• 07. März 2017 · 11:48 Uhr

Kolumne: Die Formel 1 muss auf die La Rambla!

Was von einem Winter ohne Formel 1 hängen geblieben ist und warum die modernen Car-Launches auf Social Media eine verschenkte Chance sind

(Motorsport-Total.com) - Hallo, liebe Formel-1-Fans,

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Riesenbegeisterung bei der Formel-1-Parade in der Innenstadt von London Zoom Download

für mich war der vergangene Winter im Nachhinein betrachtet ein spannendes Experiment. Denn seit der FIA-Gala am 2. Dezember in Wien hatte ich mit den täglichen redaktionellen Aufgaben wenig am Hut (weil ich diese bei meinen Kollegen ohnehin in guten Händen weiß). Also schlüpfte ich fast drei Monate lang in die für mich ungewohnte Rolle des Beobachters, der nicht jeden Tag dutzende Formel-1-Headlines auf verschiedensten Fachportalen liest, sondern stattdessen im Alltag eines "normalen Menschen" nur das konsumiert, was auf irgendeine Art und Weise den Mainstream erreicht.

Und das war nicht viel. Das Thema des zweiten Mercedes-Cockpits poppte dann und wann mal auch in den großen Tageszeitungen auf, und als es dann Valtteri Bottas wurde und nicht Pascal Wehrlein, war das insbesondere in Deutschland und Finnland ein Thema. In meiner österreichischem Heimat auch - aber wohl vor allem aus dem einen Grund, weil mit Toto Wolff und Niki Lauda bei Mercedes zwei Landsleute das Sagen haben.

Dann war da noch James Allison, der neue Technische Direktor bei Mercedes, und Paddy Lowe, der von den Silberpfeilen zu Williams wechselt. Und natürlich - am allerwichtigsten - die Entmachtung von Bernie Ecclestone, die ziemlich hohe Wellen schlug, weit über die Grenzen der Formel 1 hinaus. Das lag auch daran, dass Bernie - ob ihm das nun gefällt oder nicht - längst nicht nur in der Fachpresse ein Thema ist, sondern auch den Boulevard interessiert. Die Wachablösung nach vier Jahrzehnten war ein Medienereignis, das es sogar zur eigenen Frage in der Österreich-Ausgabe von "Wer wird Millionär?" ("Die Millionenshow") schaffte.

"Winterschlaf" wirkt der Übersättigung entgegen

Aber sonst? Fehlanzeige. Und, nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Das ist auch gut so!

"Die Formel 1 tut gut daran, kein Ganzjahresevent zu sein."Christian Nimmervoll
Die Formel 1 tut gut daran - davon bin ich felsenfest überzeugt -, kein Ganzjahresevent zu sein, sondern sich auf maximal acht Monate Rennbetrieb zu beschränken. Eine völlige Übersättigung des Markts, wie ihn etwa die UEFA mit ihrer Champions League praktiziert, wäre ein Fehler. Denn während der Fußballfan natürlich nicht alle Spiele einer Saison konsumiert, sondern sich vor allem auf die Matches seines Lieblingsklubs oder der Vertreter aus dem eigenen Land konzentriert, ist es für den "Flow" einer Grand-Prix-Saison wesentlich entscheidender, von Melbourne bis Abu Dhabi jedes einzelne Rennen zu verfolgen.

Mag sein, dass der eine oder andere nur Klassiker wie Monaco, Monza oder Singapur schaut, und vielleicht noch Montreal, weil der Kanada-Grand-Prix (fast) zur besten Sendezeit stattfindet. Aber wer zwischendurch mal fünf Events auslässt und dann wieder einsteigt, der hat mehr verpasst als ein Fußballfan, der bei der Champions League die Gruppenphase überspringt.

