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Bernd Mayländer: Anekdoten aus dem Parco di Monza
Die Kolumne von Safety-Car-Fahrer Bernd Mayländer: Wie er 2000 die Gefahr des Autodroms kennengelernt hat und warum er nie im Königlichen Park parkt
(Motorsport-Total.com) - Ciao, liebe Leser,
ich schreibe diese Kolumne quasi zwischen Tür und Angel, mitten im Reisestress. Am vergangenen Wochenende war ich bei der DTM in Moskau, oder genauer gesagt: auf dem Moscow Raceway. Denn der liegt 80 Kilometer von der russischen Hauptstadt entfernt, ziemlich in der Pampa. Aber die Ein- und Anreise ist in den vergangenen Jahren zum Glück unkomplizierter geworden. Von Moskau aus ging's dann mehr oder weniger direkt nach Silverstone, wo ich jetzt gerade bin. Sponsorentermin. Ein Safety-Car-Fahrer arbeitet schließlich nicht nur an Rennwochenenden... ;-)
Noch heute Abend geht's mit dem Flieger von London-Heathrow nach Stuttgart, wo schon mein Mercedes-Benz (mit fein säuberlich zusammengelegter FIA-Kleidung) für die sechsstündige (nächtliche) Autofahrt nach Mailand bereitsteht. Klingt nach einem stressigen September. Ist es auch. Aber wenn er mit einem Grand Prix wie Monza beginnt, dann nimmt man solche Strapazen gern in Kauf. Diesmal auch ohne Zwischenstopp am Lago Maggiore, wie ich es früher manchmal gemacht habe.
Abgespacter Club in einer Kirche
Mailand, das ist der wunderschöne Dom, das ist die weltberühmte Scala, das ist Mode, sympathische kleine Cafes, gutes Essen und Rotwein - und natürlich Clubs. Meine wilderen Zeiten sind längst vorbei, aber in einem Club möchte ich dieses Jahr wieder vorbeischauen: im Il Gattopardo. Das ist eine alte Kirche, in der sich völlig abgespacte Menschen rumtreiben, von Donnerstag bis Samstag immer was los. Vielleicht kann ich meinen "Teamkollegen" Alan van der Merwe, der das Medical-Car fährt, am Donnerstag zu einem kurzen Abstecher auf ein Kaltgetränk überreden.
Ich liebe an Italien nicht nur Büffelmozzarella, Parmesan, Antipasti und ein gutes Glas Rotwein, sondern vor allem die Menschen. Vom Pizzabäcker bis zur Bedienung im Cafe, sie sind alle sehr offen und freundlich. Gestik und Mimik des typischen Italieners ist ein bisschen anders als beim typischen Deutschen. Das zu beobachten und das gute Essen zu zelebrieren, das genieße ich. Einfach mal die Seele für einen Moment baumeln lassen. Kann übrigens nicht jeder. Ich schon.
Zum Beispiel, wenn ich am Sonntagmorgen an die Strecke komme. Ich parke immer außerhalb des Parco di Monza, also jener wunderschönen Grünanlage, in der sich das Autodromo befindet. Nach dem Rennen steht man nämlich sonst im Stau, wenn man da erst malraus muss. Ich sitze also um 6:30 Uhr in einem kleinen Cafe, schlürfe meinen Cappuccino, laufe die 15 Minuten in den Paddock rein. Und genieße die Ruhe, bevor die Motoren angeworfen werden und es richtig laut wird. Eine ganz besondere Atmosphäre.
Drehkreuz: Begegnung mit den Stars
Besonders ist in Monza auch das Paddock-Drehkreuz, durch das alle Fahrer, Stars und Sternchen müssen. Denn im Gegensatz zu anderen Strecken stehen dort meistens dutzende bis hunderte Tifosi, die Sebastian Vettel und Co. aus nächster Nähe sehen und vielleicht ein Selfie abstauben wollen. Ich muss da auch durch, und vom einen oder anderen werde ich erkannt und angesprochen, was ich immer sehr schön finde. Denen ist auch egal, wenn ich mit einem Mercedes ankomme - sie sind autoverrückt, auch wenn das Auto nicht rot ist.
Weil gleich neben diesem Drehkreuz eine Straße verläuft, gerät dort naturgemäß manchmal der Verkehr ins Stocken. In Zeitnot darf man nicht sein, aber das ist eben typisch Italien: ein professionell organisiertes (und hochsympathisches) Chaos. Der Paddock selbst ist übrigens genial, meistens auch mit vielen Promis gespickt. Monza ist das letzte Europarennen. Alle, die nicht nach Übersee wollen oder können, zeigen sich da nochmal.
Das Ende der Europasaison ist auch traditionell der Termin für die Supercup-Party am Samstagabend, organisiert von Porsche. Wir von der FIA sind dort jedes Jahr eingeladen, und zumindest auf einen kurzen Sprung schaue ich gern vorbei - schließlich muss ich am nächsten Tag arbeiten. Porsche lädt übrigens meistens die Gridgirls ein - für den einen oder anderen sicher ein Grund, die Arbeit mal früher liegen zu lassen und einen netten Abend zu genießen...
Meistens direkt am Sonntag nach Hause
Man sollte ja meinen, dass Monza mit seinen Clubs und Partys ein Nährboden ist für tonnenweise Anekdoten, die ich euch jetzt erzählen könnte, aber dem ist tatsächlich nicht so! Auch in den "Mika-und-David-Jahren", in denen wir manchmal um die Häuser gezogen sind, sind wir meistens am Sonntagabend aus Mailand nach Hause geflogen. Oder nochmal für einen kurzen Abstecher an den Lago Maggiore gefahren.
