• 01. Mai 2014 · 08:34 Uhr

Imola 1994: Es tut immer noch weh

'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier über den Schatten, der von der Sonne niemals vertrieben werden kann: Das tragische Mai-Wochenende 1994

(Motorsport-Total.com) - Liebe Formel-1-Freunde,

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Zeugnis einer schwarzen Stunde: Das Auto, das Senna zum Verhängnis wurde Zoom Download

dieses Leben hält jeden Tag neue Herausforderungen, neue Freuden und neue Erlebnisse für uns bereit. Viele der täglichen Eindrücke werden schnell vergessen, man schleppt sie dennoch im Hinterkopf als Erfahrungen mit durch das restliche Leben. Einige wenige Erlebnisse bleiben derart haften und präsent, dass sie auch nach vielen Jahren allgegenwärtig erscheinen. Das Formel-1-Wochenende 1994 Imola ist solch ein Fall. Das geht sicherlich nicht nur mir so, sondern vielen Formel-1-Fans, die dieses Wochenende bewusst miterlebt haben.

Die Königsklasse war vor dem Start in das schwarze Wochenende voller Spannung. Der junge deutsche Nachwuchsstar Michael Schumacher hatte die ersten beiden Rennen des Jahres in Brasilien und Japan gewonnen, der Megastar Ayrton Senna war trotz zweier Pole-Positions noch ohne Punktgewinn. Viele Fans freuten sich auf eine furiose Aufholjagd des Brasilianers, der am Benetton des Deutschen einige illegale Hilfsmittel vermutete und verbissen auf Revanche lauerte.

Das Thema Sicherheit spielte in der öffentlichen Wahrnehmung zu jenem Zeitpunkt kaum eine Rolle. Man hatte die dunklen 1970er-Jahre mit zahlreichen Renntoten hinter sich gelassen. Auch die schweren Testunfälle von JJ Lehto und Jean Alesi waren nicht Mahnung genug gewesen. Dabei gab es durchaus Signale aus Rennfahrerkreisen, die auf erhebliche Probleme aufmerksam machen wollten. Die aktiven Aufhängungen waren verboten worden, die Autos im Grenzbereich plötzlich unberechenbar.

Die kniffligen Autos und das langsame Safety-Car

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Rettungshubschrauber für Barrichello: Glimpflicher Auftakt einer Tragödie Zoom Download

Gerhard Berger und Ayrton Senna wiesen auf diese Problematik ebenso hin wie auf die Tatsache, dass sich in Imola beim Einsatz eines Safety-Cars die Reifen viel zu sehr abkühlen könnten. Ein Opel Vectra als Führungsfahrzeug war eben einfach nicht schnell genug. Wer wollte die Warnungen der beiden Freunde, deren Schicksal ausgerechnet die Tamburello-Kurve in Imola so fest verbindet, wirklich hören und ernst nehmen? Niemand.

Im ersten Qualifying am 29. April 1994 flog Jordan-Pilot Rubens Barrichello in der Variante Bassa brutal in den Fangzaun. Der Brasilianer war kurzzeitig bewusstlos, brach sich das Nasenbein und verpasste den Rest der Veranstaltung. Der Unfall wurde als Fahrfehler eines "jungen Wilden" abgetan - Business as usual. Im zweiten Qualifikationstraining am Folgetag verlor der Simtek von Roland Ratzenberger bei rund 300 km/h den Frontflügel. Der Österreicher landete in der Villeneuve-Kurve frontal in der Mauer und verlor sein Leben. Ein tiefer Schock, eine weitere Mahnung, aber wieder keine Konsequenzen.

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Gedenkminute für Roland Ratzenberger: Es sollte nicht die letzte gewesen sein Zoom Download

Noch am Morgen des Renntages flehten Senna und Berger die Rennleitung wegen des zu langsamen Safety-Cars noch einmal an - ohne Erfolg. Der unvergessene Brasilianer hatte seine Bedenken auch dem damaligen Formel-1-Arzt Professor Sid Watkins anvertraut. Der Brite bat Senna um Rücktritt. Abgelehnt. Es galt schließlich 20 Punkte in der WM aufzuholen. Auch Gerhard Berger wurde ein mulmiges Gefühl nicht los, zumal der Österreicher genau fünf Jahre zuvor einen Feuerunfall auf der Strecke erlebt hatte - in der Tamburello, die seinem engen Freund wenig später den tragischen Tod brachte.

Der Rennstart am Sonntag bot das nächste Signal. Der Lotus von Pedro Lamy krachte mit voller Wucht auf den stehenden Benetton von JJ Lehto. Umherfliegende Trümmerteile verletzten Zuschauer auf den Tribünen. Und es kam das, was Ayrton Senna befürchtet hatte: das langsame Safety-Car. Hinter dem Führungsfahrzeug gingen die Temperaturen der Reifen in den Keller, die Reifendrücke fielen in kritische Bereiche. Wen kümmerte es? Niemanden von der Rennleitung. Man gab die Jagd nach fünf Runden wieder frei.

Und plötzlich biegt der Williams ab...

