Kolumne: Was den Mercedes-Crash wirklich ausgelöst hat
Die Analyse: Ein Bedienfehler war die ursprüngliche Ursache für den Crash, den sowohl Nico Rosberg als auch Lewis Hamilton verhindern hätten können
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,
der spektakuläre Crash der beiden Mercedes-Stars am vergangenen Sonntag in Barcelona beschäftigt die Formel 1 immer noch. Über die Kollision an sich kann man geteilter Meinung sein. Die einen sagen, Lewis Hamilton hätte sich, gerade gegen den Teamkollegen, nicht schon in der allerersten Runde daneben drängeln müssen. Die anderen sagen, so aggressiv, wie Rosberg die Tür zugeschlagen hat, das war teamintern zu viel. Vermutlich wollte er einen Punkt setzen: So nicht mit mir! Nicht mehr.
Beide Argumentationslinien sind für mich nachvollziehbar.
Aber der Punkt ist: Auch wenn beide die Kollision verhindern hätten können, ausgelöst hat sie Rosberg. Unabsichtlich.
In der Aufwärmrunde befinden sich beide Fahrer, wie üblich, in einem Motorenmodus, der zum Beispiel auch während einer Safety-Car-Phase aktiviert wird. Um Sprit zu sparen, um die Hybrid-Batterie aufzuladen. So weit, so gut. Aber am Start muss der Fahrer dann vier bis fünf Einstellungen am Lenkrad selbst vornehmen, um in den normalen Startmodus für das Rennen zu wechseln. Dabei vergisst Rosberg, den Safety-Car-Modus zu deaktivieren.
Mercedes wusste vor dem Start Bescheid
Rosbergs Renningenieur Tony Ross sieht das über die Telemetrie, darf aber nicht via Funk eingreifen. Es erfordert große Disziplin, alte Instinkte zu überwinden und dem Fahrer in so einer Situation nicht zu helfen. Die FIA hat das unterbunden, indem der Funkverkehr streng limitiert wurde, um die Fahrer wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken.
Rosberg geht dann noch vor der ersten Kurve an Hamilton vorbei in Führung. Mitten in der Kurvenkombination merkt er aber, dass etwas nicht stimmt. Ein rotes Licht blinkt, weil das Hybridsystem Energie auflädt. Dadurch fehlen 160 PS, und Hamilton hat plötzlich mehr Schwung. Rosberg drückt verzweifelt den Überholknopf, um den Hybrid-Boost zu aktivieren. Der ist aber im Safety-Car-Modus gesperrt. Kurz bevor die beiden kollidieren, beträgt der Geschwindigkeitsunterschied 17 km/h.
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Man kann nur mutmaßen, dass beide Fahrer über diesen Geschwindigkeitsunterschied überrascht waren. Rosberg, weil ihm vermutlich noch nicht klar war, dass er einen Bedienfehler gemacht hat. Hamilton, weil er nach der verlorenen ersten Kurve völlig unerwartet viel schneller auf die vierte Kurve zusteuerte. Der Instinkt des Rennfahrers sagt in so einer Situation nicht: Vom Gas gehen, nichts riskieren! Der Instinkt sagt: Ich muss da jetzt vorbei! Zumal er sonst auch von hinten unter Druck geraten wäre.
Der Punkt ist: Diese Verkettung unglücklicher Umstände wurde durch Rosbergs Bedienfehler ausgelöst.
Das muss man bei Mercedes teamintern wissen, aber man sagt es so deutlich nicht in der Öffentlichkeit. Weil man aus Spa-Francorchamps 2014 gelernt hat und diesmal von zu allzu klaren Schuldzuweisungen Abstand nimmt, um das Pulverfass nicht explodieren zu lassen. Nur Niki Lauda hat sich in einer ersten Reaktion vor laufenden Kameras gleich auf Rosbergs Seite geschlagen, lange bevor er alle Hintergründe gekannt haben konnte.
