• 18. April 2016 · 09:27 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

"Ein entsetzliches Rennen": Während Nico Rosberg in der Form seines Lebens fährt, beginnt das Selbstverständnis von Lewis Hamilton langsam zu bröckeln

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,

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Lewis Hamilton hat nach sechs Niederlagen einiges nachzudenken Zoom Download

dass Lewis Hamilton sechs Rennen hintereinander nicht gewonnen hat, ist schon eine Weile her. Ende 2013, noch vor der Umstellung auf die Hybrid-Ära in der Formel 1 und dem Beginn der Mercedes-Dominanz, blieb der inzwischen dreimalige Weltmeister gleich neunmal hintereinander ohne Siegerpokal. Aber Niederlagen mit dem besten Auto im Feld, noch dazu wenn der Teamkollege gleichzeitig alles gewinnt, tun deutlich mehr weh als während einer bewusst in Kauf genommenen Aufbauphase.

Noch am Samstagabend in Schanghai wirkte Hamilton unbeirrt selbstbewusst, locker, voller Vorfreude auf das Rennen. Er entschied sich (ganz der Racer) gegen einen sicheren Start aus der Boxengasse - im Nachhinein betrachtet eine falsche Entscheidung. Und er gab WM-Punkte als bescheidenes Ziel aus, obwohl er insgeheim wohl darauf hoffte, ein Husarenstück abzuliefern und mindestens aufs Podium zu fahren. So tickt Lewis Hamilton 2016: Je größer die Herausforderung, desto größer meine Chance, der Welt zu zeigen, dass ich der beste Fahrer bin.

Aber daraus wurde nichts. Weil ihm Felipe Nasr in der ersten Runde den Frontflügel abrasierte, kämpfte er von ganz hinten - und noch dazu, wie schon in Bahrain, mit stumpfen Waffen. Als er den Bottas-Williams überholte, ließ er seine Klasse aufblitzen, im Finish hatte er jedoch im Kampf um Platz vier keine Chance mehr. Am Ende Platz sieben, während Rosberg wieder einmal gewann. Das bedeutet 36 Punkte Rückstand in der Fahrer-WM - und dass er selbst bei einem Ausfall von Rosberg beim nächsten Rennen in Sotschi nicht die Gesamtführung übernehmen kann.

Gedämpfte Stimmung beim Mediengespräch

Beim Mediengespräch nach dem Grand Prix von China wirkte Hamilton nicht so, als würde er die nächste Nacht besonders gut schlafen können, weshalb wir ihn diesmal für unsere traditionelle Montags-Kolumne als "Verlierer des Wochenendes" ausgewählt haben. Sein Rennen sei "okay" gewesen, knurrt er auf die erste Frage eines Journalisten, der wissen möchte, wie es gerade in ihm aussehe. Und: "Wie erwartest du, dass ich mich fühle?"

Es sei "ein entsetzliches Rennen" gewesen, räumt der Titelverteidiger ein. Er erlebe gerade "eine schwierige Zeit" und das sei natürlich "kein schönes Gefühl. Aber ich habe Vertrauen in dieses Team. Wir werden uns da rausziehen. Wann? Wer weiß? Ich hoffe auf bessere Rennen." Mit gedämpfter Stimme - denn nach drei Niederlagen en suite zu Beginn der Formel-1-Saison 2016 wird ihm langsam klar: Das Momentum (von dem Sportchef Toto Wolff sagt, dass es das nicht gibt) ist derzeit eindeutig auf Rosbergs Seite.

"Wie viel sind es jetzt, 50 Punkte?", fragt Hamilton. Tatsächlich sind es "nur" 36. "Da fühle ich mich gleich besser", huscht ihm dann doch einmal ein Lächeln übers Gesicht. Seit Beginn des Duells gegen Rosberg ist das der größte Rückstand, den er je hatte. Nach Spa-Francorchamps 2014 fehlten ihm 29 Zähler, damals waren noch sieben Rennen zu fahren. Jetzt sind es noch 18 - also genug Zeit, den Rückstand wettzumachen. Denn - davon ist nicht nur Hamilton selbst überzeugt - er ist immer noch der schnellste Fahrer im schnellsten Auto.