Zu viel Formel 1 wird auf Dauer Fans kosten

Daraus leite ich ab: 20 Rennen - noch besser 18 - sind das Maximum, das die Formel 1 (und ihr Fan) verträgt. Denn irgendwann kann der Familienvater nicht mehr rechtfertigen, am Sonntagnachmittag stets drei Stunden lang vor der Glotze zu hocken anstatt mit seinen Kids im Freibad zu planschen. Und wenn der Streit mit der Frau mal ausgebrochen ist und sich der Herr Papa entscheidet, nur noch jedes dritte oder vierte Rennen zu schauen, hat man ihn in Wahrheit schon verloren.


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Randnotiz: Natürlich ist mir bekannt, dass immer mehr Frauen Formel 1 schauen - die klischeebehaftete Formulierung des vorangegangenen Absatzes möge man mir nachsehen. Allerdings ist die Userstruktur zumindest in unserem DACH-Markt (Deutschland, Österreich, Schweiz) immer noch stark männlich dominiert.

Nur in einem Punkt finde ich, dass die Formel 1 ruhig ein bisschen mehr machen könnte, dass sie ein bisschen mehr Trommelwirbel veranstalten sollte - und ihr das nicht schaden, sondern nutzen würde.

Spice Girls, Alonso in Valencia und Sugababes

Dazu muss man wissen: Die Launches der neuen Autos waren noch vor zehn Jahren gigantische Medienereignisse. Ferrari lud jedes Mal hunderte Journalisten nach Maranello ein, McLaren holte einmal die Spice Girls in die Royal Albert Hall und riegelte ein anderes Mal halb Valencia ab, und selbst ein Mittelfeldteam wie Sauber leistete sich am Hangar-7 in Salzburg die Sugababes, um die Hüllen vom Renner für die neue Saison zu ziehen.

"Auf der einen Seite Kurzarbeit und auf der anderen Seite Spice Girls und Kaviar, das verträgt sich in der Außendarstellung nicht so gut."Christian Nimmervoll
Das war, zugegeben, etwas zu viel Geklotze. Vor allem zu teuer, denn nachdem die Lehman Brothers die Weltwirtschaft in die Krise gestürzt hatten, waren solche opulenten Feste aus Sicht der Vorstände der großen Konzerne erst mal nicht mehr zu rechtfertigen. Nicht, dass das Geld nicht da gewesen wäre - aber auf der einen Seite Kurzarbeit und auf der anderen Seite Spice Girls und Kaviar, das verträgt sich in der Außendarstellung nicht so gut.

Aber die wichtige Botschaft ist: Auf Portalen wie den unseren war der Launch des neuen Ferrari oder McLaren in jenen Jahren DAS Ereignis des Jahres, mit teilweise deutlich (!) höheren User-Reichweiten als Saisonauftakt- und -finale. Jeder wollte die ersten Fotos von den neuen Boliden sehen und jeder wollte genau erklärt bekommen, welche neuen Technologien sich dahinter verbergen. Rory Byrne und Paolo Martinelli verrieten damals keine geheimen Details, die für die Konkurrenz von Belang gewesen wären. Aber sie referierten in Medienrunden ausführlich über die Gedankenansätze hinter ihren neuesten Schöpfungen. Von den Fans wurden diese Inhalte regelrecht verschlungen.

Teams umschiffen mit Social Media die klassischen Medien

Anno 2017 sind die Car-Launches deprimierende Non-Ereignisse geworden. Medienvertreter werden in vielen Fällen komplett ausgesperrt, die Fans stattdessen mit 140-Zeichen-"Analysen" in sozialen Netzwerken abgespeist. Die zensierten Fotos, die verbreitet werden, sind ein schlechter Witz - schon beim ersten Test, nur ein paar Tage später, sind die Flügel meist nicht wiederzuerkennen. Und technische Analysen von Experten werden immer schlechter, weil diese kaum noch Hintergrundmaterial an die Hand bekommen, das ihnen als Grundlage dienen könnte.