Was das Rennen selbst angeht, hoffe ich in erster Linie, dass Pirelli die Reifensituation in den Griff bekommen hat. Sebastian hat nach seinem Reifenschaden in Spa sehr emotional reagiert, was ich aus Fahrersicht gut nachvollziehen kann. Man muss das aber ein bisschen relativieren, denn wenn du nach so einer Situation aus dem Auto steigst, überlegst du dir vielleicht nicht jedes Wort im Detail, das du dann in die TV-Kamera sagst. Wie dem auch sei: Das Wichtigste ist, dass die Reifen sicher sind.
Topspeed-Weltrekord in Gefahr: Fällt die 370?
Denn Monza ist keine Strecke für einen Reifenschaden. Ich habe mir sagen lassen, dass die Vorab-Simulationen in diesem Jahr auf einen neuen Topspeed-Rekord hindeuten. Schon 2014 wurden im Rennen (mit DRS) 362,1 km/h gemessen. Antonio Pizzonia war in Monza 2004 sogar 369,9 km/h schnell. Das bedeutet Windschatten- und DRS-Schlachten, das bedeutet extreme Bremsanforderungen, das bedeutet hohen Spritverbrauch. Und hohes Risiko.
Ich erinnere mich (leider) noch gut an die Kollision in der Variante della Roggia im Jahr 2000, in die Heinz-Harald Frentzen verwickelt war. Ein Rad seines Jordan traf einen Feuerwehrmann. Wir wurden natürlich sofort mit dem Safety-Car auf die Strecke geschickt. Eine heftige Situation, eine lange Safety-Car-Phase. Bei einem Kurs wie Monza spielt immer die Angst mit, dass etwas passieren kann, wenn bei so hohen Geschwindigkeiten jemand abfliegt.
Uns wurde während des Rennens gesagt, was passiert ist. Anhand der Live-Bilder, die wir schon damals im Auto hatten, war damit zu rechnen, dass es etwas ganz Schlimmes sein könnte. Dass der Feuerwehrmann verstirbt, wussten wir nicht. Wenn du bei der Geschwindigkeit einen Reifen abbekommst, dann ist das natürlich schwerwiegend. Das war uns relativ schnell klar. Solche Gedanken fahren die ganze Zeit mit. Motorsport ist gefährlich. So steht's auf jeder Eintrittskarte.
Safety-Car schafft bis zu 280 km/h Spitze
Sogar für mich im Safety-Car ist Monza die mit Abstand schnellste Strecke. Auf den Geraden erreicht mein Mercedes-AMG GT S bis zu 280 km/h. Geradeaus fahren ist nicht das Problem, aber ich darf mich beim Bremspunkt nicht verschätzen - sieht nicht gut aus, wenn ich mit dem Safety-Car geradeaus über die Schikane fahre! Und ich finde es immer ein bisschen verstörend, wenn ich bei Tempo 250, volle Kanne, in den Rückspiegel schaue und sehe, wie die verzweifelt zick-zack fahren, um die Reifen warm zu halten.
Sportlich kristallisiert sich mehr und mehr raus, wer 2015 um den Titel fährt. Schade, dass Sebastian in Spa so viele Punkte und damit ein bisschen den Anschluss verloren hat. Theoretisch ist noch alles drin, aber Lewis hat schon einen wichtigen Schritt getan, aus der Sommerpause so stark zurückzukommen. Mal sehen, ob er das nach Übersee mitnimmt. Oder ob ihn Nico, der frischgebackene Herr Papa, noch einmal angreifen kann.
Perfektes Geschenk für Nico Rosbergs Tochter?
Nach der Geburt seiner Tochter könnte sich Nico ein kleines Krönchen aufsetzen, wenn er gleich das nächste Rennen gewinnt. Und mit Monza hat er ja aus 2014 noch eine Rechnung offen. Ich glaube, das alles ist für ihn zusätzliche Motivation. Und den Druck der bevorstehenden Geburt hat er jetzt auch nicht mehr. Nicht, dass er das Kind selbst geboren hätte, aber natürlich fiebert der Papa dabei voll mit. Ich wünsche Vivian und Nico jedenfalls alles Gute für ihre kleine Familie!
Fotostrecke: F1 Backstage: Monza
"Die F1 ist tot", finden die Tifosi in Monza, und begründen dies: "Hässliche neue Strecken, hässliche Autos, kein Motorensound." Die Teamchefs nehmen die Kritik auf die leichte Schulter. "War gegenüber der McLaren-Garage, oder?", grinst Christian Horner von Red Bull, und Federico Gastaldi von Lotus winkt ab: "Das haben sicher die Leute von der Formel E aufgehängt." Fotostrecke
Und ich hoffe, wenn ich am späten Sonntagnachmittag zu meinem Auto außerhalb des Parks gehe, dass ich keinen Strafzettel drauf habe. Bekanntschaft mit den Carabinieri habe ich schon ein paar Mal gemacht, aber immer auf sympathische Weise. Die sind sehr hilfsbereit und drücken vielleicht mal ein Auge zu, wenn das Vergehen nicht zu schlimm war. Die Tifosi sind extrem motorsportbegeistert und bringen viel Verständnis mit. Solange es in Grenzen bleibt.
Euer
Bernd Mayländer
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