Bernd-Mayländer-Kolumne: Titelchancen auf beiden Seiten
Der große Grand-Prix-Check des Safety-Car-Fahrers: Was für Lewis Hamilton oder für Nico Rosberg spricht und warum sie nicht kollidieren werden
(Motorsport-Total.com) - Hallo, liebe Leser,
ganz egal, ob man die Zeitung aufschlägt oder Fernsehen schaut, momentan sind die Formel 1 und der Titel-Showdown zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg überall Thema. Zwar gehören die Schlagzeilen heute Sebastian Vettel und Ferrari (oder besser gesagt dem Twitter-Spaßvogel, der den Transfer schon als offiziell vermeldet hat), aber eigentlich steht das Sportliche jetzt im Vordergrund. Die Spannung vor der Entscheidung steigt in diesen Tagen nochmal richtig an.
Ich habe bereits am Dienstag zum letzten Mal in diesem Jahr den großen Koffer gepackt, bin mit dem Umweg Hamburg (wo ich einen Termin hatte) nach Abu Dhabi geflogen. Könnte schlimmer sein, als im kalten europäischen Winter nochmal in die wärmeren Gefilde der Welt zu fliegen. Abu Dhabi war schon zweimal WM-Finale: 2009 (eher unspannend) und 2010 (sehr spannend). Saisonende, doppelte Punkte, ausverkauftes Haus, wenn die Formel-1-Autos in die Nacht hinein fahren - das ist das absolute Highlight des Jahres.
Was spricht für Lewis - Was spricht für Nico
Schwer zu sagen, wer Weltmeister wird. Was spricht für Lewis? Erstens einmal, dass er "nur" Zweiter werden muss und ein Regenrennen in Abu Dhabi sehr unwahrscheinlich ist. Zweitens seine Stärke im Rennen. Er hat zehn gewonnen, Nico nur fünf. Im Zweikampf, beim Überholen, ist er konsequenter und stärker. Nico kann sein Tempo mitgehen, aber wenn's länger dauert, gerät er in Schwierigkeiten und Lewis ist über die Distanz der Schnellere. Darum hat er zehn Rennen gewonnen, darum hat er vor dem letzten Rennen (zurecht) 17 Punkte Vorsprung. So gesehen spricht mehr für Lewis als für Nico.
Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Abu Dhabi
Willkommen in Abu Dhabi, willkommen im Reich von 1.001 Nacht. 2009 macht sich die Formel 1 erstmals auf in das neue Prunkstück des Kalenders - dem Rennen auf dem Yas Marina Circuit. Auf der Yas-Insel in den Vereinigten Arabischen Emiraten haben die Verantwortlichen keine Kosten und Mühen gescheut, um den Grand Prix zu einem der aufsehenerregendsten zu machen. Auf und neben der Strecke sieht alles edler als edel aus. Sogar unter einem Hotel müssen die Piloten hindurch fahren. Fotostrecke
Was spricht für Nico? Man muss sich mal anschauen, wer dieses Jahr mit welchen Reifentypen die Rennen gewonnen hat. Mir ist aufgefallen, dass Nico mit dem Medium-Reifen nicht immer so gut zurechtgekommen ist. Aber in Abu Dhabi wird Soft und Supersoft gefahren, also die beiden weichsten Pirelli-Mischungen. Das spricht vielleicht für Nico.
Und die klare Zielsetzung, denn die kann für ihn nur lauten: "Ich muss gewinnen!" Punkt. Lewis kann strategisch auf den zweiten Platz fahren, aber genau das macht das Kribbeln aus, das wir alle haben. Denn letzte Saisonrennen haben es so an sich, dass sie selten so verlaufen, wie man es vorher erwartet. So gesehen ist alles offen. Aber natürlich hat Lewis aufgrund des Punktestands die etwas größeren Chancen.
Mercedes-Doppelerfolg in Abu Dhabi wahrscheinlich
Unter normalen Umständen landen die beiden Werks-Mercedes auf den Plätzen eins und zwei. Ich glaube, dass sie in Abu Dhabi wieder das stärkste Team sein werden, auch wenn Claire Williams gesagt hat, dass sie unbedingt noch einen Grand Prix gewinnen möchten und auf Sieg fahren werden. Doch Mercedes zu schlagen, ist fast unmöglich, zumal Lewis und Nico den unbedingten Willen haben, Weltmeister zu werden. Das macht sie nochmal um eine Zehntelsekunde schneller.
Andererseits ist die Formel 1 unberechenbar, das haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt. Ich erinnere mich an das WM-Finale 2010 (übrigens auch in Abu Dhabi), als sich alle gefragt haben, ob Alonso Weltmeister wird oder Webber. Und dann steckten die beiden hinter dem Renault von Petrow fest und am Ende ging der Titel an Sebastian Vettel. Oder, noch dramatischer, im Jahr 2008, als Massa praktisch schon Weltmeister war, bis Lewis auf den letzten Metern am Toyota von Timo Glock vorbeiging.
Es gibt die Beispiele, die zeigen, was alles passieren kann, aber die Dominanz von Mercedes ist dieses Jahr natürlich erdrückend. Und das Überholen ist heute einfacher als 2010. Davon mal ganz abgesehen, dass Lewis später als jeder andere bremsen kann und ein brillanter Überholer ist.
Ein Crash-Gate wäre heute Unsinn
Eine Variante, die es in der Formel-1-Geschichte schon ein paar Mal gegeben hat, wurde bisher noch nicht wirklich besprochen. Ich glaube (und hoffe) auch, dass es nicht notwendig ist. Nämlich dass Lewis Weltmeister wird, wenn er Nico in die Karre fährt und beide ausfallen. So wie 1990 zwischen Senna und Prost.
Aber damals kam man mit so einer Aktion noch durch, während man heute wahrscheinlich nicht mehr sagen kann: "Wenn wir beide draußen sind, bin ich sowieso Weltmeister." Erstens würde ich das keinem unterstellen wollen, und zweitens bin ich mir sicher, dass die Rennkommissare das notfalls ganz drastisch bestrafen würden. Aber dazu ist Lewis sowieso zu sehr Sportsmann - und er hat es gar nicht nötig, weil er über das Jahr gesehen der dominantere und stärkere Fahrer war.
Der Winter bleibt spannend
Bei der Titelparty in Abu Dhabi werde ich nicht dabei sein, denn mein Rückflug geht schon am Sonntagabend. Aber am 29. November feiert Mercedes in Stuttgart traditionell mit "Stars & Cars" Saisonabschluss, und das lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Solltet ihr übrigens auch hinkommen, dort gibt's die "Stars & Cars" wirklich zum Anfassen!
Und danach geht's in die Winterpause. Tut gut, öfter im eigenen Bett zu schlafen und die Fitness für 2015 in Schuss zu bringen, aber die Formel 1 wird uns auch im Winter nicht ganz loslassen. Wir wissen noch nicht, wie es mit den finanziell gebeutelten kleinen Teams weitergeht, und wir wissen vor allem noch nicht, was Fernando Alonso macht. Das Allerwichtigste erfahren wir aber schon am Sonntagabend: wer Formel-1-Weltmeister 2014 wird.
Euer
Bernd Mayländer
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