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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat
Da, wo große Champions geboren werden, gibt es immer auch Kollateralschäden - und Daniel Ricciardo muss nach Barcelona fürchten, genau so einer zu werden...
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,
© Red Bull
Daniel Ricciardo gratuliert Max Verstappen zu dessen erstem Sieg in Barcelona Zoom Download
die ganz großen Champions der Formel-1-Geschichte haben allesamt eins gemeinsam: Sie brauchen nicht viel Zeit, bis sie erstmals nach den Sternen greifen.
Das war bei Ayrton Senna so, als er 1984 in Monaco gleich im sechsten Formel-1-Rennen seiner Karriere den unterlegenen Toleman zum zweiten Platz prügelte, oder in Estoril 1985, als er im erst zweiten Rennen im damaligen Topteam Lotus seinen ersten Grand Prix gewann und von den Medien "Magic" getauft wurde.
Das war bei Michael Schumacher so, als er 1991 in Spa-Francorchamps quasi über Nacht in Bertrand Gachots Jordan einstieg und diesen auf den siebten Startplatz stellte, fast eine Sekunde vor seinem viel erfahreneren Teamkollegen Andrea de Cesaris. Und ein Jahr später bewies er im mittelmäßigen Benetton an gleicher Stelle, dass die 1992 so überlegenen Williams-Raketen doch nicht unschlagbar sind.
Lewis Hamilton hatte zwar das seltene Privileg, gleich bei einem WM-fähigen Team in die Formel 1 einzusteigen, aber er nutzte die McLaren-Chance auch auf beeindruckende Weise, fuhr neunmal hintereinander auf das Podium, gewann bei der sechsten Teilnahme zum ersten Mal und führte schon nach dem vierten Rennen sensationell die Fahrer-WM an, die er am Ende nur um einen Punkt an Kimi Räikkönen verlor.
Auf den Spuren von großen Champions
Und Sebastian Vettel bewies spätestens mit dem "Wunder von Monza" im Jahr 2008 auf Toro Rosso, dass sein Talent nicht nur für eine Rekordsaison in der Formel BMW reicht, sondern auch in der Formel 1 zu ganz Großem führen könnte. Was sich inzwischen ja auch bestätigt hat.
Und jetzt eben Max Verstappen.
Aber woran in der historischen Nachbetrachtung der aufgezählten Formel-1-Sternschnuppen keiner mehr denkt, sind die Teamkollegen. Mag sein, dass bei Mercedes einige Herren letzte Nacht nicht wahnsinnig gut geschlafen haben. Aber der, der sich nach dem Grand Prix von Spanien wirklich Sorgen machen muss, ist Daniel Ricciardo.
Erstmal vorweg: Der immer lächelnde Sonnyboy aus Perth war in Barcelona der schnellere Mann als Verstappen. Full stop. Er war mit einer Runde, die von Teamchef Christian Horner im Nachhinein als "gewaltig" bezeichnet wurde, im Qualifying um vier Zehntelsekunden schneller, er war am Start schneller und führte das Rennen an, als Red Bull es für eine gute Idee hielt, zwar nicht unmittelbar auf Vettels vorgezogenen Boxenstopp zu reagieren, aber trotzdem dreimal Reifen zu wechseln.
Große Karrieren: Der Zufall hilft mit
Selbst mir, dem Couch-Möchtegern-Teamchef vor dem Datenmonitor, war sofort klar, dass das nur in die Hose gehen kann. Denn Vettel war schneller und somit nur zu schlagen, indem man ihm den Undercut nicht zu deutlich überlässt (jedenfalls nicht um sechs Runden), und Verstappen/Räikkönen würden natürlich bei zwei Stopps bleiben und damit ihr Glück versuchen. Okay, kann passieren - selbst Superhirn Ross Brawn hat schon die eine oder andere Strategie vermasselt.
Aber die Konsequenz davon ist: Klein-Verstappen kommt ins Team, gewinnt gleich seinen ersten Grand Prix und lässt den Rest der Welt (oberflächlich betrachtet) wie Dilettanten aussehen, obwohl die eigentlich den besseren Job gemacht haben. Jacques Villeneuve bringt es auf den Punkt: "Es gibt Fahrer, für die passt einfach alles zusammen." Obwohl sie manchmal selbst nicht genau wissen, warum das so ist.
Verstappen gestern in Barcelona, das war so ein Fall. Ricciardo nicht.
Fotostrecke: Max Verstappen: Die schönsten Jubelfotos
Mit vier Jahren schenkte ihm Papa Jos (übrigens entgegen anderslautender Medienberichte immer noch sein Manager) sein erstes Go-Kart, jetzt ist er mit 18 Jahren und 227 Tagen jüngster Grand-Prix-Sieger aller Zeiten: Max Verstappen. "Max ist besser als ich es je war", sagt der stolze Vater. Fotostrecke
Und jetzt kommen wir zur Psychologie des Momentums. Ich lasse mich zu einer gewagten Theorie hinreißen und behaupte: Barcelona 2016 war für Verstappens weitere Karriere ein definierender Moment, ein Türöffner zu ganz großen Erfolgen, der erste Schritt auf dem Weg zu mindestens einem WM-Titel. Alle Welt will das 18-jährige Wunderkind jetzt haben - und davon, dass Ricciardo 2014 einen gewissen Herrn Vettel alt aussehen hat lassen, redet keiner mehr.
