• 05. September 2016 · 08:46 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Rosberg, Hamilton, Vettel: Das komplette Monza-Podium hat Gründe, nicht zufrieden zu sein, aber am schlechtesten schläft momentan jemand anderer...

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,

das Konzept dieser Kolumne ist es, einen klaren Verlierer des vergangenen Formel-1-Wochenendes im metaphorischen Sinn schlecht schlafen zu lassen. Aber einen klaren Verlierer auszumachen, das ist mir schon mal leichter gefallen als nach dem Grand Prix von Italien in Monza. Selbst von den Top 3 hat zwar jeder irgendeinen Grund, nicht hundertprozentig happy zu sein, aber so richtig in die Hose gegangen ist Monza eigentlich auch bei niemandem.

Und so fällt die Wahl diesmal, nach ein wenig kreativem Brainstorming, auf Frank Williams.

Nach der Seuchen-Saison 2013 (Neunter in der Konstrukteurs-WM) ging es ab 2014 wieder aufwärts für das einst so erfolgsverwöhnte Team aus Grove. Neun Podestplätze ließen 2014 auf eine Renaissance hoffen; 2015 durften Valtteri Bottas und Felipe Massa immerhin noch viermal einen Pokal mit nach Hause nehmen. 2016 bisher erst einmal, und in der Konstrukteurs-WM liegt man Kopf an Kopf mit Force India. Das kann eigentlich nicht der Anspruch von Williams sein.

Im Jahr drei der Hybrid-Ära kommt man langsam zur Einsicht: Der Williams-Aufschwung 2014/15 war weniger das Resultat überragender Arbeit im Aero-Bereich, sondern vor allem dem überlegenen Mercedes-Antrieb geschuldet. Aber Renault hat inzwischen große Fortschritte gemacht, sodass Red Bull meilenweit enteilt ist, und Ferrari ist sowieso schon länger außer Reichweite.

Wenn Bottas nicht einmal Daniel Ricciardo hinter sich halten kann, in einem Highspeed-Tempel wie Monza, dann mag das, im konkreten Fall gestern, an den härteren Reifen liegen, die weniger Grip haben. Es mag an den stärker abgenutzten Reifen liegen (um fünf Runden). Vielleicht ist es aber auch ganz einfach ein Zeichen dafür, dass der Williams-Zauber von 2014/15 endgültig verflogen ist. Denn jedem Experten ist klar: In Singapur wird's nicht besser werden als in Monza.

Kurzzeitig sah es so aus, als würde Frank Williams noch einmal einen Grand-Prix-Sieg seines Teams erleben. Einen echten, aus eigener Kraft herausgefahrenen - keine Eintagsfliege wie die Galavorstellung von Pastor Maldonado in Barcelona 2012. Aber die nüchterne Wahrheit ist: Seit der Trennung von BMW am Ende der Saison 2005 boxt Williams nicht mehr in der gleichen Gewichtsklasse wie die großen Werksteams.

An den Ressourcen kann das nicht liegen. 525 Mitarbeiter sind zwar bei weitem nicht auf Ferrari- oder Mercedes-Niveau, aber genug, um mit klugen Köpfen und smarten Ideen konkurrenzfähig zu sein. Ein bisschen Geld sollte eigentlich auch da sein, dank Großsponsoren wie Martini, Rexona, Randstad oder Petrobras.

Pat Symonds gilt als technischer Williams-Mastermind. Sein erfolgreicher Ruf eilt ihm voraus: Mit Benetton/Schumacher wurde er ebenso Weltmeister wie mit Renault/Alonso. Aber die Weltmeister-Autos hauptverantwortet haben damals andere, nämlich Rory Byrne beziehungsweise Bob Bell. Und auch Rob Smedley stand bei Ferrari als Renningenieur von Felipe Massa meist auf der Verlierer- statt auf der Gewinnerseite.