Fotostrecke: Formel-1-Technik 2017: Highlights der Tests

Damit schießt sich die Formel 1 selbst ins Knie, weil sie mit das größte Reichweitenpotenzial des Jahres stümperhaft verschenkt.

Viel sinnvoller wäre doch etwas ganz anderes: Wenn Ferrari, Mercedes und Co. ohnehin schon zu den ersten Tests nach Barcelona fliegen, dann könnte man doch genauso gut die neuen Autos einmal in die City schieben und Lewis Hamilton und Kollegen Team by Team über die La Rambla donnern lassen, vor atemberaubender Kulisse und tausenden Menschen, die zufällig da sind, sich eigentlich nicht für die Formel 1 interessieren - aber es danach vielleicht tun.

Formel-1-Launch auf der La Rambla mit atemberaubenden Bildern

Ich hatte bei der Formel E 2016 in Paris ein Aha-Erlebnis, als ich mit meiner Freundin auf einem dieser Hop-on-Hop-off-Busse unterwegs war und dessen Route am Tag vor dem Rennen plötzlich unverhofft mitten durch die Boxengasse führte. Es passierte etwas Interessantes: Sowohl 14-jährige Teenager als auch angehende Rentner standen plötzlich begeistert auf, um zu ihren Smartphone-Kameras zu greifen. Plötzlich war die Formel E ein heißes Thema bei Menschen, die vermutlich davor nicht einmal wussten, was Formel E überhaupt ist.

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Formel 1 in der City: Selbst in Moskau kamen zehntausende Fans Zoom Download

Diesen Effekt könnte sich auch die Formel 1 mit einer Team-by-Team-Präsentation in der City von Barcelona zunutze machen. Und abgesehen von den paar tausend Hanseln, die sich an einem Samstagabend auf der La Rambla rumtreiben, würde man außerdem noch ein Millionenpublikum über klassische Medien wie TV und Internet abstauben, weil an den atemberaubenden Bildern selbst Mainstream-Anstalten nicht vorbeikommen würden. Der eine oder andere wäre vielleicht sogar dazu bereit, für einen offiziellen Live-Stream auf Formula1.com zu bezahlen.

Ein solcher Formel-1-Launch wäre ein tolles Ereignis. Dankbar für uns Medienvertreter, weil wir nicht für jede Teampräsentation anfallende Reisekosten hätten, sondern nur einmal anreisen müssten. Und man könnte auf einer Showbühne jeden Fahrer und Teamchef zu Wort kommen lassen, sodass jedes einzelne Team, und sei es noch so klein, Präsenz erhalten würde. Denn sind wir mal ganz ehrlich: Der neue Sauber wird mit geringerer Wahrscheinlichkeit in den Abendnachrichten landen als eine solche Formel-1-Show der Superlative.

Abstand tut gut, um neue Ideen zu entwickeln

Ross Brawn will die lästigen Flossen loswerden. Er will DRS loswerden. Er ist ein schlauer Mann und denkt in die richtige Richtung. Aber vielleicht verirren wir uns bei diesen Themen schon wieder viel zu sehr im Insider-Tunnel. Vielleicht ist es an der Zeit, mal zur Seite zu treten und sich die Formel 1 von außen anzuschauen. Und dann ganz neue Ideen zu entwickeln.

Ihr
Christian Nimmervoll

PS: Unser Aprilscherz, dass man doch Metallstreifen an den Unterboden schrauben könnte, um künstlich spektakulären Funkenschlag zu generieren, hat es wenig später tatsächlich in die Formel 1 geschafft. Vielleicht lässt sich Liberty Media ja auch mal von einem ernst gemeinten Vorschlag unsererseits inspirieren und eröffnet die Formel-1-Saison 2018 tatsächlich mit einem Launch-Event im Vorfeld des ersten Wintertests in der City von Barcelona. Auf eine etwaige Ideenprovision würden wir großzügig verzichten... ;-)

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