Wenn es spätestens Ende 2017 darum geht, Kimi Räikkönens Cockpit neu zu besetzen, wird sich Ferrari für Verstappen möglicherweise mehr interessieren als für Ricciardo. Mercedes konnte sich immer schon für den Niederländer begeistern, und Toto Wolff wird sich in dieser Einschätzung nach gestern bestätigt fühlen. Solche Positionierungen können für eine Karriere den Unterschied machen zwischen mehrfachem Grand-Prix-Sieger und mehrfachem Weltmeister.
System Red Bull: Pro Generation kann's nur einen geben
Helmut Markos System Red Bull hat einen Makel (nicht einen Fehler, denn man kann ihm das schlecht zum Vorwurf machen): Aus jeder Generation kann nur einer ganz groß rauskommen. Gegen Vettel blieben Supertalente wie Vitantonio Liuzzi oder Sebastien Buemi auf der Strecke. Verstappen könnte nun den Platz einnehmen, der eigentlich für Ricciardo reserviert schien, und in Vettels Fußstapfen treten.
Weit hergeholt? Weit in die Zukunft geschaut? Mag sein. Aber reden wir in ein paar Jahren weiter. Schließlich hat mir nach Sotschi auch kaum jemand geglaubt, dass Kwjat noch dieses Jahr seinen Platz für Verstappen wird räumen müssen. Mit Kwjats Kollision mit Vettel hat alles angefangen. Ein bisschen wie damals, 1991, im Londoner Taxi. Und da stehen wir nun, nur zwei Wochen später.
Vielleicht hat Ricciardo letzte Nacht gar nicht wirklich schlecht geschlafen, weil er sich des potenziellen Ausmaßes von Barcelona 2016 nicht bewusst ist. "Ich bin nicht traurig, weil Max da oben auf dem Podium steht, sondern ich bin traurig, weil nicht ich da oben stehe", sagte er während der Siegerehrung.
Es war ein Symbolbild: Der junge Verstappen klaut ihm den Sieg, der eigentlich seiner gewesen wäre. Jetzt gilt es darauf zu achten, dass er das nicht mit seiner ganzen Karriere genauso macht...
Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:
Daniil Kwjat: Der arme Russe wird in seinem Leben wahrscheinlich nie mehr "Game of Thrones" schauen, denn härter hätte ihn der Cockpit-Tausch mit Verstappen gar nicht treffen können. Während er im Toro Rosso gegen Carlos Sainz untergeht, gewinnt der andere in "seinem" Auto den Grand Prix. Das muss wehtun. Auch Kwjat gehört jetzt endgültig zu den Kollateralschäden von Verstappens Weg nach oben.
Niki Lauda: Vorweg: Ich bin mir sicher, dass Niki Lauda nicht tatsächlich schlecht geschlafen hat. Was juckt es die Eiche, wenn sich eine Sau an ihr reibt? Aber Mercedes-Pressesprecher Bradley Lord muss das Herz in die Hose gerutscht sein, als Lauda sofort nach der Kollision on air erzählte, dass Lewis Hamilton eindeutig der Schuldige ist. Teamintern war da noch nicht abgesprochen, wie man die Sache darstellen würde. Toto Wolff widersprach, drückte sich aber diplomatisch aus: "Niki ist ein Racer. Er denkt schwarz-weiß." Nur: Wer von seinen Fahrern in einer mediendominierten Welt Besonnenheit und Professionalität einfordert, der sollte es nicht selbst anders machen. Als Journalist sage ich: Danke, Niki, für diese erfrischende Spontanität!
Fotostrecke: Der Mercedes-Crash in Barcelona
Katastrophe für Mercedes in Barcelona: Nur vier Kurven dauert es, bis die beiden führenden Silberpfeile im Kies stehen. Es ist die erste verheerende Kollision zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton seit Spa 2014. Fotostrecke
Nico Hülkenberg: Je länger die Saison dauert, desto weniger Land sieht der Le-Mans-Sieger gegen Sergio Perez. Perez ist selbst schon einer, der aufs Abstellgleis geschoben wurde, weil ihn McLaren nach nur einer Saison nicht mehr wollte. So einen muss man schlagen (und zwar ebenso klar wie regelmäßig), wenn man selbst in einem Topteam landen möchte. Es mag Gründe für Hülkenbergs Schwächephase geben. Aber wen interessieren die in der gnadenlosen Welt der Formel 1?
Jolyon Palmer: Jacques Villeneuve sagt ganz richtig, dass der Sohn von Jonathan Palmer im Vergleich zu Kevin Magnussen übel aussieht. "Er hat es einfach nicht", analysiert der Weltmeister von 1997 nach fünf Rennen. Im Gegensatz zu Ricciardo und Hülkenberg stellt sich bei Palmer nicht die Frage, ob er eines Tages doch noch Champion werden kann. Bei ihm geht's nur darum, wie lange er Formel 1 fahren darf. Mein Tipp: nicht bis Saisonende.
Ihr
Christian Nimmervoll
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