Den Williams-Niedergang an den beiden festzumachen ist, zugegeben, hochgradig unfair. Sowohl Symonds als auch Smedley sind im Paddock angesehene, höchst kompetente Ingenieure. Aber Symonds ist kein Adrian Newey, und Smedley kein Ross Brawn. Leute von solchem Format würde es vermutlich brauchen, um den Turnaround zu schaffen und mit den reichen Werksteams (dauerhaft) auf Augenhöhe zu fighten.

Claire Williams ist auch kein Frank Williams, sie ist kein Patrick Head. Sie ist netter. Vielleicht zu nett. Sicher geeignet, um ein mittelständisches, börsennotiertes Unternehmen zu repräsentieren und delegieren. Womöglich nicht geeignet, um ein mittelständisches Formel-1-Team wieder an die Spitze zu bringen. Dafür würde es eher ein Schlitzohr a la Flavio Briatore brauchen, das keine Scheu vor schmutzigen Tricks hat.

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Lance Stroll könnte 2017 Williams-Teamkollege von Valtteri Bottas werden Zoom Download

Ob die Regelreform 2017 eine Chance für Williams ist? Ich zweifle vorsichtig. Und die Wunschfahrer werden auch nicht im Cockpit sitzen. Jenson Button bleibt lieber McLaren-Reservist, als für Williams Rennen zu fahren, und Sergio Perez hat mit seinen Mexiko-Millionen angeblich erneut bei Force India unterschrieben. Bleibt Lance Stroll. Der hat viel Geld und ein bisschen Talent. Die Formel 1 könnte für ihn aber zu früh kommen. Und Felipe Nasr, bei Sauber selbst gegen Marcus Ericsson kein klarer Sieger, kann für ein Team, das Weltmeister werden will, nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Es ist lange her, seit Williams zum letzten Mal Champion war. 1997 war das, mit Jacques Villeneuve. Für Frank Williams wird es wahrscheinlich der letzte Titel bleiben. Leider.

Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:

Nico Rosberg: Ausgerechnet den Sieger schlecht schlafen zu lassen, mag auf den ersten Blick paradox anmuten. Ja, es läuft für Rosberg: Sieg in Spa, Sieg in Monza, Rückstand von 19 auf zwei Punkte verkürzt. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er auch nach der Sommerpause der langsamere Mercedes-Fahrer ist. Die Klatsche, die ihm sein Teamkollege im Qualifying verpasst hat, tut weh. Rosberg war schon ganz weg, jetzt ist er wieder ziemlich da. Aber selbst sein eigener Berater Gerhard Berger weiß: An seinen guten Tagen ist Lewis Hamilton unschlagbar.


Nach Monza-Rennen: Rosberg steckt fest

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Der Mercedes-Pilot mit seiner Videobotschaft und Boss Toto Wolff auf der Rollbahn Weitere Formel-1-Videos

Lewis Hamilton: Wer das ganze Wochenende so deutlich dominiert, den Teamkollegen in praktisch jeder einzelnen Kurve abhängt, das Qualifying überlegen gewinnt, im klar besten Auto sitzt und dann trotzdem nur Zweiter wird, der kann eigentlich nicht gut schlafen. Hamiltons Lächeln auf dem Podium wirkte gequält. Trotzdem spricht vieles für ihn: Die Motorenstrafe-Sorgen ist er für dieses Jahr los - und in der WM liegt er trotzdem noch vorne. Über den selbst verspielten Sieg in Monza wird ihn der vierte Titel hinwegtrösten.

Sebastian Vettel: Es muss das Größte sein, als Ferrari-Fahrer in Monza auf DIESEM Podium stehen zu dürfen. Aber in der eigentlich ganz leckeren Minestrone schwimmen ein paar Haare. Denn Ferrari ist, obwohl vor Monza auch die letzten Motoren-Token investiert wurden, gegenüber Mercedes unterlegener denn je. Vettels Boxencrew war im Rennen beide Male langsamer, als sie hätte sein sollen. Und Technikchef James Allison, auf den die letzten Jahre aufgebaut wurden, ist weg. Vor zwölf Monaten wäre es noch ein Erfolg gewesen, in Monza auf dem Podium zu stehen und WM-Vierter zu sein. Jetzt nicht mehr.

Ihr
Christian Nimmervoll

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