Situation schlimmer als im Jahr 2014

Trotzdem gibt er zu, dass sich die Situation jetzt "fast schlimmer" anfühle als 2014. "Aber die Saison dauert diesmal noch länger. Da kann noch viel passieren", erklärt Hamilton und klingt nach Zweckoptimismus, wenn er über die ersten drei Rennen sagt: "Das ist jetzt Vergangenheit. Ich kann nur die Zukunft beeinflussen." Zumindest etwas Gutes habe Schanghai für ihn gehabt: "Endlich hatte ich einen guten Start. Das ist etwas Positives, was ich ins nächste Rennen mitnehme."

Aber viele Experten beginnen sich zu fragen: Warum gewinnt plötzlich Rosberg, seit er mit der ehemaligen Hamilton-Crew arbeitet, und warum haftet Hamilton das Pech an den Fersen, seit er mit der ehemaligen Rosberg-Crew arbeitet? Man bekommt zunehmend das Gefühl: 2016 ist Rosberg dran. Hamilton ist stark genug, das noch abzuwenden. Aus eigener Kraft. Aber man hatte in Schanghai erstmals das Gefühl: Das Selbstverständnis des Weltmeisters beginnt zu bröckeln. Wetten, dass er letzte Nacht einiges zum Nachdenken hatte?

Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:

Jean Todt und Bernie Ecclestone: Die beiden mächtigen Chefs der Formel 1 haben ihr Tauziehen um das von allen Seiten kritisierte Qualifying-Format gegen die Teams verloren. Kaum war das alte Format zurück, war die Show am Samstag wieder hochdramatisch und spannend bis zur letzten Minute. Das Rennen bot viel Action, aber viele finden: zu künstlich. Wenn nur noch das DRS-Knöpchen gedrückt werden muss, um den Vordermann zu überholen, oder um ein paar Runden frischere Reifen den Ausschlag geben zwischen ultraschnell und chancenlos, hat das mit dem Racing-Verständnis der meisten Fans nichts zu tun. Mit dem von Fernando Alonso & Co. auch nicht. Und mit dem unserer Redaktion schon gar nicht.

Maurizio Arrivabene: Sein Chef Sergio Marchionne kam persönlich nach China, um bei Ferrari nach dem Rechten zu sehen. Die Ergebnisse und das verbesserte Auto waren Marchionne aber kein Lob wert, sondern seien lediglich das Mindeste, was man von Ferrari 2016 habe erwarten können. Der interne Druck auf Arrivabene steigt. Wenn sich dann auch noch die beiden Fahrer gegenseitig ins Auto fahren, mag das einfach Pech sein. Aber ein strenger Chef wie Marchionne wird sich fragen: Hat da vielleicht auch das Management versagt?


Fotostrecke: GP China, Highlights 2016

Frederic Vasseur: Viele deutsche TV-Zuschauer wissen wahrscheinlich nicht einmal, wie der Renault-Teamchef überhaupt aussieht, weil das neue Renault-Werksteam ein absolutes Nicht-Thema der Formel-1-Saison 2016 ist. Dass es dauern würde, bis man Erfolge feiert, war jedem klar - am meisten Vasseur selbst. Aber so schlecht zu sein, dass man in der medialen Berichterstattung nicht einmal stattfindet, muss schmerzen.

Valtteri Bottas: Ohne Grip mit dem Medium-Reifen wurde der Williams-Finne in den letzten Runden noch aus dem Kampf um Platz vier auf den zehnten Rang zurückgeworfen. Teamkollege Felipe Massa macht momentan den stärkeren Eindruck, führt nach Punkten im Stallduell mit 22:7. Das mag nur eine Momentaufnahme sein, aber der Zeitpunkt dafür ist denkbar ungünstig. Während Williams nach Kurzzeit-Hoch 2016 wieder auf Talfahrt geht, muss sich Bottas eigentlich nach Möglichkeiten bei den Topteams umsehen. Aber solange Rosberg bei Mercedes gewinnt und er selbst sich nicht mit starken Leistungen für Ferrari aufdrängt, droht er als ewiges Talent bei Williams zu versauern.

Ihr
Christian Nimmervoll

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