebenswerk aber binnen weniger Wochen komplett eingerissen. McLaren hat über den Winter nicht nur einen neuen Chef, sondern auch eine neue (orange) Identität bekommen. Die Erfolge bleiben trotzdem aus - laut Starfahrer Alonso ist McLaren derzeit das schlechteste Team der Formel 1. Und Browns fragwürdige Doppelrolle als Teamchef und "Big Player" in einem der größten Medien-Netzwerke des Motorsports hat bis auf den tapferen Journalisten Joe Saward noch niemand hinterfragt. Das wird spätestens dann losgehen, wenn McLaren unmittelbaren Konkurrenten erstmals einen Sponsor wegschnappt. Das könnte dann nämlich Stand heute weniger an sportlichem Erfolg als an möglichen begleitenden PR-Kampagnen auf gewissen Plattformen liegen.

Foto zur News: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Seit dem legendären "Podium" 2002 warten die "Aussies" auf eine Sternstunde Zoom Download

Daniel Ricciardo: Die Australier und der Albert Park, das ist keine Liebesbeziehung. Seit 1996 wird dort gefahren. Zwischen 2002 und 2013 war Mark Webber der große "Local Hero"; seit 2011 ist Ricciardo bei seinem Heimrennen am Start. Und genauso wenig wie seinerzeit für Webber will es nun für ihn mit dem erlösenden Sieg vor eigenem Publikum klappen. Er sei froh, wenn er jetzt bald abhauen kann, meinte er nach dem Ausfall. Noch bitterer: Ricciardo hatte wenige Tage vor Melbourne gesagt, 2017 sei seine bisher beste Chance, Weltmeister zu werden. Danach sieht es nun nicht mehr aus. Red Bull ist dritte Kraft - wenn auch nach erst einem von 20 Rennen.

Pascal Wehrlein: Der 22-jährige Deutsche kann einem fast leidtun. Erst gegen Esteban Ocon im Kampf um das Force-India-Cockpit den Kürzeren gezogen, dann den sicher geglaubten Mercedes-Drive verloren, schlussendlich auch noch der Crash beim Race of Champions, Trainingspause, Startverzicht in Melbourne. Die einen sagen dazu: Nigel Mansell hätte sich durchgebissen. Die anderen sagen: Smart, dem Team in jenem Rennen, in dem WM-Punkte vielleicht am leichtesten zu erobern sind, nicht von vornherein jede Chance auf ein Topresultat zu rauben. Und besorgniserregend: Wenn der Ersatzfahrer wie eine Granate einschlägt - und auch noch offizieller Junior des Sauber-Motorenpartners ist. Vom Mercedes-Kandidaten ins Formel-1-Abseits: Hoffentlich bleibt das nicht Wehrleins Story 2017.

Ihr
Christian Nimmervoll

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