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Ayron Senna war als Führender hinter dem Safety-Car unterwegs: Ein Opel Vectra! Zoom Download

Mit aller Macht versucht Senna nach dem Restart, möglichst großen Druck aufzubauen. TV-Aufnahmen zeigen, wie der Williams des Brasilianers auf den Bodenwellen der Tamburello heftig aufsetzt und Funken schlägt. Eine Runde später fällt die Sonne vom Himmel. Mit Tempo 306 km/h biegt der Williams-Renault FW16 in der schnellen Tamburello urplötzlich nach rechts ab. Senna bremst, kann aber den Einschlag mit über 200 km/h in die Mauer nicht verhindern. Rennabbruch, Transport per Hubschrauber in eine Klinik. Bangen vor den Bildschirmen und auf den Tribünen. Wenig Hoffnung.

Der Sport rückt komplett in den Hintergrund, die Sorge um das Leben des vielleicht größten Rennfahrers aller Zeiten bestimmt alles. Um 18:40 Uhr die unendlich traurige Gewissheit: Ayrton Senna da Silva, dreimaliger Formel-1-Weltmeister und Idol vieler Jugendlicher, ist an den Folgen des schweren Unfalls verstorben. Die Welt hat einen Ausnahmesportler, einen feinfühligen und ehrbaren Menschen verloren. Über die Formel 1 legt sich ein dunkles Tuch der Trauer. Vier Tage später wird Sennas Leichnam in seiner Heimat Sao Paulo beerdigt. 500.000 Menschen nehmen Abschied. Die Königsklasse ist auf brutale Weise wachgerüttelt worden.


Fotostrecke: Stimmen: 20. Todestag von Ayrton Senna

In der Formel 1 sitzt der Schock tief und er wird noch schlimmer, als Karl Wendlinger beim folgenden Grand-Prix-Wochenende in Monaco schwer verunglückt. Die Sicherheit ist endlich ein Thema, das ernst genommen wird. In der Folge gründen die Piloten endlich wieder eine Interessenvertretung (GPDA), die FIA führt neue Vorgaben bei Crashtests und Sicherheit der Rennstrecken ein. Für Roland Ratzenberger und Ayrton Senna kommen diese zweifellos überfälligen Maßnahmen zu spät.

Über zehn Jahre zogen sich die Untersuchungen und Verhandlungen der italienischen Justiz über die Ursache und die Verantwortlichkeiten des Senna-Unglücks hin. Man kam zu dem Schluss, das nicht etwas die niedrigen Reifentemperaturen und -drücke im Anschluss an die Safety-Car-Phase ursächlich gewesen seien, sondern eine defekte Lenksäule am Williams. Senna und der damalige Teamkollege Damon Hill hatten das Bauteil modifizieren lassen, um mehr Raum für Armbewegungen zu haben.

Was hat Mansell mit dem Senna-Unfall zu tun?

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Zwei Ikonen auf der Anklagebank: Frank Williams und Patrick Head Zoom Download

Alle sechs Angeklagten (darunter Frank Williams, Patrick Head und Adrian Newey) wurden im Zuge des langwierigen Verfahrens vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Einzig an dem ehemaligen Technikdirektor Patrick Head blieb etwas haften. Man stellte durchaus fest, dass er die Verantwortung für das kurzfristige Verändern der Lenksäule trage, aber das Verfahren wurde wegen Verjährung eingestellt. In diesem Zusammenhang ist ein Gespräch sehr interessant, dem ich vor wenigen Wochen lauschen durfte.

Ich sitze im März gemeinsam mit dem Sohn eines ehemaligen Formel-1-Stars sowie einem früheren Renningenieur von Ayrton Senna zum Mittagessen am Tisch. Das Gespräch kommt zwangsläufig auf die tragischen Ereignisse von 1994. Zwischen meinen beiden Tischnachbarn herrscht Einigkeit: Die Eigenheiten des Ex-Formel-1-Weltmeisters Nigel Mansell hätten letztlich zum Unglück geführt - ohne dem Briten etwas vorwerfen zu wollen. Mansell, mit brachialer Kraft in den Armen gesegnet, hatte 1992 das Lenkrad sehr nahe am Körper bewegt.


Fotostrecke: Die Karriere des Ayrton Senna

Als Alain Prost 1993 zum Team kam und diese Position als "unmöglich" kritisierte, sei er von einem hochrangigen Williams-Verantwortlichen mit den Worten abgebügelt worden: "Mansell ist so Weltmeister geworden. Fahr das Auto wie es ist, oder geh nach Hause." Prost kämpfte sich mit dem überlegenen FW15 zum Titel - glücklich war er mit der Position des Lenkrades allerdings nie. 1994 kritisierte auch Ayrton Senna die Konstruktion und bekam die gleiche Abfuhr vom Team - bis man nach zwei Nullnummern auf die Forderung des Brasilianers reagierte und die Lenksäule modifizierte...

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Motorsport-Total.com-Redakteur Roman Wittemeier glaubt an Signalwirkung Zoom Download

Die Formel 1 hat aus den Ereignissen von Imola 1994 wichtige Konsequenzen gezogen. Die Königsklasse ist zweifellos sicherer geworden. Aber das Bemühen um noch mehr Sicherheit darf nicht nachlassen. Dies gilt vor allem auch für Serien abseits der Formel 1. Im vergangenen Jahr haben wir den Dänen Allan Simonsen bei einem Unfall in Le Mans verloren, in der MotoGP hatten wir 2011 den Tod von Marco Simoncelli zu beklagen, im gleichen Jahr ließ IndyCar-Star Dan Wheldon sein Leben.

Wir Motorsportfans wollen tollen Sport, große Dramatik und tiefe Emotionen erleben, aber bitte niemals wieder Tragik. Meine Gedanken sind heute bei all jenen, die einen Liebsten im Motorsport verloren haben.

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