Fahrer zunächst einzeln bearbeitet
Nach dem Zwischenfall gab es ein erstes Krisenmeeting im Mercedes-Truck. Toto Wolff, Paddy Lowe und Ron Meadows knöpften sich die beiden Fahrer in Einzelgesprächen vor. Irgendwann etwas später kamen, das war im TV zu sehen, Lauda und Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber dazu. Als die ersten Emotionen beruhigt waren und man sich auf eine Kommunikationslinie geeinigt hatte, ging es erst mal zum Hearing bei den FIA-Rennkommissaren. Die befanden: Rennunfall, keine Strafen notwendig.
Nach dem Hearing und den ersten Interviews ging es noch einmal in ein Meeting, um offene Details zu besprechen. Was dabei genau diskutiert wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Ansonsten wird es vor Monaco aber keine weiteren Krisenmeetings geben. Für mich nachvollziehbar: Dass die beiden Fahrer die Schuld beim jeweils anderen sehen, wird sich vermutlich nicht ändern. Und gegenüber den Medien - und das ist das Wichtigste - wissen sie sich zu benehmen.
"Die Sache ist durch", wird Lauda von der 'Daily Mail' zitiert. "Für mich gibt es nichts mehr zu tun. Wir brauchen keine Gespräche, um reinen Tisch zu machen. Wir hoffen einfach, dass solche Fehler in Zukunft nicht mehr passieren werden."
Rosberg sagt, mit einem Tag Abstand: "Das am Sonntag ist nicht gut gelaufen, aber unser Verhältnis bleibt so, wie es davor war." TV-Experte Martin Brundle merkt süffisant an: "Also nicht gut." Rosberg weiter: "Ich denke gar nicht mehr dran. Für mich ist das Schnee von gestern und es überrascht mich, dass noch darüber geredet wird. Okay, ich verstehe das. Aber für mich ist das Thema erledigt." Ein Luxus, den man sich leisten kann, wenn man trotz Kollision 39 WM-Punkte Vorsprung auf den ersten Verfolger hat.
Warum die Kollision gar nicht schadet
Bei Mercedes weiß man, dass man sich eine Kollision pro Jahr bei der aktuellen Überlegenheit erlauben kann. In Wahrheit ist das sogar gut für die Show, es generiert Interesse an der Formel 1, es ist somit auch irgendwie gut für das Team - zumindest mit ein bisschen Fantasie. Die größte Herausforderung ist nun: Erstens, dass es nicht wieder passiert. Zweitens, dass die Harmonie zwischen Rosberg und Hamilton nicht so stark beschädigt ist, dass einer am Jahresende gehen muss.
Rosberg wird, just nach Barcelona, ein "sensationeller Flirt" mit Ferrari nachgesagt. Vermutlich nur eine strategische Spielerei, bewusst nicht klar dementiert, um sich für die Vertragsverhandlungen mit Mercedes in Position zu bringen.
Wie es in Hamiltons Innerem aussieht, darüber können wir nur spekulieren. Wer gesehen hat, wie sein Lenkrad durch die Luft geflogen ist, der muss annehmen: Die öffentliche Entschuldigung in den ersten Interviews war nicht seine Idee, sondern wurde ihm von Teamseite "empfohlen". "Es überrascht mich, dass sich Lewis entschuldigt hat", sagt Brundle. "Meiner Meinung nach war er nicht schuld dran. Maximal 50:50."
Aber wenn das Verhältnis nach Spa-Francorchamps 2014 zu kitten war, dann wird das auch diesmal möglich sein. "Sie sind reife Charaktere. Ja, sie hatten auf der Strecke einen Crash, aber ich sehe keinen Grund, warum sie nicht im gleichen Team weitermachen können", sagt der ehemalige Williams-Boss Patrick Head, der in seiner Zeit einige ähnlich knisternde Fahrerpaarungen zu managen hatte. "Ich halte das für eine Überreaktion."
Das sehe ich genauso.
Ihr
Christian Nimmervoll
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